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Dieser Text stammt aus 11FREUNDE #251, unserer aktu­ellen Aus­gabe. Das Heft bekommt ihr am Kiosk eures Ver­trauens oder hier bei uns im Shop.

Im Trent Bridge Inn hält Eber­hard Klein­rensing, den jeder Ebby“ nennt, Hof wie ein Pate. Immer wieder kommen in dem rie­sigen Pub in der Nähe des Sta­dions von Not­tingham Forest Leute zu Ebby an den Tisch und begrüßen ihn. Der steht nicht auf und dreht ihnen nicht mal den Kopf zu. Aber Ebby ist kein Don, es würde ihn ein­fach zu viel Kraft kosten auf­zu­stehen, und den Kopf kann er nur noch minimal zur Seite bewegen. Außerdem hat er für alle nur freund­liche Worte, die aller­dings auch eine herz­liche Belei­di­gung sein können. You twat“, begrüßt er einen alten Kumpel, der aus der Bezeich­nung Voll­depp“ pure Liebe her­aus­hört. Manche sehen in dem Mann in der braunen Leder­jacke, die genauso über und über mit Auf­nä­hern von Not­tingham Forest besetzt ist wie seine Kappe und sogar seine San­dalen, auch ein Orakel. Bleiben wir denn in der Pre­mier League?“, fragt etwa Francis, der zu den Spielen von Forest extra aus Nord­ir­land anreist. Ja, klar“, sagt Ebby, und Francis reißt kurz die Faust hoch, als hätte seine Mann­schaft tat­säch­lich schon den Klas­sen­er­halt geschafft.

In Not­tingham ist Ebby welt­be­rühmt, 1998 wurde er von den anderen Forest-Fans zum Fan des Jahr­hun­derts“ gewählt. Ein Abdruck seiner Hand kam ins eng­li­sche Fuß­ball­mu­seum. Wie man das halt mit Stars macht. Eine kleine Berühmt­heit hätte er auch in Deutsch­land sein können. Die damals neuen TV-Talk­shows wollten den ver­rückten Typen alle haben, zwanzig Ein­la­dungen schlug er aus. Aus jener Zeit gibt es aber eine Fern­seh­re­por­tage über Ground­hopper, in der auch Ebby vor­kommt. Ein Kame­ra­team trifft ihn erst zu Hause in Duis­burg, begleitet ihn dann vom Flug­hafen Düs­sel­dorf nach Bir­mingham, auf der Wei­ter­fahrt nach Not­tingham und von dort im Bus zum Aus­wärts­spiel nach Shef­field. Wir erfahren, dass er 40 bis 50 Mal im Jahr hin- und her­pen­delt und dafür rund 40 000 Mark aus­gibt. Vor dem Sta­dion, so sehen wir in der Doku, schüt­telt Ebby dann Hände wie eine Berühmt­heit, und als er den Gäs­te­block betritt, wird er mit Sprech­chören gefeiert. Ebby winkt zurück und hält nach dem Spiel noch eine don­nernde Ansprache an die mit­ge­reisten Fans. Klas­si­scher Fall von Showman aus der Kurve.

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1978 hat er sein erstes Spiel von Forest gesehen, inzwi­schen ist Ebby Klein­rensing in Not­tingham Fan des Jahr­hun­derts“ – und eine Legende.

Ross Cooke

Doch gerade jetzt, wo Forest nach 23 Spiel­zeiten end­lich wieder zurück in der Pre­mier League ist und die Ebby-Show welt­weit senden könnte, ist sie fast vorbei. Mit 62 Jahren kann er nicht mehr auf­springen, um eine Kurve zu unter­halten. Das Rheuma in den Knien, das ihn schon sein ganzes Leben plagt, ist zu heftig geworden. Vor einigen Jahren wurde zudem Morbus Bech­terew dia­gnos­ti­ziert, noch eine rheu­ma­ti­sche Erkran­kung, bei der die Wir­bel­säule immer steifer wird. Nur unter größten Anstren­gungen kann er ein paar Schritte laufen. Seit gut vier Jahren sitzt Ebby im Roll­stuhl.

