Sie machen den Lauten: Dresdens Fanszene war immer schon berüchtigt – bei Michael Ballack, der Stasi und dem DFB. Zum 70. Vereinsjubiläum: die Geschichte des K‑Blocks.
Dieser Text erschien erstmals im November 2018 in 11FREUNDE #205. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
30. Juli 2011, Hörsaal 305 der Technischen Universität Chemnitz. Eine Klausur über das politische System der BRD. Mir bleibt nur eine Stunde, denn so schaffe ich es immerhin noch zur zweiten Halbzeit des Pokalspiels zwischen dem Aufsteiger in die zweite Liga Dynamo und dem Bundesliga-Vizemeister Leverkusen. 55 Minuten und Antworten mit vagem Halbwissen später sprinte ich zum Zug. Pünktlich zur Halbzeit bin ich im Stadion – wenig später steht es 0:3. Für den Ehrentreffer 28 Minuten vor Schluss gibt es Applaus, zu mehr ist das Dynamoherz nicht in der Lage. 127 Sekunden später reißt der Anschlusstreffer von Robert Koch ein ganzes Stadion aus dem kollektiven Tiefschlaf. Geht hier doch noch was?
Leverkusen schwimmt, jetzt spielt nur noch Dynamo. Mannschaft und Fans schaukeln sich gegenseitig hoch. Wieder so eine lange Flanke in den Strafraum, Kopfballablage, und bereits jetzt brandet Jubel auf, denn am langen Pfosten muss Robert Koch nur noch einschieben. Und das macht er! 3:3 nach 0:3 – Verlängerung! Ein Orkan geht durchs Stadion, Menschen fliegen von Zäunen in den Innenraum, doch berappeln sich schnell wieder, sie springen wie aufgezogen wieder nach oben. Denn noch ist das Wunder nicht vollbracht. Jede Aktion wird gefeiert, jeder wütende Schuss von Leverkusens Topstar Michael Ballack wird vorbeigeschrien und zwischendrin immer der Satz: „Eine Chance kriegen wir noch! Eine Chance kriegen wir noch!“
Es dauert bis zur 117. Minute. Konter im eigenen Stadion. Sascha Pfeffer dreht sich an der Mittellinie und schlägt den Ball auf den freien Alexander Schnetzler, er läuft und lupft – er lupft den Ball tatsächlich zum 4:3 ins Tor. Der Rest ist Ekstase. Mich schleudert es drei, vier Stufen im K‑Block hinunter, Bier läuft mir den Nacken hinab, ein wildfremder Mann schreit mit wie wahnsinnig ins Ohr und drückt mich, so fest er kann. So fühlt sich also eine Pokalsensation an.
Diese persönliche Erinnerung sei vorangeschickt, weil sie zeigt: Das ist der K‑Block! Dirk Orlishausen, Torhüter bei Erfurt und Karlsruhe, der in dieser Zeit öfter in Dresden antreten musste, sagte einmal, dass er bei großen Spielen in Dresden oft nur noch ein Rauschen im Ohr hatte. Doch hatte der K‑Block schon immer diese beeindruckende Kraft? Seine Heimstätte heißt heute wieder Rudolf-Harbig-Stadion, allein ihre Bauweise begünstigt die Lautstärke des Dresdner Publikums. Es ist eines der steilsten Stadien Deutschlands, zudem neben dem Aachener Tivoli das größte Einrangstadion der Republik – eine echte Schüssel, keine übereinandergebauten Tribünen. Im vergangenen Jahr wurden sogar Pläne laut, das Stadion dreiseitig höher und noch steiler aufzustocken.
Der K‑Block wird sicher auf seinem angestammten alten Platz bleiben. Es ist ein historischer Platz, schon in den siebziger und achtziger Jahren standen dort die fanatischsten Zuschauer. In der Badkurve, im damaligen Block G, vor der alten Anzeigetafel trafen sich damals diejenigen, die Dynamo nach vorne schreien wollten. Als 1983 Magdeburger Fans aus dem Gästeblock Richtung K‑Block stürmten, bauten sich die Dresdner zur Verteidigung genau dort auf. Und fanden so durch einen Zufall ihre Heimat.
Nach dem Stadionumbau zog „der K“ zwar 2009 wieder auf die Badseite, behielt aber seinen Namen. Hier tummelten sich langhaarige Jugendliche und routinierte Kuttenträger. Wenn heute im Dresdner Lager abschätzig über die neuen „Erfolgsfans“ gesprochen wird, so muss man betonen, dass auch die Dynamo-Fanszene damals vor allem durch zwei Dinge zusammengebracht wurde: den Spielstil des Dresdner Kreisels und den damit verbundenen Erfolg. Zu den Highlights gehörten nicht nur die großen Europacupspiele, sondern die drei FDGB-Pokalsiege in den achtziger Jahren. Aus einem einfachen Grund: Die SGD vermasselte dem Erzfeind BFC Dynamo jeweils das Double in Berlin. In den K‑Block zu gehen – das war auch ein Statement gegen den BFC, den Lieblingsklub von Stasichef Erich Mielke.
Besonders geschichtsträchtig war deswegen der Sieg 1982, als Dresden ausgerechnet am 1. Mai gegen den BFC Dynamo im Elfmeterschießen gewann. Dynamo-Fan Tilmann, 1968 geboren, trägt noch heute stolz eine lange blonde Mähne. Seit Ende der Siebziger fährt er zu Dynamo. „Da hatten wir den Bifften (Szenebegriff für BFC-Anhänger) gründlich den Feiertag der Arbeiterklasse verdorben“, sagt er. „Zu Hause wartete meine erste Freundin auf mich. Ich hatte kaum noch Stimme, doch sie wollte, dass ich diesen männlichen Klang behalte. Sie war nämlich großer Bud-Spencer-Fan.“