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Der Count­down läuft bereits: Noch elf Tage… noch zehn Tage…“ rechnen die Medien vor, bis end­lich am 4. Dezember das große Vor­weih­nachts­treffen auf dem Pro­gramm steht. Neun Mal werden wir noch wach, dann lauscht das Prä­si­dium des DFB andächtig dem Vor­trag seines Direk­tors für Natio­nal­mann­schaften und wird über Ergeb­nisse der Bera­tungen und nächste Schritte infor­mieren“. Das klingt nach einer besinn­li­chen Zeit in Frank­furt und Frei­burg, dem Sitz des Ver­bandes und jenem des Bun­des­trai­ners Joa­chim Löw.

Zwei­ein­halb Wochen lang darf Löw das 0:6‑Debakel gegen Spa­nien auf­ar­beiten, bevor sein Vor­ge­setzter Oliver Bier­hoff den Ver­bands­gre­mien dessen Ergeb­nisse ver­kündet. In Ein­zel­gruppen soll es immerhin vorher Treffen geben, auch mit dem Bun­des­trainer und dem DFB-Prä­si­dent. Löw muss sich in seinem Auf­treten neu erfinden, doch für die sport­liche Ana­lyse bleiben über zwei Wochen eine lange Zeit. Vor allem weil die Miss­stände in der deut­schen Natio­nal­mann­schaft so offen­kundig zu Tage treten, dass bei­leibe keine Exper­tise in Quan­ten­physik von­nöten sein wird.

Für die Ana­lyse genügt ein Blick auf die Tabelle

Für eine erste Ana­lyse genügt bereits ein Blick auf die Sta­tis­tiken in der Nations League“: Die DFB-Elf fing sich 13 Gegen­tore in sechs Spielen. Auch im Test gegen die Türkei musste das Team drei Treffer hin­nehmen.

Ex-Natio­nal­ver­tei­diger Jürgen Kohler holte im Dop­pel­pass“ zur Ver­tei­di­gungs­rede für den Bun­des­trainer aus und bemerkte, dass es Joa­chim Löw schlicht an fähigem Per­sonal man­gele: Nenn mir mal, wel­chen Abwehr­spieler von inter­na­tio­naler Klasse wir haben?“ Kohler mag auf den ersten Blick richtig liegen: Bay­erns Niklas Süle befindet sich nach langer Ver­let­zungs­pause und Corona-Erkran­kung in einer Form- und wohl auch Fit­ness­krise; Jona­than Tah und Antonio Rüdiger haben der­zeit in ihren Ver­einen den Stamm­platz ver­loren.

Doch: Die Ent­schul­di­gungs­rede über feh­lende Klasse greift zu kurz. Mat­thias Ginter zeigt kon­stant gute Leis­tungen bei seinem Verein, im kicker“ wird er mit einem sehr beacht­li­chen Noten­durch­schnitt von 2,81 als zweit­bester deut­scher Natio­nal­spieler geführt. Emre Can bestä­tigte beim Sieg des BVB in Berlin, wie wert­voll er als ton­an­ge­bende Kraft in der Defen­sive sein kann.

Dem Team fehlen nicht Qua­lität oder Erfah­rung – son­dern ein klarer Plan

Die haar­sträu­benden Fehler beim 0:6 in Spa­nien zeugten vor allem von einem Mangel an Kon­zen­tra­tion und Abstim­mung. Schon in den vor­an­ge­gangen Spielen ließen sich deut­sche Abwehr­spieler immer wieder aus dem Ver­bund her­aus­ziehen. Sie ent­blößten so die Räume hinter der letzten Linie, in die die Gegner dankbar hin­ein­spielten. 

Der Defen­sive fehlt nicht Qua­lität, son­dern Struktur. Löw wech­selte seit der WM 2018 munter zwi­schen Vierer- und Drei­er­kette, tauschte das Per­sonal schon vor der Corona-Pan­demie durch. Nach seiner Abkehr vom Ball­be­sitz­fuß­ball hat Löw bis heute nicht erkennen lassen, wel­chen Spiel­stil er denn nun favo­ri­siert.

Der Natio­nalelf bleibt in diesen Tagen wenig Zeit zum Trai­nieren und Ein­stu­dieren. Gerade des­wegen braucht sie klare Ord­nungen und ein Gerüst. Die Zeit der Expe­ri­mente muss der Bun­des­trainer spä­tes­tens jetzt ein­stellen. Sein vor­ma­liger Co-Trainer Hansi Flick zeigte beim FC Bayern, wie wichtig eine fest­ge­legte Achse für ein Team sein kann. Einer aus der Achse, näm­lich Joshua Kim­mich, fehlte der deut­schen Mann­schaft gegen Spa­nien nicht nur als Pass­geber und Bal­ler­oberer in der Zen­trale, son­dern auch als emo­tio­naler Antreiber. Von diesem Schlag hat der Bun­des­trainer zu wenig Spieler nomi­niert (oder geformt).

