Nach Streitigkeiten mit Arsenals Fans verlor Granit Xhaka sein Kapitänsamt und stand kurz vor der Flucht zu Hertha BSC. Kaum drei Monate später ist der Schweizer bei den Gunners Leistungsträger und Führungsspieler zugleich. Über eine wundersame Wiederauferstehung.
27. Oktober 2019, 10. Spieltag der Premier League. Unter Trainer Unai Emery liefert der FC Arsenal zuhause gegen Crystal Palace die nächste enttäuschende Leistung. Nicht nur spielerisch, auch tabellarisch droht der Klub im Mittelmaß zu versinken. Die Gemüter im Emirates Stadium sind erhitzt, vor allem bei Spielführer Granit Xhaka.
In der 61. Spielminute wird er ausgewechselt – unter hämischem Applaus und Buhrufen. Wutentbrannt stampft er über den Platz. Die sonst so akkurat gegelten Haare hängen dem Schweizer ins errötete Gesicht. Die gezupften Augenbrauen sind eng zusammengekniffen. Die Buhrufe werden lauter. Xhaka platzt der Kragen. Er hebt die Arme in die Luft, hält sich die Hand ans Ohr und fordert die Anhänger auf, noch lauter zu buhen, ehe ein unmissverständliches „Fuck off“ seine Lippen verlässt. An der Seitenlinie angekommen, reißt er sich das Trikot vom Leib und stürmt in die Kabine.
Nicht wenige sind davon überzeugt, dass er in diesem Augenblick zum letzten Mal die Katakomben des FC Arsenal aufsucht. Dass er nach diesem Auftritt noch einmal für den Verein aufläuft, erscheint schwer vorstellbar.
Knapp drei Monate später strahlen Granit Xhakas braune Augen in die Kamera von Arsenal TV, sein glattes Gesicht glänzt. „Ich muss etwas lächeln, weil ich sehr, sehr glücklich bin, zurück zu sein und das zu genießen, was ich am meisten liebe, nämlich für diesen Verein Fußball zu spielen“, sagt Xhaka. Eine 180-Grad-Wende.
Seit seinem 45 Millionen Euro schweren Wechsel von Borussia Mönchengladbach im Sommer 2016 hat beim FC Arsenal wohl einzig Mesut Özil so sehr polarisiert wie der Schweizer. Befürworter des Mittelfeldspielers loben seinen unermüdlichen Einsatz, die harten Tacklings, seine präzisen Diagonalbälle und wie er im Spiel der Gunners den Takt vorgibt. Seine Kritiker dagegen weisen auf mentale Aussetzer hin, seine unbedachten Fehlpässe mitten in den Lauf des Gegners oder seine oftmals stümperhafte Härte, die schon den ein oder anderen Elfmeter zur Folge hatte.
Die Mannschaft hingegen scheint von seinen Fähigkeiten überzeugt. In einer internen Wahl bestimmt sie Xhaka im September 2019 zu ihrem Kapitän. Teile der Öffentlichkeit sind irritiert. Arsenals ehemaliger Verteidiger Martin Keown gibt bei Talksport vor dem Hintergrund Xhakas sportlicher Leistungen zu bedenken: „Die Spieler wollen ihn, aber es ist interessant, dass der Trainer das nicht selbst entscheiden konnte. Wir müssen es respektieren, aber es geht um die Leistungen auf dem Platz und da möchte ich mehr von ihm. Das wird das Fanlager spalten.“
Nach jenen Vorkommnissen des 27. Oktobers 2019 ist das Fanlager nicht nur gespalten, die Stimmung gegen den emotionalen Mittelfeldspieler ist endgültig gekippt. Trainer Unai Emery versucht verzweifelt, die Wogen zu glätten, fordert seinen Kapitän zu einer öffentlichen Entschuldigung auf. Vier Tage später folgte ein Statement, oder wie Xhaka es nennt, „eine Erklärung“. Er schreibt: „Die Szenen um meine Auswechslung haben mich tief berührt. Ich liebe diesen Klub und gebe immer 100 Prozent auf und abseits des Platzes. Mein Gefühl, nicht von den Fans verstanden und bei Spielen sowie in den Sozialen Medien immer wieder beleidigt zu werden, haben mich schwer verletzt.“
Der Klub bietet Xhaka psychologischen Beistand an. Sein Trainer, selbst massiv unter Druck, reagiert, indem er seinen Kapitän eine Woche später von seinem Amt befreit und ihn die kommenden drei Spiele komplett aus der Schusslinie nimmt.
Nach dreieinhalb Jahren scheint Xhakas Ende im Norden Londons unausweichlich. Unmittelbar vor der Öffnung des Winter-Transferfensters initiiert sein Berater die Flucht nach Deutschland: “Wir sind uns mit Hertha BSC einig und würden gerne nach Berlin gehen. Arsenal war über alle Schritte informiert, der Spieler und Hertha sind klar. Es geht nur noch um die Ablösesumme der Klubs“, erklärt er im Dezember gegenüber dem Schweizer Blick.
Doch der Wechsel kommt nicht zustande. Denn bei Arsenal hat nun ein neuer Trainer das Sagen. Und der überzeugt Xhaka nicht nur von einem Verbleib, sondern macht ihn zu einem wichtigen Bestandteil seiner Pläne.