Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger feiert heute 75. Geburtstag. Für das 11FREUNDE-Spezial zum Thema „Skandale“ sprachen wir im Februar 2019 – noch vor dem Rücktritt von Reinhard Grindel – mit Zwanziger über die Korruptionsanfälligkeit von Fußballverbänden und ‑funktionären.
FIFA-Funktionäre wie Jack Warner oder Chuck Blazer haben in die eigene Tasche gewirtschaftet. Hätte sich Blatter klarer gegen solche Leute positionieren müssen?
Diese Männer haben das Verwerflichste gemacht, was man in ihrem Amt tun kann: das Stimmrecht bei einem so wichtigen Ereignis wie der WM verkauft. Sie haben vielen anderen Leuten, die für eine sauberen Sport gekämpft haben, mit Verlaub, in den Hintern getreten. Blatter hat sein Verhältnis zu solchen Leuten gepflegt und sie hofiert. Wenn er allerdings mit ihnen gebrochen hätte, wäre er weg gewesen.
Und andere Funktionäre? Sie?
Wer in einem solchen System den Mut zur Wahrheit hat, gilt als Nestbeschmutzer. Ich wollte unbedingt an einer FIFA-Reform mitwirken. Wenn ich aber einen Kriegsschauplatz herbeigeführt hätte, wäre das Unverständnis bei vielen groß gewesen und meine Möglichkeiten eingeschränkt worden. Da muss man manchmal um der Sache willen mit den Wölfen heulen.
Die FIFA als Wagenburg?
Das ist wie eine Wand, an der alles abprallt: Wir machen alles richtig – also könnt ihr es nur falsch machen.
Können Sie ein Beispiel für diese Art des Umgangs nennen?
Am Ende meines ersten Jahres als Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees erfuhr ich auf der Abschlusssitzung, dass wir alle eine Art Gratifikation bekommen sollten, ich glaube, es waren 100 000 US-Dollar. Ich wollte mich auf der Sitzung fragend dazu äußern, dass ich den Betrag zu hoch fand. Da gab mir Michel Platini zu verstehen, lieber zu schweigen. „Theo“, sagte er später, „uns ist dieses Geld nicht so wichtig, aber für viele Afrikaner ist es sehr bedeutend. Die leben mit ihren Familien davon. Wenn die das nicht bekommen, fliegt uns der Laden auseinander.“
Sie fanden Gratifikationen falsch?
Nein, die FIFA ist nicht ein Amateurverein. Es werden Milliarden umgesetzt. Deshalb sollen die Mitglieder des Exekutivkomitees auch Boni bekommen, denn sie tragen hohe wirtschaftliche Verantwortung wie in einem großen Konzern. Sagen wir, 50 000 Dollar am Jahresende wären okay gewesen. Aber 100 000? Platini und ich haben dieses Geld nicht gebraucht. Die Katarer auch nicht. Viele andere auch nicht. Aber einige nehmen dann eben mit, was sie kriegen können. Ich habe es in soziale Stiftungen investiert.
Gerade diese Gier macht viele Fans fassungslos.
Reiche Leute verlieren das Gefühl, was geht und was nicht.
„Ich bin zufrieden, wenn ich ein Schnitzel am Tag essen kann“
Der sehr wohlhabende Jack Warner steckte sich allein bei der WM 2006 mindestens eine Million US-Dollar Profit aus dem Wiederverkauf von Tickets ein. Nach der WM-Vergabe an Katar soll er 1,5 Millionen Euro von einer Firma des Katarers Mohamed bin Hammam bekommen haben.
Das ist nicht meine Welt. Ich bin zufrieden, wenn ich ein Schnitzel am Tag essen kann. Zumindest habe ich kein Neidempfinden gegenüber Menschen, die mehr besitzen als ich.
Haben Sie bei Männern wie Chuck Blazer oder Jack Warner gemerkt, dass Sie es mit Kriminellen zu tun haben?
