Im Februar kündigte Uli Hoeneß an, der FC Bayern habe ganz dicke Fische an der Transferangel. Nun scheint es, als kapitulierten sogar die Münchner vor der unbegrenzten Kaufkraft der internationalen Top-Klubs. Was bedeutet das für die Bundesliga?
Rückblick
Auch das Double kann nicht darüber hinweg täuschen: Die Spielzeit 2018/19 war für den FC Bayern ein Jahr des Übergangs. Mit einer Politik der ruhigen Hand trotzte Coach Niko Kovac jedweder Kritik und blieb auch unter ärgstem Beschuss seiner Linie treu. Bereits im November 2018 war er zum Abschuss freigegeben, als der FC Bayern eine 3:1‑Führung zuhause gegen Fortuna Düsseldorf nicht über die Zeit brachte. Kovac beantwortete Fragen nach seiner Demission auf seine Art. Er disziplinierte das Team derart, dass es von den verbleibenden 22 Saisonspielen nur noch eins verlor.
Dennoch stand er im März 2019 nach dem Achtelfinal-Aus in der Champions League erneut vor der Entlassung, behielt abermals die Nerven und loggte am Saisonende verdientermaßen zwei von drei möglichen Trophäen ein. Kovac hat bewiesen, dass er den Anforderungen beim Rekordmeister gewachsen ist. Die Sperrfeuer in seinem ersten Bayern-Jahr haben ihn gestählt – und manifestieren sich nun in einem engen Verhältnis zu weiten Teilen des Kaders. Dafür spricht auch seine Entscheidung, Thiago zum neuen Leitwolf auszurufen. Vielleicht hat Kovac nach den tiefen Verletzungen, die er durch die Indiskretionen seiner Vorgesetzten ertragen hat, das Zeug, eine neue Ära an der Säbener Straße auszurufen. Zumindest kann er etwas gelassener in sein zweites Jahr gehen. Und doch ist er erfahren genug zu wissen: Sicher kann sich ein Trainer beim FCB nie sein. Das Double ist allenfalls ein Minimalziel, ein eigenes Zeitalter wird er erst prägen, wenn er den Champions-League-Titel nach Hause bringt.
Transfers
Perisic? Euer Ernst? Uli Hoeneß hat schon viel Quatsch in seinem Leben geredet, aber am 24. Februar sprach er einen Satz, der ihm dieses Jahr über die Maßen verleidet haben dürfte – und womöglich seine Entscheidung, nicht mehr als Bayern-Präsident zu kandidieren, beschleunigt hat: „Wenn Sie wüssten, wen wir schon alles sicher haben.“ Einen Monat später verkündete der FC Bayern die Verpflichtung des 23-jährigen Lucas Hernandéz für 80 Millionen Euro.
Doch wer mutmaßte, dass dieser Transfer nur der Beginn einer limitlosen Einkaufsoffensive und damit der erste Stein in dem schlossartigen FCB-Bau der Zukunft sein würde, sah sich getäuscht. Okay, gemeinsam mit Landsmann Benjamin Pavard bildet Hernandez ein bombensicheres Abwehrbollwerk. Doch in der Kreativabteilung hat das Münchner Management bislang nicht mal ansatzweise für adäquaten Ersatz für die namhaften Abgänge gesorgt.
Fast scheint es, als wisse der viertumsatzstärkste Fußballverein der Welt nicht mehr, was er mit der ganzen Kohle auf seinem Festgeldkonto anstellen soll. Als sich der Königstransfer Leroy Sané das Kreuzband riss, zerbröselte auf einen Schlag die komplette Transferstrategie der Münchner. Hastig wurde Ivan Perisic als Vertreutung geholt. Mit Verlaub, nach einem umfassenden Plan klingt diese Vorgehensweise nicht. Es bleibt also abzuwarten, was von Hoeneß‘ großspuriger Ankündigung am Ende übrig bleibt. Klar aber ist: Wenn nicht noch Gravierendes passiert, wird sich der Rekordmeister mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass auf internationalem Parkett zukünftig oft frühzeitig Zapfenstreich ist. Denn ob Jann-Fiete Arp, der zuletzt beim Zweitligisten HSV meist von der Bank kam, am Ende Robert Lewandowski beerben kann, ist eher zweifelhaft.
Boss-Level
Die große Frage: Was wird Uli Hoeneß am 29. August bekanntgeben? „Bild“ hat vermeldet, er werde nicht mehr als Präsident kandidieren und seinen Posten als Aufsichtsratchef aufgeben. Sollte es wirklich so kommen, ist es eine Zeitenwende an der Säbener Straße. Sollte ihm Ex-Adidas-Chef Herbert Hainer als Präsident nachfolgen, würde der FCB seinen Nimbus als Weltklub mit Herz verlieren. Eines Vereins, der trotz großer Erfolge seine provinziellen Wurzeln nie verleugnet.