Neben Kim­mich als Sechser“ findet auch Leon Goretzka besser in seine Rolle als Box-to-Box-Spieler“. Genau des­halb wäre eine Rück­ver­set­zung von Kim­mich auf die rechte Abwehr­seite miss­lich, ver­fügt die Mann­schaft doch ohnehin schon über zu wenig Resi­lienz in der Zen­trale. Toni Kroos oder Ilkay Gün­dogan sind her­vor­ra­gende Tech­niker, doch für das Kratzen-spu­cken-beißen sind meist Spieler neben oder hinter ihnen zuständig. 

Die Natio­nalelf hatte schon vor dem Debakel in Spa­nien Pro­bleme, sich in schwie­rigen Momenten zu wehren. Sie gab beim 2:4 gegen die Nie­der­lande oder dem 2:2 gegen Argen­ti­nien Spiele leicht­fertig aus der Hand. An der Erfah­rung, wie Löw und Bier­hoff wie­der­holen, fehlt es der Mann­schaft nicht. Gegen Spa­nien lag der Alters­schnitt bei 27 Jahren, mit mehr­fa­chen Cham­pions-League-Sie­gern und Deut­schen Meis­tern in der Startelf. Wohl aber ver­fallen Leis­tungs­träger der Ver­eine bei der Natio­nalelf in ein Phlegma, das ihnen die sport­liche Füh­rung aus­treiben muss.

Rück­kehr des Trios – sport­lich wichtig, intern ris­kant

Natur­gemäß werden da die Rufe nach den aus­ge­mus­terten Jerome Boateng, Thomas Müller und Mats Hum­mels laut. Rein sport­lich unter­mau­erten alle drei zuletzt stetig ihren Wert für die Natio­nalelf. Doch aus der Mann­schaft selbst waren wenig Stimmen voller Sehn­sucht nach dem Trio zu ver­nehmen. Hum­mels war bei der WM 2018 mit seiner öffent­li­chen Kritik vor­ge­prescht, soll sich aber in der internen Aus­sprache zurück­ge­halten und einige Mit­spieler ver­prellt haben. Das Ver­hältnis zu seinem Kol­legen Jerome Boateng gilt als ange­spannt. Und Thomas Müller tut der Stim­mung in einer Mann­schaft als Laut­spre­cher und Gute-Laune-Onkel auch nur dann gut, wenn er regel­mäßig spielt.

Dem Bun­des­trainer würde eine Rück­hol­ak­tion sport­li­chen Mehr­wert, aber auch Risiken und Neben­wir­kungen für die Team­chemie ein­bringen. Des­halb schreckte er bis­lang davor zurück, doch nun muss er wohl über seinen Schatten springen. Denn Deutsch­land braucht offen­sicht­lich genau diese Rei­bung – inner­halb und außer­halb der Mann­schaft.

Die Scheu vor der Kon­fron­ta­tion zeigt sich näm­lich auch bei der geplanten Lage­be­spre­chung des DFB: Mit dem ent­schul­digten Fehlen des Trai­ners wollen die Funk­tio­näre den Ein­druck eines Unter­su­chungs­aus­schusses oder Tri­bu­nals ver­meiden – und mit der Anbe­raumung des Ter­mins gleich­zeitig ver­mit­teln, dass Löw keinen Frei­fahrt­schein“ wie nach der WM 2018 genießt.

Hofft der DFB auf Löws Rück­tritt?

Die Zer­ris­sen­heit des Ver­bandes zwi­schen Ver­trauen und Distanz sym­bo­li­sierten die Wort­mel­dungen von Oliver Bier­hoff in der ver­gan­genen Woche. Vor dem Spa­nien-Spiel schränkte er ein, Löws Weg ein­schließ­lich bis zur EM mit­zu­gehen“. Nach dem 0:6 sprach er dem Trainer am Dienstag hin­gegen das unein­ge­schränkte Ver­trauen aus. 

Mit einem Raus­wurf von Löw würden die DFB-Funk­tio­näre eigene Fehler ein­ge­stehen. Nie­mand will als der­je­nige gelten, der den Welt­meis­ter­trainer ent­lässt und für das unrühm­liche Ende der Ära Löw sorgt – schon gar nicht Prä­si­dent Fritz Keller. Intern scheint die Ver­bands­spitze sowieso zu gespalten für eine klare Ent­schei­dung.

Am kom­for­ta­belsten wäre es für den DFB also, würde Löw selbst hin­schmeißen. Der Ver­band wolle bis zum 4. Dezember dem Bun­des­trainer die zeit­liche und emo­tio­nale Distanz geben, die aktu­elle Situa­tion der Natio­nal­mann­schaft grund­le­gend auf­zu­ar­beiten“, teilte er mit. Die Zeilen aus der Ver­bands­zen­trale lesen sich zumin­dest wie eine gol­dene Brücke“ zum Rück­tritt. Doch – so wie man Löw bisher kennen lernen konnte – wird er dem DFB diesen Gefallen nicht tun.