Man merkt an kleinen Details, dass bestimmte Leute keine Grenzen mehr kennen. Die fordern dann für die Dauer einer WM auch mal riesige Suiten für ihre komplette Familie.
Chuck Blazer hat im Trump-Tower ein Apartment für seine Katzen gemietet.
An solchen Verhaltensweisen erkennt man auch den Charakter eines Menschen. Und wenn ein labiles System durchsetzt von charakterschwachen Menschen außer Kontrolle gerät – dann explodiert das.
Wollten Männer wie Blazer oder Warner Gott spielen?
(Überlegt.) Sprechen wir lieber von einer Gottähnlichkeit. Vielleicht sahen sie sich selbst eine Stufe drunter, auf Papst-Ebene. Sie konnten ja den Weltfußball tatsächlich beeinflussen. Sehen Sie nur die Männer-Weltmeisterschaft. Die Vergabe hat einen Wert von Milliarden…
…früher wurde über die Vergabe einer WM unter den 24 Exekutivkomitee-Mitgliedern abgestimmt.
Und bei jeder Vergabe gab es 18 oder 19 Mitglieder, die waren von vornherein festgelegt. Am Ende hing es immer an fünf oder sechs Stimmen. Jede einzelne dieser Stimmen war so gesehen viele Millionen Dollar wert. Natürlich wussten das diese Leute. Sie verkauften die Stimmen dann, einige aus materiellen Gründen, andere aus Großmannssucht. Mittlerweile haben wir immerhin ein Ziel erreicht, auf das auch ich hingearbeitet habe: die WM-Vergabe im Kongress. Es stimmen nun alle 207 FIFA-Mitgliedsländer ab. Natürlich kannst du bei der Vergabe auch heute noch bestechen, aber du musst viel mehr einsetzen, wenn du dich auf Bestechungssuche machst.
Vor der Vergabe der WM in Katar boten zwei der 24 Mitglieder des Exekutiv-Komitees, die Vertreter von Tahiti und von Nigeria, ihre Stimmen zum Kauf an und wurden dabei gefilmt. Ende Mai 2015 nahmen FBI-Ermittler hochrangige FIFA-Funktionäre fest, darunter zahlreiche Offizielle, die diese Vergabe nach Katar zu verantworten haben. Kann dieses Turnier weiterhin in Katar stattfinden?
Nein. Ich habe es schon oft gesagt, und ich stehe weiterhin dazu: Katar ist das Krebsgeschwür des Weltfußballs.
Katar reichte 2016 eine Klage gegen Sie ein.
Natürlich sind das harte Worte, aber ich will sie Ihnen erklären. Katar ist ein Land, in dem Menschen über einen großen Reichtum verfügen. Das gönne ich ihnen. Aber ich kritisiere, dass sie einen solidarischen und sozialen Sport wie den Fußball als Machtinstrument benutzen. Sie schafften zum Beispiel gesetzliche Rahmenbedingungen, um im Schnellverfahren Sportler einzubürgern. Sie entlohnen die Gastarbeiter nicht anständig. Sie scheren sich nicht um Menschenrechte und Menschwürde. Die ganze Denkweise ist extrem elitär. Das ist nicht mein Fußball, und vermutlich ist das auch nicht der Fußball vieler Millionen Fans.
Sepp Blatter hat gesagt, dass die Vergabe nach Katar zur Völkerverständigung beitragen soll.
Ein Charakterzug von Sepp Blatter als FIFA-Präsident war, dass er auch Dinge, die aus seiner Sicht falsch waren, im Sinne des Verbandes positiv nach außen verkaufen konnte. So werte ich solche Aussagen. Ich bin mir sicher, dass er nicht für Katar als WM-Ausrichter gestimmt hat. Allein deshalb, weil Bin Hammam bei der Präsidentenwahl 2011 sein Gegenkandidat war.