Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger feiert heute 75. Geburtstag. Für das 11FREUNDE-Spezial zum Thema „Skandale“ sprachen wir im Februar 2019 – noch vor dem Rücktritt von Reinhard Grindel – mit Zwanziger über die Korruptionsanfälligkeit von Fußballverbänden und ‑funktionären.
Warum interessieren sich die Schweizer Behörden eigentlich nicht dafür?
Weil auch die in diesem Abhängigkeitsverhältnis mit drinhängen.
Starker Tobak.
Zum Schweizer Spiel gehörte bis vor kurzem noch, dass deutsche Steuerhinterzieher protegiert wurden. Der Schweizer Staat könnte jederzeit ein Sportgesetz verabschieden, in dem er Amtszeitbegrenzungen festsetzt und Abhängigkeitsverhältnisse unter Strafe stellt. Die Schweizer Gesetze im Umgang mit privaten Wettbewerbsverfahren sind leider sehr schwach. Aber es würde mich interessieren, was passieren würde, wenn jemand eine Gesetzesverschärfung im Bundestag einbringt.
Dann würde die FIFA vermutlich umziehen.
(Lacht.) Infantino würde den Sitz vielleicht nach Katar verlegen. Aber dann wäre die Frage, wie die Mitgliedsverbände reagieren. Das wäre zumindest ein Anfang, um das System aufzubrechen und Diskussionen anzuregen. Aber so müssen wir damit zurechtkommen, dass die Welt ist, wie sie ist.
Glauben Sie nicht, dass sich die Menschen irgendwann vom Fußball abwenden, wenn es so bleibt?
Ehrlich gesagt: Nein! Sichtbares Fehlverhalten von Funktionären lässt die Begeisterung am Spiel nicht abnehmen. Es gibt bei uns diese Grundhaltung: Die da oben taugen nichts. Aber diese Einstellung ändert nichts an der allgemeinen Liebe zum Fußball. Es gibt doch nichts Schöneres, als am Stammtisch über böse Funktionäre zu lästern.
Gefällt Ihnen, wie sich der Profifußball entwickelt?
Ich nehme es hin, dass der Fußball ein Stückweit zum Zirkus geworden ist. Auch ein Zirkus kann attraktiv sein, selbst wenn er in Teilen eine Illusion ist. Zweifelsohne hat sich der Fußball von seiner ethischen Grundbedeutung entfernt. Und meines Erachtens taugt er auch nicht mehr zwingend zum Vorbild.
Hat Sie als Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees mal etwas persönlich irritiert oder verwundert?
Als ich bei der WM 2014 in Brasilien bei den Sitzungen des Komitees war, fand ich im Hotel eine Tasche mit Sportsachen vor. Es war üblich, dass wir bei Zusammenkünften derartige Aufmerksamkeiten erhielten. Ich habe diese Sachen in der Regel an Vereine in meiner Heimat für die Weihnachtstombola gespendet. In Brasilien war in dieser Tasche auch eine kleine Schatulle mit einer Armbanduhr. Damals gab es bei der FIFA bereits Compliance-Bestimmungen. Ich ging also davon aus, dass alles gecheckt ist. Ein paar Tage nach meiner Rückkehr nach Deutschland, stellte sich heraus, dass diese Uhr einen Wert von 25 000 Dollar besaß und uns offenbar vom brasilianischen Verband in die Tasche gelegt worden war.
Sie haben nicht mal ansatzweise Verdacht geschöpft, dass etwas nicht stimmen könnte.
Erst als mich ein englischer Journalist anrief und nach der Uhr fragte. Daraufhin fuhr ich in Frankfurt zum Zoll, um Selbstanzeige zu machen. Und bei der nächsten FIFA-Sitzung habe ich die Uhr in Zürich wieder abgegeben. Als ich die Uhr beim Schweizer Zoll abgeben wollte, schauten mich die Zöllner an, als käme ich von einem anderen Stern! Die konnten nicht fassen, dass ich die zurückgebe. Wegen dieses Vorgangs wurde gegen mich in Deutschland ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet, was wegen meiner Selbstanzeige schnell wieder eingestellt wurde. Die Rückgabe der Uhr hatte zur Folge, dass die FIFA-Compliance sämtliche Uhren wieder einzog. Doch als Sepp Blatter bei einer Sitzung erklärte, die Sache sei nun geregelt, meldete sich der spanische Funktionär Angel Maria Villar und sagte: „Wenn das so ist, könnten Sie uns die Uhr doch auch wieder zurückgeben“. So agiert man dort, teilweise ohne jedes Unrechtsbewusstsein.
„Menschliche Unzulänglichkeiten werden sie nie völlig ausschließen können“
Beweist die Uhren-Geschichte nicht, dass selbst für Juristen wie Sie kaum noch erkennbar ist, wann Sie in Abhängigkeiten geraten? Sind Sportler wie Platini und Beckenbauer da überfordert?
Die beiden waren die Einzigen, die sich soweit in die FIFA vorgewagt haben. Fritz Walter und Horst Eckel wollten mit solchen Fragen nie etwas zu tun haben. Wolfgang Overath und Uwe Seeler haben sich in der Gremienarbeit bei ihren Vereinen auch schwer getan. Ich lasse deshalb auf Franz Beckenbauer nichts kommen. Ihm ging es darum, die WM nach Deutschland zu holen und zu gestalten. Das hat er großartig gemacht. Er hat sich an der Sache nicht bereichert.
Beckenbauer soll 5,5 Millionen Euro vom DFB für sein Engagement erhalten haben.
Das war für seine Persönlichkeitsrechte in der Odd Set Werbung und hatte daher mit der Leitung des WM OK’s nichts zu tun. Franz Beckenbauer war für mich nie geldgierig, vielleicht der eine oder andere seiner Berater. Franz Beckenbauer mag, wie wir alle, Fehler gemacht haben, aber er handelte stets aus ehrlichem Interesse am Fußball.
Dr. Zwanziger, wir haben ausführlich über die Korruptionsgeneigtheit der FIFA gesprochen. Inwieweit gibt es diese Strukturen auch im DFB?
Viel weniger, als man denkt.
Wie kommen Sie zu diesem Urteil?
Weil wir schon mit der Reform 2001 einen hauptamtlichen Innenrevisor installiert haben, der viel aufwändiger prüft, als vorher die Buchprüfer. 2016 wurde auch eine Ethik-Kommission eingeführt.
Und damit ist alles prima?
Die inneren Abhängigkeiten konnte der DFB noch nicht beseitigen. Wir wollten 2007 die Amtszeit der Funktionsträger begrenzen, aber die Kollegen in den Landesverbänden waren dagegen. Stattdessen wurde die Amtszeit auf siebzig Jahre gesenkt. Der Weg ist richtig, aber in bestimmten Positionen ist das Festklammern eben auch menschlich. Ich bin sicher, dass die Compliance Vorschriften, an deren Einführung Präsident Grindel ja schon seit 2011 mitgewirkt hat, zunehmend greifen. Menschliche Unzulänglichkeiten werden sie allerdings nie völlig ausschließen können.