Facebook ist bei der EM zum Online-Schwarzmarkt geworden. Hamsterkäufer versuchen echte Fußballfans abzuzocken. Dabei bleiben viele Tickets auf der Strecke.
Ich habe in meinem Leben schon einige Fußballspiele gesehen: Bundesliga, DFB-Pokal, unbedeutende Testspiele, Champions League, Europa League, einige Länderspiele waren auch dabei. Insgesamt würde ich mich als erfahrenen Auswärtsfahrer bezeichnen. Mit allem, was dazugehört: Fahrtenorganisation, Flug-oder-Bahn-Schnäppchen-Jagd und auch spontane Kartenkäufe.
Schon vor dieser Europameisterschaft war mit klar, dass ich kartentechnisch wieder mal kreativ werden müsste – wenn ich denn einige Spiele im Stadion verfolgen wollen würde. Die Uefa erlaubt pro Redaktion nur eine begrenzte Anzahl an offiziellen Medienakkreditierungen. Im 11FREUNDE-Reporterteam hatte ich letztlich das Nachsehen. Das hieß: Wieder kreativ werden.
In der Vorrunde versuchte ich mein Glück noch direkt bei den jeweiligen Fans in den Innenstädten. Mit Erfolg: Hier hatte ein belgischer Fan die Karte seines erkrankten Freundes übrig, da verkaufte mir ein angeheiterter Nordire vor einem Pub das Ticket des Freundes eines Sohnes, der nun doch arbeiten musste.
Und wenn nichts mehr ging, konnte die Fan-Vertretung eines Fußballverbandes helfen. Es waren Agreements unter echten Fans, keine Abzocke. Insgesamt sah ich sechs Spiele – und freute mich über jedes einzelne wie ein kleines Kind.
Ich verlor den Glauben an ehrliche Fußballfans
Genau deshalb wurde es nach der Gruppenphase unmöglich zu sagen: „Okay, das war’s. Jetzt bleibe ich draußen.“ Das Problem: In der K.o.-Phase wurde es schlagartig schwieriger, an Karten zu kommen. Also musste ich neue Wege finden. Bei Facebook stieß ich auf einen Wust an Ticket-Gruppen. Und verlor schon nach Minuten den Glauben an ehrliche Fußballfans.
Im Lieblings-Netzwerk der Deutschen hat sich eine Community gegründet, die so gar nicht nach meinen romantischen Fan-Vorstellungen handelt. Offensichtlich haben hunderte Deutsche bei der Uefa Karten geordert, nur um sie kurz danach im Internet wieder gewinnbringend zu verkaufen.
Die häufigste Begründung, warum die Käufer angeblich nicht zum Spiel kommen könnten: „Das ist unter der Woche, und ich muss arbeiten.“ Natürlich dicht gefolgt vom Zusatz: „Ich würde sooo gerne, aber es geht nicht.“
Garantiert ist hier gar nichts
Beispiel: Halbfinale. Noch am Dienstagabend, also 24 Stunden vor Anpfiff der Partie Wales gegen Portugal, geisterten mindestens 30 Angebote für besagtes Spiel durch die Facebook-Gruppe „Tauschbörse EM 2016 Tickets/Karten“. Ein User schrieb: „Expressversand und rechtzeitige Ankunft an Hotel/Unterkunft bis morgen noch möglich! So hätte der Käufer garantiert die Tickets morgen.“
Mein gesunder Menschenverstand intervenierte: Garantiert ist hier gar nichts – bei Post- und Transportstreiks in Frankreich und keiner festen Anschrift am Spielort.
Knapp 100 Karten waren also in einer einzelnen Facebook-Gruppe kurz vor dem Spiel im Umlauf. Addierte man noch andere Plattformen auf diesem sozialen Netzwerk wie „Ticketbörse EM 2016“, „Die Facebook-Ticketgruppe“ oder „European Football Ticket Exchange“ hinzu, entstand schnell eine mittlere dreistellige Ticketzahl, die für dieses Halbfinale nicht verkauft wurden und nun an irgendwelchen deutschen Kühlschränken versauern.
Es ist davon auszugehen, dass dieses Prozedere auch in anderen Ländern üblich ist. Anders sind die vielen freien Plätze im Halbfinale in Lyon nicht zu erklären.
Auch beim deutschen Halbfinale gegen Frankreich blieben einige eifrige Verkäufer lange auf ihren gebunkerten Tickets sitzen. Mit Genugtuung sah ich in Marseille zahlreiche Verkäufer, die schon am Morgen keine Abnehmer für ihre verlangten Mondpreise fanden.
Denn auch das ist ein Problem der anonymen Verkaufsangebote im Internet: absolute Wucher-Preise! Die Lieblingsabkürzung eifriger Facebook-Verkäufer: „Vhb“, Verhandlungsbasis.
„Momentan liegt das Angebot bei 950 Euro“
User D.P. beantwortete meine lose Ticket-Anfrage für seine beiden Halbfinal-Karten der günstigsten Kategorie 4 (Originalpreis 65 Euro) mit folgender Nachricht: „Also momentan liegt das Angebot bei 950 Euro. Das würde per Expressversand geschehen.“ Kurze Zeit später der Zusatz: „Den Versand müsstest du wohl noch zahlen. Das sind aber nur noch 73 Euro.“ Kein Einzelfall. Selbst Tickets der Kategorie 1 (495 Euro) kosteten plötzlich über 1000 Euro.
Ähnliche Fantasiesummen wurden auch fürs Finale aufgerufen. Und leider kann die Uefa gegen die Wucherpreise im Internet wenig ausrichten. Während die Polizei vor den Stadien aufmerksam gegen Schwarzhändler vorgeht, gibt es schlicht noch keine wirksame Handhabe gegen Kartenverkäufe im Internet – erst recht nicht in dubiosen Facebook-Gruppen.
Gerade erst erhob die Uefa Anklage gegen die Internet-Ticketbörse Viagogo, nachdem diese jahrelang Tickets teuer weiterverkauft hatte.
Karten-Verkauf mit minimalem Aufpreis
Immerhin: In den Facebook-Gruppen konnte man nach dem deutschen EM-Aus am Freitagmorgen schon erste Panikverkäufe beobachten. Einige Deutsche, die womöglich gehofft hatten, mit einem Finaleinzug ihr Sparbuch zu sanieren, verkaufen ihre Karten nun nur noch mit minimalem Aufpreis.
Und das ruft die echten Fans auf den Plan. Die Fußballliebhaber, für die ein EM-Finale im Stadion etwas besonderes bleibt. Für sie hat sich das EM-Aus der DFB-Elf gelohnt.