Bislang präsentierten sich die Bosse gern als breitbeinige Pfundskerle, die schon zum Frühstück das Testosteron eimerweise schaufeln, um den deutschen Marktführer durch die stürmische See des globalen Fußballs zu navigieren, getrieben aber von der steten Angst, auf dem Parkett der Weltvereine doch nur am Kindertisch Platznehmen zu dürfen. Insgeheim sind sich Rummenigge und Hoeneß trotz berstenden Festgeldkontos und konstanten Erfolgs in der Bundesliga noch immer unsicher, ob die internationalen Fußballfürsten den FCB zur absoluten Spitzenklasse zählen. Und dieser Gedanke wirkt wie der Magnet vor dem Perpetuum Mobile, der den FC Bayern in ständiger Bewegung hält.
Wie genau Sportdirektor Hasan Salihamidzic in dieses fluide System passt, ist auch zwei Jahre nach dessen Berufung nur schwer zu ermessen. Experten sind sich einig, dass nach wie vor die Altvorderen die Geschicke des FCB bestimmen – und der ehrgeizige Bosnier allenfalls als Inspirationsquell und Übergangsmanager dient, ehe mit Oliver Kahn demnächst ein echtes Schwergewicht den zentralen Entscheiderposten in sportlichen Fragen übernimmt. Und wie bei allen anderen derzeit offenen Fragen steht auch bei dieser Rochade in den Sternen, ob Rummenigge und Hoeneß in der Lage sind, nach all den Jahren Verantwortung abzugeben. Denn klar ist: Ob mit oder ohne offizielles Amt, Uli Hoeneß wird seinen FCB nie wirklich loslassen können!
Umfeld
Die Distanz zwischen Anhang und Klub wächst. Wie soll es anders sein, bei einem Verein, der seine Mitgliederzahl in den vergangenen zehn Jahren von 150 000 auf 291 000 fast verdoppelt hat. Der FC Bayern ist nicht vergleichbar mit anderen Bundesligisten, deren Selbstverständnis und damit auch ein Teil der sportlichen Erfolgsgeschichte auf der Nähe zu den Fans fußt. Die Bayern sind gesamtdeutsches Kulturgut, ihr Erfolgshunger speist sich aus dem Bewusstsein, von einem Teil der Bevölkerung gehasst, vom anderen geliebt zu werden.
Dennoch scheinen die Bosse erkannt zu haben, dass es ohne den Support der umtriebigen Ultras auch im glitzernden Operetten-Haus Allianz Arena still werden könnte. Vor der neuen Saison wurde der Dialog mit Vertretern der „Schickeria“ vorangetrieben und Wünschen stattgegeben, die die Ultras zur Verbesserung der Atmosphäre beim Klub beantragt hatten. Darüber hinaus hat sich die Ultraszene und der „Club Nr. 12“ verständigt, in der Südkurve enger zu kooperieren, um die Einigkeit unter den aktiven Fans zu stärken und die Stimmung im Stadion zu verbessern. Zitat: „Auf beiden Seiten ist die Erkenntnis gewachsen, dass man nur gemeinsam etwas erreichen kann.“
Trikot
Wie sicher sich die Münchner ihres Stellenwert im deutschen Fußballs sind, beweist das konstant zeitlose Design. Die satten Farben und die klassische Form eignen sich auch für peripher Fußballinteressierte ideal als Freizeitbekleidung. Ob der Versicherungskonzern, der dem Stadion seinen Namen gibt, darauf gedrungen hat, dass sowohl beim roten Heim- als auch beim weißen Auswärtsjersey die Waben der Arena appliziert werden, lässt sich nicht recherchieren. Zumindest in diesem Punkt wäre noch weniger mehr gewesen.
11FREUNDE-Prognose
Selbst ohne weitere Toptransfers ist der FC Bayern gut genug, das Double zu wiederholen. Entscheidend wird sein, ob die Führungsetage bei Rückschlägen die Nerven behält und dem Trainer vertraut. Denn sicher ist: Der BVB kann bei optimaler Ausnutzung seiner Potenziale – anders als in der letzten Spielzeit – bis zum Saisonende ein Gegner auf Augenhöhe bleiben. Die aktuelle Transferpolitik der Westfalen ist einfach überzeugender als die der Münchner. Im Fotofinish entscheidet dann meist die Erfahrung – und da haben die Bayern bekanntlich meist die Nase vorn. In der Champions League jedoch, das ist sicher, wird der gegenwärtige Kader nur mit sehr viel Losglück übers Viertelfinale hinauskommen.