Heute wird Franz Beckenbauer 75. Jahre alt. So umstritten er mittlerweile als Funktionär ist, so unbestritten sind seine sportlichen Leistungen als Spieler. Bloß: Wie gut war Beckenbauer wirklich? Eine Analyse.
Die Spielübersicht ist also etwas, was im Prinzip jeder Fußballspieler mitbringen muss. Gleiches gilt für das Stellungsspiel in der Defensive. In beiden Hinsichten mag Beckenbauer nicht schlechter gewesen sein als andere überdurchschnittlich gute Spieler, aber eben auch nicht derart signifikant besser, dass man ihn in der Weise, wie das geschehen ist, in einer Sonderkategorie herausheben müsste.
Kritisieren an seinem Spiel könnte man: Er hat sich aus gefährlichen Situationen meist herausgenommen und die Drecksarbeit anderen überlassen; er hat sich seine Freiheiten genommen und ist dann langsam zurückgetrabt, während andere die Lücken schließen und die Struktur im Spiel aufrecht erhalten mussten; er hatte, in zahlreichen Filmaufnahmen immer wieder sichtbar, enorme Schwächen im Kopfballspiel; er hat den Ball zumeist unbedrängt angenommen und weiterverarbeitet; er zeigte technische „Kabinettstückchen“, allerdings war darunter nichts Außergewöhnliches, brasilianische Kinder hätten ihm sicherlich Tricks zeigen können, an denen er gescheitert wäre.
Sicher war Beckenbauer technisch äußerst begabt, und das was er tat, sah immer gekonnt aus. Vor allem seine geschlenzten Pässe, die er freilich nicht, wie immer behauptet wurde, locker aus dem Fußgelenk (das geht nämlich gar nicht), sondern locker aus dem mitschwingenden Kniegelenk geschlagen hat. In jungen Jahren war er schnell und konditionsstark, vor allem hatte er ein enormes Tempo beim Antritt. Er war selbstbewusst, traute sich etwas zu und hatte keine Hemmungen, das Kommando an sich zu reißen. Aber das allein machte ihn noch nicht zu einem besonderen Spieler.
„Sein Bewegungsablauf ist so harmonisch, wie ich es noch bei keinem anderen Spieler gesehen habe“
Unbestritten und unbestreitbar ist die besondere Eleganz Beckenbauers. „Sein Bewegungsablauf ist so harmonisch, wie ich es noch bei keinem anderen Spieler gesehen habe“, pries Helmut Schön die Erscheinung seines Kapitäns auf dem Platz. „Außerdem beherrscht er in der Ball- und Schlagtechnik jede Variante.“ An der Seite von Schwarzenbeck kam seine tänzerische Leichtigkeit im Kontrast zu dessen bäuerisch-grober Kantigkeit noch besser zur Geltung. Spektakulär wurde Beckenbauers Ausstrahlung aber erst dadurch, dass sich zur Bewegungsbegabung und zur technischen Finesse auch noch ein bestimmter Habitus gesellte. Die Analysten von „spielverlagerung.de“ formulierten treffend: „Erst seine Aura, sein Gang machen ihn zu einem außergewöhnlichen Akteur auf der Bühne des Weltfußballs. Niemand reicht an seine Ausstrahlung heran. Seine Körperhaltung – sie ist offen und selbstbewusst. […] Er schaut nicht nach unten. Ein Kaiser schaut nie nach unten.“
Beckenbauer scherte immer wieder aus der Mannschaftsdisziplin aus, kultivierte seinen eigensinnigen und egoistischen Stil und damit sein Image als besonderer Spieler. Und als er es geschafft hatte, von den eigenen wie von den gegnerischen Spielern als „Star“ akzeptiert zu werden, konnte er die dadurch entstandenen psychologischen Effekte nutzen und sein Potential so entfalten, als sei er in Watte gepackt. „Wer für gut gehalten wird, der hält sich selbst für gut, spielt befreit auf, wird locker“, so der Psychologe Städler. „Man sieht ihm gewisse Schwächen nach, akzeptiert Entschuldigungen, verstärkt das Positive, lässt ihm Freiheiten, entlässt ihn teilweise aus der ‚Mannschaftsdienlichkeit‘.“
Je mehr die Mannschaft den Kaiser als besonderen Anführer akzeptierte, desto mehr konnte sie sich umgekehrt an seiner Autorität und der Erscheinung seiner Erhabenheit aufrichten. Und je selbstverständlicher und unverwundbarer der Status des Kaisers innerhalb der Mannschaft wurde, desto unantastbarer wurde er für den Gegner. Beckenbauer wurde kaum einmal heftig attackiert, keiner traute sich – mit Ausnahme des Italieners Pierluigi Cera im WM-Halbfinale von 1970 – ihn umzugrätschen. Oft schwebte Beckenbauer, wie das die FAZ einmal ausdrückte, mit seiner übertrieben aufrechten Körperhaltung beinahe „wie entmaterialisiert“ durchs Mittelfeld, andere schrieben von einer unsichtbaren Schutzblase und der fußballkundige Philosoph Martin Heidegger versuchte das Wesen der Genialität des Kaiser mit dem Begriff „Unverwundbarkeit“ auf den Punkt zu bringen.