Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger feiert heute 75. Geburtstag. Für das 11FREUNDE-Spezial zum Thema „Skandale“ sprachen wir im Februar 2019 – noch vor dem Rücktritt von Reinhard Grindel – mit Zwanziger über die Korruptionsanfälligkeit von Fußballverbänden und ‑funktionären.
Dr. Theo Zwanziger, warum sind Fußballverbände so anfällig für Korruption?
Im Fußball ist das öffentliche Interesse sehr groß. Vielleicht noch größer als in der Politik. Auch in anderen Organisationen und Verbänden gibt es Korruption, nur bleibt dort vieles im Verborgenen, oder es wird erst gar nicht darüber berichtet.
Der Grund, warum wir annehmen, die FIFA sei von Korruption durchsetzt, ist also die enorme Popularität des Sports?
Natürlich nicht, allein die Beliebtheit führt aber zu einer breiteren Berichterstattung. Aus kleinsten Verdachtsmomenten werden oft große Geschichten gemacht. Außerdem lieben viele Menschen die mediale Aufmerksamkeit. Das sollte man zumindest im Hinterkopf behalten, wenn man über die FIFA und Korruption im Fußball spricht.
Was läuft falsch im größten Sportverband der Welt?
Wir haben dort Abhängigkeitsverhältnisse in einem korruptionsgeneigten Umfeld. Vereinfacht gesagt: Wer dort von der Basis nach ganz oben kommen möchte, stellt sich gut mit seinen Vorgesetzten. Wer oben bleiben möchte, tut gut daran, seine Mitarbeiter nicht zu vergraulen. Dazu gibt es eine Tendenz zum Wegschauen, Transparenz und Kontrolle sind unzureichend.
Abhängigkeiten gibt es auch in politischen Systemen.
Mit einem zentralen Unterschied: Das politische System lebt durch Oppositionen, außerdem finden alle vier, fünf Jahre Wahlen statt. Man hat Gegenkandidaten und ein Verhältnis von wechselseitiger Kontrolle. In Fußballverbänden wie der FIFA gibt es keine Opposition und keine Beschränkung der Amtszeit. Die Machthaber verfügen über große Möglichkeiten, eigene Vorstellungen durchzusetzen, ohne kontrolliert zu werden.
Die 2006 gegründete Ethikkommission der FIFA sollte genau dies tun: kontrollieren. Warum ist sie gescheitert?
Eine solche Kommission muss ein unabhängiges Organ sein. In der FIFA war sie das zeitweise auch, mit den Juristen Cornel Borbely aus der Schweiz und Hans-Joachim Eckert aus Deutschland an der Spitze. Als Gianni Infantino FIFA-Präsident wurde, hat er die beiden allerdings abgesetzt, weil sie ihm gefährlich wurden.
Borbely ermittelte zum Beispiel gegen Infantino, weil dieser die Präsidentenwahl des afrikanischen Kontinentalverbands 2016 beeinflusst haben soll.
Borbely und Eckert haben auch vor ranghohen Funktionären nicht Halt gemacht. Für Infantino war aber unvorstellbar, dass er als Präsident in die Schusslinie gerät. Also ersetzte er die beiden durch Verbündete und Speichellecker.
Sie sprechen von der Kolumbianerin Maria Claudia Rojas, die aktuell den Vorsitz hat.
Ich kenne sie nicht und kann daher nichts über sie sagen.
„Ich kritisiere, dass Blatter zu lange im Amt war“
War die Situation unter Sepp Blatter anders?
Was man bei aller Kritik an Blatter nicht vergessen darf: Der Ethikkodex wurde mit seiner Hilfe durchgesetzt, gegen den Willen der Südamerikaner und der Europäer um Infantino. Am Ende hatten wir eine schlagkräftige Untersuchungskammer konstituiert. Sie war in der Lage, den Präsidenten zum Handeln aufzufordern und im Zweifel sogar zu sperren. Blatter hatte Macht abgegeben.
Nach Sepp Blatters Ende sagten Sie: „Heute ist ein guter Tag für den Fußball.“ Das klingt nicht gerade so, als wären Sie früher großer Blatter-Freund gewesen.
Ich sehe ihn differenziert. Er hat viel für den Fußball getan und sich, im Gegensatz zu Infantino, auch für wenig beachtete Bereiche wie den Frauenfußball eingesetzt. Aber ich kritisiere, dass er zu lange im Amt war. Zumal er vor seiner Zeit als Präsident schon 17 Jahre Generalsekretär der FIFA gewesen war. Dieses Beharren auf Amtszeiten ist ein großes Problem dieses Verbandes. Ich plädiere für eine Begrenzung auf acht Amtsjahre, also eine einzige mögliche Wiederwahl. Wenn du weißt, in drei oder vier Jahren ist mein Chef ein anderer, entstehen keine großen Abhängigkeitsverhältnisse.
War Blatter korrupt?
Ich glaube nicht, dass man ihm ein wirklich strafbares Verhalten vorwerfen kann und er konkret für einen Entscheidung die Hand aufgehalten hat.
Weil er clever genug war?
Weil er gut bezahlt war. Und weil er die Macht lieber anders gestalten wollte. Er kannte das System, und er nutzte es in seinem Sinne. Im Übrigen glaube ich auch nicht, dass Michel Platini korrupt ist.
Wie können Sie das mit Bestimmtheit sagen?
Der Begriff „Korruption“ bedeutet, dass man in die eigene Tasche wirtschaftet, und eine sachwidrige Entscheidung herbeiführt. Diese Haltung sehe ich bei Platini nicht.
Platini wurde von der Ethikkommission suspendiert, weil Blatter ihm zwei Millionen Schweizer Franken für seine Dienste in den Jahren um die Jahrtausendwende gezahlt hatte. Das Geld floss erst 2011, was zu der Annahme führte, Blatter habe Platini für seine Unterstützung im Wahlkampf gegen Bin Hammam bezahlt.
Dieser Vorgang wurde 2015 mit großem Bohei von der Staatsanwaltschaft öffentlich gemacht, aber seitdem hat es in dieser Sache keine weiteren Erkenntnisse gegeben. Meines Erachtens auch dieses Vorgehen ein Skandal. Ich kann nur sagen, dass Platini mit mir und Blatter gegen die Korruption angehen wollte. Natürlich hat er bei der WM-Vergabe für Katar gestimmt, aber ich bin sicher, dass er keinen persönlichen Vorteil daraus gezogen hat.Und diesen Unterschied mache ich