Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger feiert heute 75. Geburtstag. Für das 11FREUNDE-Spezial zum Thema „Skandale“ sprachen wir im Februar 2019 – noch vor dem Rücktritt von Reinhard Grindel – mit Zwanziger über die Korruptionsanfälligkeit von Fußballverbänden und ‑funktionären.
Auch Franz Beckenbauer fand nichts an der Vergabe nach Katar verwerflich. Bei seinen Besuchen dort habe er nach eigener Aussage keine Sklaven gesehen. Warum äußert kein Funktionär öffentlich Zweifel?
Weil es ein Geben und Nehmen ist. Die Katarer, die nun mal den Zuschlag bekommen haben, üben auch Druck aus. Aber es steht außer Zweifel, dass Franz Beckenbauer sich mit solchen Äußerungen selbst keinen Gefallen getan hat. Noch mal: Korruptionsentscheidungen passieren in einem fehlerhaften System mit charakterschwachen Personen, die in Teilen auch wirtschaftliche Interessen verfolgen. In so einem System ist Kritik irgendwann nicht mehr opportun.
Warum zieht die Fifa nicht die Entscheidung für Katar zurück?
Weil das Geld weiter wuchert. Aus der sportpolitischen Zusammensetzung des Kongresses folgt unter dieser Führung keine Entwicklung, die eine Absage möglich macht.
Was heißt das?
Ein Verbandspräsident, der einen derartigen Antrag einreicht, würde niedergestimmt und zukünftig in seinen Möglichkeiten beschränkt.
Selbst wenn es der Präsident des mitgliederstärksten Sportfachverbands der Welt ist?
Wenn mich Herr Grindel fragen würde, ob er beantragen soll, Katar die WM wegzunehmen, würde ich ihm davon abraten.
Warum?
Es würde dem DFB nur schaden, etwa wenn es darum geht, das nächste Mal ein großes Turnier auszurichten. Denn selbst wenn der DFB der mitgliederstärkste Verband ist, hat er im FIFA-Kongress so wie alle anderen nur eine Stimme.
Der DFB fügt sich also machtlos in ein korruptes System?
Nein, machtlos ist er nicht. Er sollte mit anderen fortschrittlichen Verbänden in der UEFA an nachhaltigen Verbesserungen arbeiten. Aus Alleingängen, und sind Sie in der Sache noch so richtig, veränderst du in diesem System Infantino nichts. Schauen Sie, was bei der WM-Vergabe 2006 passiert ist. Es geht um zehn Millionen Schweizer Franken, die 2002 von Franz Beckenbauer an Mohamed Bin Hammam gezahlt wurden. Sepp Blatter schickte Beckenbauer damals zu ihm, weil der Katarer – gemeinsam mit Jack Warner – in der FIFA-Finanzkommission saß. Der DFB sollte für das Turnier 250 Millionen Euro als Organisationskostenzuschuss erhalten. Der Verdacht liegt nahe, dass Bin Hammam zehn Millionen Schweizer Franken wollte, um diesen Betrag freizugeben. Der wirkliche Zweck ist bis heute ungeklärt. Aber was sollte Franz Beckenbauer tun? Der Forderung folgen oder die WM zurückgeben?
„Die Fifa geht nach dem Prinzip vor: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“
Waren Sie als hochrangiger DFB-Funktionär nicht in den Vorgang involviert? Bin Hammam hat Anfang 2018 in einem ZDF-Interview bestätigt, das Geld von Beckenbauer erhalten zu haben.
Aber auf die Frage, zu welchem Zweck es gedient habe, lacht er und sagt sinngemäß: „Ich weiß es, aber ich sag’s ihnen nicht.“ Er provoziert in dieser hochsensiblen Frage sogar noch. Ich selbst war 2002 noch nicht Mitglied des Organisationskomitees, sondern wurde erst im Juli 2003 berufen.
Bin Hammam wurde 2012 wegen Korruption von der FIFA-Ethikkommission auf Lebenszeit suspendiert.
Die FIFA könnte dennoch einschreiten und den Katarern sagen: „Ihr wollt doch eine WM nach Fairness- und Gleichheitsprinzipien ausrichten. Dann seid doch so nett und sagt Mohamed Bin Hammam, dass er in Deutschland aufklärt, was er weiß. Als früherer Funktionär wäre er laut Ethikbestimmung dazu verpflichtet.
Aber?
Gianni Infantino kümmert das offenbar nicht. Dabei müsste er Bin Hammam dazu zwingen, schließlich gehören die zehn Millionen Franken letztlich der Fifa. Wenn Bin Hammam sich weigert, könnte Infantino in seiner Position auch dem Emir einen Brief schreiben.
Aber er tut es nicht, weil er keine schlafenden Hunde wecken will?
Die Fifa geht nach dem Prinzip vor: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“ Und momentan isst die FIFA das Brot von Katar. Ein Spieler, der sich auf dem Feld brutal oder rassistisch verhält, wird hart bestraft. Gut so! Aber in den höchsten Funktionärsebenen gelten gänzlich andere Regeln.
Wenn es so ist, wie Sie sagen, warum schließen sich die großen europäischen Verbände zusammen und sagen vor der WM 2022: Wenn nicht endlich Transparenz und ethische Grundsätze gelten, spielen wir nicht mit?
Das wäre die letzte Möglichkeit: Boykott. Aber mit Boykott hat man im Sport selten gute Erfahrungen gemacht.
Glauben Sie, die FIFA könnte dem öffentlichen Druck standhalten, wenn etwa Deutschland, England, Spanien, Italien und Frankreich Ihre WM-Teilnahme in Frage stellen?
Da beginnt wieder die Abhängigkeit zu wirken. Alle Verbände, die sich für Katar qualifizieren, haben Sponsoren im Rücken und hohe Budgets akquiriert. Sie unterliegen wirtschaftlichen Zwängen. Deshalb bricht keiner aus dem System aus. Und noch mal: Ein Verband, der sich verweigert, wird zum Nestbeschmutzer und steht allein, während alle anderen noch fester zusammenhalten.
Das klingt, als sei es ein Naturgesetz. Hat niemand den Willen, so ein System zu bereinigen?
Ich würde es mir wünschen, aber es wird nicht passieren. In Hinterzimmern wird es natürlich diskutiert, aber öffentlich geht keiner auf die Barrikaden. Denn die Evolution von innen ist gescheitert. Wie gesagt: Infantino ist ein Rückschritt. Er will das Alte erhalten: das Spiel mit Macht, Geld und Medien. Und dafür hat er die Kontrollinstanz der Ethikkommission in den wichtigsten Punkten beschnitten und ausgehöhlt.