Im Pub kommt einer her­über, der etwas älter ist und schon länger zu den Spielen von Forest geht. Er sagt: Es ist halt eine Sucht.“ Ebby nickt. Aber stimmt das über­haupt? Ist er wirk­lich ein Süch­tiger? Natür­lich will er kein Spiel ver­passen, so unbe­deu­tend es auch sein mag. Ebby hat eine viel ein­fa­chere Ant­wort, warum er das alles macht. Ohne Forest hätte ich ein trost­loses, lang­wei­liges Leben gehabt“, sagt er und ver­zieht das Gesicht etwas abschätzig. Dann setzt er ach­sel­zu­ckend hin­terher: Kauf­mann …“ Als würde das alles erklären.

Wie sich Ebby in Not­tingham ver­liebte

Er hat Groß- und Ein­zel­han­dels­kauf­mann gelernt, nachdem er in der Schule vier Mal sit­zen­ge­blieben war. Nach der Lehre wech­selte er bald in die Stra­ßen­bau­firma seines Vaters, der auch Fuß­ballfan ist, von Bayern Mün­chen. Der Vater und seine Mutter unter­stützten ihn, als Ebby sein Leben in ein ewiges Aben­teuer zu ver­wan­deln begann, in eine nie endende Reise zum nächsten Spiel von Not­tingham Forest. Erste Sta­tion war 1978 Liver­pool, wohin er fuhr, weil er im Kicker“ über den Klub gelesen hatte, der über­ra­schend zum ersten Mal in seiner Ver­eins­ge­schichte eng­li­scher Meister geworden war. 18 war er und hatte komisch roman­ti­sche Vor­stel­lungen von diesem Klub: Ich dachte, die spielen in Robin-Hood-Tri­kots.“ Das war natür­lich Quatsch, aber Forest warf an der Anfield Road Titel­ver­tei­diger Liver­pool, das Über­team jener Jahre, aus dem Euro­pa­pokal der Lan­des­meister. Um Ebby aus Duis­burg war es geschehen.

Wobei er seine Liebe anfangs noch zwi­schen dem MSV Duis­burg und Not­tingham Forest teilte. Vom MSV hat er 400 Spiele gesehen, folgte dem Klub quer durch Deutsch­land, aber 1993 war Schluss damit. Er hätte es eigent­lich schon früher wissen können, als er im Block F des Duis­burger Wed­au­s­ta­dions mit dem Ohr am Welt­emp­fänger saß, um die BBC-Fuß­ball­über­tra­gungen aus Eng­land zu hören, statt sich auf das Spiel der Zebras zu kon­zen­trieren. Es war nicht geplant, dass Forest mein Lebens­in­halt wird. Aber ab Mitte der Neun­ziger gab es nur noch ein Ziel: für jedes Spiel kämpfen.“ Nach der Wahl zum Superfan sowieso, nun spürte Ebby eine Ver­pflich­tung.

Eine logis­ti­sche Meis­ter­leis­tung

Es ist irre, wohin ihn das gebracht hat: in zwanzig Länder, sogar bis nach Japan. Das Finale im Welt­pokal 1981 hat er gesehen und natür­lich die Euro­pa­po­kal­siege in den beiden Jahren zuvor. Vom Finale 1979 gegen Malmö, das in Mün­chen statt­fand, fuhr er nachts mit dem Zug zurück, um mor­gens pünkt­lich bei der Arbeit zu sein. Das Hin und Her zwi­schen Deutsch­land und Eng­land war eine logis­ti­sche Meis­ter­leis­tung in einer Zeit vor dem Internet, als es noch kom­pli­ziert war, Züge und Flüge zu buchen oder mit­zu­be­kommen, dass ein Spiel ver­legt oder abge­sagt worden war. Das wirk­liche Aben­teuer bestand im Grunde darin, mög­lichst viele Hin­der­nisse zu über­winden im Kampf um jedes Spiel.

Die anderen Fans fei­erten ihn, wenn er es tat­säch­lich immer wieder schaffte, sich wie der große Hou­dini aus den Ketten zu befreien. Als im April 2010 der Aus­bruch des islän­di­schen Vul­kans Eyja­f­jal­la­jö­kull den Flug­ver­kehr in Europa lahm­legte, erwischte Ebby gerade noch den letzten Fähr­platz von Calais nach Dover. Mitten in der Nacht kam er in Not­tingham an, um drei Stunden später in den Bus nach Black­pool zu steigen. Der Leiter des dor­tigen Ord­nungs­dienstes sagte: Ebby, mit dir haben wir nicht gerechnet.“ Aber er hatte es wieder mal geschafft, der Teu­fels­kerl.