Heute vor 50 Jahren lieferten sich Deutschland und Italien im WM-Halbfinale einen 120-minütigen Kampf, der als „Jahrhundertspiel“ in die Geschichte einging. Und der sonst so distanzierte Kurt Brumme vergaß im Radio jegliche Neutralitätsgebote. Ein O‑Ton-Protokoll.
„Hier sind die Rundfunkanstalten der ARD. Wir berichten von der neunten Fußball-Weltmeisterschaft und schalten um nach Mexiko.” „Hier ist das Studio der ARD in Mexiko. Guten Abend meine Damen und Herren in Deutschland. Hallo Baden-Baden. Bitte melden!” „Guten Abend Rolf Gunckel in Mexiko. Seit dem 3:2‑Sieg über England fiebern Millionen deutscher Fußballfreunde der Halbfinalbegegnung gegen Europameister Italien entgegen. Ist im Aztekenstadion schon der Anpfiff erfolgt?” „Nein. Soweit ich auf dem Kontrollschirm hier im Studio sehe noch nicht. Aber in wenigen Minuten beginnen die beiden Halbfinalspiele dieser Weltmeisterschaft.” „Guten Abend, Kurt Brumme. Bitte melden!”
3. Minute: „Meine Damen und Herren. Leider ist momentan die Verbindung mit Mexiko gestört. Wir bemühen uns die Verbindung wiederherzustellen. Bis dahin spielen wir etwas Musik.”
5. Minute: „Die Italiener sind aus der Höhe heruntergestiegen.”
7. Minute: 1:0 für Italien: „Einwurf der italienischen Mannschaft. Deutschland muss mit dem neuen Konzept gegen Italien erst einmal fertig werden. Burgnich hat eingeworfen. Zu de Sisti gespielt. De Sisti in die Spitze zu Boninsegna, der sich jetzt genau auf den Mittelpunkt absetzt und 20 Meter vorm deutschen Tor steht. Will nach innen passen, hat jetzt den Ball – schießt! Und Tor!”
12. Minute: [Brumme kramt in der Vergangenheit:] „Unsere Bilanz nach dem Krieg: Zwei Niederlagen gegen Italien, 1:2 jeweils. In Rom und in Stuttgart. Ein Unentschieden, 0:0 in Chile, in Santiago. Und ein 1:1 schließlich noch, in Hamburg. Das ist also die Bilanz der deutschen Mannschaft gegen Italien, gegen die wir, obwohl wir schon sehr lange einen Länderspielverkehr pflegen, nicht allzu oft angetreten sind.”
15. Minute: „[Maier] müsste eben einen Schritt vorgegangen sein. Oder täuschen wir uns hier? [Denkt Brumme vielleicht, er sei bei X‑Faktor?] Wir sitzen 30 Meter über dem Spielfeld, und uns ist natürlich jeder Winkel genommen. Wir können gar nicht abschätzen, was hier richtig oder falsch ist.”
22. Minute: [Das Spiel, ein Plätschern, ein Nichts. Das hält Brumme aber nicht davon ab, dieses Nichts detailreich zu schildern:] „Sepp Maier hat den Ball und protestiert. Schiedsrichter Yamasaki prüft ihn auch nach – offenbar zu wenig Luft im Ball und ein neues Leder fliegt jetzt aufs Spielfeld. Bis jetzt war es ein weißer Ball. Nun kommt der schwarz-weiße aufs Spielfeld, den sie ja alle kennen.”
26. Minute: „Wer soll denn diesen Ball erreichen? Und da schimpft jetzt Gerd Müller vorne. Der hat ja schließlich auch keine Rakete unter den Füßen.”
27. Minute: „Mazzola hier, Mazzola da, Mazzola überall und dazwischen Domenghini.”
30. Minute: „Boninsegna ist natürlich wieder an nichts schuld. Er hebt verschwörend die Arme und sagt: Mamma mia!”
33. Minute: [Jetzt zieht Brumme den Stahlhelm auf:] „Angriff der deutschen Mannschaft, mit Grabowski: Schuss gegen das italienische Tor, aus 30 Metern. Eine Bombe! Und Albertosi muss schon klären. Mit dem linken Handschuh knallt er den Ball noch so eben über die Querlatte.”
34. Minute: „1:0, man sagt, wenn die italienische Mannschaft 1:0 in Vorteil kommt, dann ist recht wenig zu machen. Dann ist die Hintermannschaft für die nächsten 250 Minuten gut, hier ohne Tor zu überstehen.”
38. Minute: „Das ist echt italienische Profiluft, die hier durchs Stadion weht. Sie tun nichts, was der Schiedsrichter sagt. Sie kommen schrittweise. So 25 Zentimeter …”
42. Minute: „Aber der Schiedsrichter pfeift einen Freistoß gegen Deutschland. Obwohl Beckenbauer eindeutig den Ball getroffen hat und ihn wegschlug.”
45. Minute: „Und der Schiedsrichter lässt den Freistoß wiederholen oder was macht er? Oder hat er zur Halbzeit gepfiffen? Ich nehme an, es ist Halbzeit … jawohl. Halbzeit!” „Und ich muss dazu sagen. Verdienterweise steht es 1:0 für Italien. Das deutsche Spiel ist noch nicht zum Tragen gekommen.”