Sie machen den Lauten: Dresdens Fanszene war immer schon berüchtigt – bei Michael Ballack, der Stasi und dem DFB. Zum 70. Vereinsjubiläum: die Geschichte des K‑Blocks.
Die Stimme musste an diesem Tag vor allem leiden, weil er und 10 000 andere Dresdner zur Melodie der Vogelhochzeit die komplette BFC-Mannschaft schmähten. Das Duell mit dem Berliner Erzrivalen bestimmte auch das Verhältnis zu anderen Klubs. „Wenn es gegen den BFC ging, dann waren Feindschaften zu Union und Lok nicht mehr so wichtig. Teilweise kamen die auch mit zu uns in den Block. Solange es gegen den BFC ging, waren sich alle einig.“ Wenn die SGD in der Liga in Berlin gastierte, dann wurde auch gern die Staatsmacht provoziert. „Immer, wenn es einen Freistoß gab, riefen wir: ‚Die Mauer muss weg!‘“ Tilmann erinnert sich, Mitte der Achtziger mal mit dreißig anderen Dresdnern am Alexanderplatz in hundert wartende Berliner gelaufen zu sein. „Wer wurde natürlich anschließend von der Polizei kontrolliert? Wir. Während die Bifften dahinter warteten, bis sie uns die nächste Tracht Prügel versetzen konnten.“ Tilmann fügt an: „Teilweise wurden Leute wegen Nichtigkeiten festgenommen und waren dann für ein paar Tage einfach weg.“
Dass die späten achtziger Jahre nicht nur eine bunte Spielwiese für erlebnisorientierte Jugendliche waren, spürte er selbst. Er legte ab 1987 eine Dynamo-Pause ein, weil er befürchtete, dass er im Zuge eines Auswärtsspiels auch mal „gekascht“ werden könnte. 1988 wurde er dann aus politischen Gründen ausgewiesen, zog zunächst nach Düsseldorf und später nach Marburg. Er sah seine Mannschaft erst nach der Grenzöffnung wieder.
Bei den Heimspielen gab es damals noch keinen einheitlichen Support, die Fanszene gliederte sich stark in regionale Fanklubs. Für einen Dynamo-Schal konnten die Fans größtenteils auf die Strickkünste der eigenen Oma zurückgreifen – das war das Merchandising der damaligen Zeit. Bei Fahnen waren die Fans im K‑Block dann noch kreativer, denn Stoff war Mangelware. „Es war schon praktisch, dass die DDR-Flagge bis auf das Rot eigentlich alle erforderlichen Farben einer Dynamo-Fahne verband. Wenn da morgens am Rathaus irgendeiner Stadt mal eine fehlte, war das auch nicht tragisch“, erzählt Tilmann. Das Wappen und das Rot in der Mitte wurden rausgetrennt, übrig blieb Schwarz und Gelb. „Problematisch war es nur, wenn noch die Nähte des Wappens zu erkennen waren. Da musste man aufpassen, dass einen die VoPos damit nicht erwischten.“
Heute bekommen die Fans problemlos den Stoff für die Fahnen, den Ideenreichtum und die Ausdauer haben sich aber auch spätere Generationen bewahrt. Eine Blockfahne, die nahezu über alle Plätze im heutigen Stadion reicht und beim Drittligaspiel 2015 gegen Magdeburg erstmals präsentiert wurde, ist von ihrer Größe her einzigartig.
Dabei war Dynamo Dresden Ende der Neunziger noch am Boden; nicht nur der Erfolg verschwand, sondern auch die Zuschauer. In der Saison 1998/99 kamen im Schnitt 3300 Zuschauer zu den Spielen von Dynamo. Den absoluten Tiefpunkt bildete das Oberligaspiel 2001 gegen Wacker Nordhausen vor gerade einmal 920 Zuschauern. Es wurde leer im Rudolf-Harbig-Stadion. Es blieben ein paar treue Fans und der Krawalltourismus der Neunziger. Das Heimspiel gegen den damals von der Stadt protegierten Lokalrivalen DSC im Jahr 2002 verkam zum unrühmlichen Höhepunkt mit schweren Ausschreitungen und Jagdszenen durch die Stadt.
Parallel dazu entwickelte sich aber auch eine neue Generation von Dynamo-Fans, die sich im Jahr 2000 den Namen „Ultras Dynamo“ gaben. Sie pflegten einen neuen Stil, der vor allem durch zahlreiche Doppelhalter, Choreografien und reichlich Pyrotechnik nach osteuropäischem Vorbild geprägt war. Eine deutlich verjüngte Fanszene probierte sich aus, stellte beeindruckende Choreos auf die Beine und schlug mitunter zumindest in der Außenwirkung über die Stränge.
Das Verhalten bei den Pokalspielen in Dortmund 2011 und 2012 in Hannover brachte zunächst einen medialen Aufschrei und dann einen Pokalausschluss mit sich. Für die Fanszene wurde es zu einer Zerreißprobe zwischen denen, die sich nicht mehr für das Fehlverhalten von ein paar Wenigen als Chaoten abstempeln lassen wollten, und denen, die die Schuld bei der Polizei, der Security oder den Medien suchten. Die Ultras haben heute einen klaren Verhaltenskodex, der den Umgang im Block regelt.