Roman Abramowitsch gibt erst bekannt, dass er die Verwaltung Chelseas abgeben will. Dann entschließt er sich zum Verkauf. Ein Rückzug aus Angst?
62 Minuten vor Anpfiff geht das Beben los. Da wird offiziell, dass Roman Abramowitsch, Klubboss und Eigentümer des FC Chelsea, den Verein zum Verkauf anbietet. Als viele der Chelsea-Fans in Luton Town, bei dem die 5. FA-Cup-Runde stattfindet, auf ihre Bildschirme blicken, um die Nachricht zu lesen, entscheiden sich einige der 1570 mitgereisten Fans lautstark „Abramowitsch, Abramowitsch!“ zu gröhlen. Ihm und seinen Investitionen haben sie immerhin 17 große Trophäen zu verdanken, darunter zwei Champions-League-Titel. Die Luton Fans erwidern: „Euer Klub wird am Morgen verkauft!“ Doch so schnell wird es nicht laufen, denn der Verkauf von Chelsea ist aus mehreren Gründen viel komplexer.
Ablenkung oder Realitätsverdrängung? Gewissensbisse und Dankbarkeit. Wie es sich anfühlt, derzeit Fußball zu gucken.
Ursprung der Ereignisse ist der Ukraine-Krieg. Abramowitsch wird von der britischen Regierung schon lange verdächtigt, enge Beziehungen zu Wladimir Putin zu pflegen. Etwas, das der Chelsea-Klubchef immer wieder bestritten hat. Aufgrund dieser Verdächtigungen wohnt Abramowitsch, der den FC Chelsea 2003 gekauft hat, seit 2018 auch nicht mehr in England. Als am 24. Februar die Invasion der Ukraine durch russische Truppen begann, zögerte er nicht lange. Zwei Tage nur dauerte es, bis er ankündigte, die Verwaltung des Klubs an die sechs Treuhänder einer klubnahen Wohltätigkeitsstiftung abzugeben. Wie kam es dazu?
Am Tag der Invasion hatte Parlamentsmitglied Chris Bryant, der der britischen Labour-Partei angehört, im britischen Parlament noch gesagt, dass er Dokumente von 2019 erhalten hatte, die Abramowitsch mit „gesetzwidrigen Finanzgeschäften“ und „bösen Aktivitäten“ in Verbindung brächten. Bryant forderte: „Abramowitsch sollte es nicht mehr erlaubt sein, einen Fußballklub in diesem Land zu besitzen.“ Erste Forderungen nach Sanktionen wurden laut. Abramowitsch handelte schnell, um abzuwenden, dass auch sein Name auf einer der Sanktionslisten auftauchen würde. Europäische Sanktionen hatten zuvor die Anlagen anderer russischer Milliardäre einfrieren lassen. Laut BBC betraf dies auch den Oligarchen Alisher Usmanov, der kommerzielle Verbindungen zum FC Everton pflegt. Davor soll Abramowitsch so große Angst haben, dass er sogar versuchte, seine Villa und eine Privatwohnung zu verkaufen. Seine Entscheidung vom Samstag lässt darauf schließen, dass der Russe Distanz zwischen sich und den Klub schaffen will, um damit Sanktionen zu entgehen.
„Viel bedenklicher ist, dass es immer noch keine Verurteilung des Ukrainekrieges durch Roman oder den Klub gibt“
Am Mittwoch ging der 55-jährige Russe noch einen Schritt weiter. In einem Statement auf der Vereins-Website kündigte er an, den Klub verkaufen zu wollen. Die Darlehen von umgerechnet 1,5 Milliarden Euro, die er über eine Zeitspanne von 20 Jahren in den Verein gepumpt hatte, wolle er dem Chelsea FC erlassen. Erst letzte Saison hatte der Milliardär dem Klub noch 19,9 Millionen Pfund geliehen. „Hier ging es für mich nie um Geschäfte oder Geld, sondern um die pure Leidenschaft für das Spiel und den Klub“, schrieb er. Alle Nettoerlöse aus dem Verkauf sollen in eine wohltätige Stiftung fließen, die zur Versorgung und Hilfe aller Kriegsopfer im Ukrainekrieg diene, sowie den „langfristigen Wiederaufbau“ der zerstörten Gebiete fördern soll.
Stimmen von Experten ließen nicht lange auf sich warten. So sagte Englands Ex-Nationalspieler Alan Shearer dem BBC: „Das ist ein riesiger Moment für Chelsea. Abramowitsch hat dem Verein einen unglaublichen Erfolg gebracht in diesen 20 Jahren. Es ist aber nicht einfach, einen Klub zu verkaufen. Es kann Monate dauern oder Jahre“, sagte er und beklagte, „aber viel bedenklicher ist, dass es immer noch keine Verurteilung des Ukrainekrieges durch Roman oder den Klub gibt“. Immerhin benennt Abramowitsch, im Gegensatz zu seinem Heimatland, in dem die Wörter Krieg, Angriff oder Invasion verboten sind, dass in der Ukraine Krieg herrscht.