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Dieser Text erschien erst­mals in unserem 11FREUNDE SPE­ZIAL – Die Geschichte der Cham­pions League. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhält­lich.

Bischof Joseph Devine erin­nerte sich an ein Fuß­ball­spiel Ende der sech­ziger Jahre. Celtic trat gegen Fal­kirk an. Wäh­rend­dessen drehte sich ein älterer Zuschauer zum Geist­li­chen um und sagte: Vater, bitte vergib mir meine unan­stän­dige Sprache. Aber den Kurzen spielen zu sehen, das ist ein­fach ver­dammte Poesie.“

Der Kurze war James Jimmy“ Conolly John­stone. Sie nannten ihn den wee man“, den Kleinen, weil er gerade einmal 1,57 Meter maß. Sie nannten ihn Jinky“, weil er unnach­ahm­lich drib­belte und dabei hin und her huschte. Sie nannten ihn den Lord of the Wing“, den Gott des Flü­gels, weil er auf Rechts­außen spielte, oder wie die Schotten sagen: zau­berte. Sie wählten ihn zum besten Spieler in der Geschichte des ruhm­rei­chen Tra­di­ti­ons­ver­eins Celtic.

Doch die größte Ehrung für einen schot­ti­schen Spieler führte Bischof Devine in seiner Gra­bes­rede für John­stone aus: Die Trauer über seinen Tod stellt die Riva­lität desOld Firm in den Schatten, denn Jimmy wurde von allen Fans geliebt.“ Über 20 000 Men­schen kamen am 17. März 2006 zum Begräbnis, dar­unter Rod Ste­wart, Sir Alex Fer­guson und Ver­treter des schot­ti­schen Par­la­ments. Unter den Trau­ernden befanden sich aber auch der dama­lige Trainer der Ran­gers Alex McLeish und viele ehe­ma­lige Spieler des Erz­ri­valen. Die beiden Glas­gower Ver­eine und ihre Anhänger tragen eine mit­unter blu­tige Fehde aus, in der es nicht nur um Fuß­ball, son­dern auch Politik und Reli­gion geht. Und den­noch spre­chen Fans der Ran­gers noch heute voller Hoch­ach­tung vom Celtic-Spieler Jimmy John­stone. Mehr kann ein Fuß­baller in Schott­land nicht errei­chen.

Ich bin ein Enter­tainer, der Platz ist meine Bühne. Ich mache es für Celtic, für die beson­deren Men­schen, die diesen Verein unter­stützen“

Jimmy Johnstone

Er war Fan und Ball­junge bei Celtic, bevor er 1961 zur ersten Mann­schaft stieß. Dort spielte er 14 Jahre lang, es war die größte Zeit des Klubs. Er gewann 1967 mit den Lisbon Lions sen­sa­tio­nell den Euro­pa­pokal der Lan­des­meister gegen den haus­hohen Favo­riten Inter Mai­land. Alle Spieler dieser Mann­schaft stammten aus dem Umkreis des Celtic Park, sie sym­bo­li­sieren noch heute den mär­chen­haften Tri­umph von elf Freunden auf dem Platz. John­stone zog mit seinen Dribb­lings ganze Sta­dien in seinen Bann, er war ein Vir­tuose wie Gar­rincha in Bra­si­lien, George Best in Eng­land oder Rein­hard Stan“ Libuda im Koh­len­pott. Bei Spie­lern dieses Kali­bers streiten die Fans über deren größten Auf­tritt wie Musik­lieb­haber über die größten Werke bedeu­tender Kom­po­nisten.

Die bra­si­lia­ni­schen Spieler lebten in Armut, so wie wir. Und das ist es, wo all die großen Spieler her­kommen, von der Straße“, sagte John­stone einmal. Gerne wird behauptet, dass die Men­schen in den Arbei­ter­re­gionen nur die grät­schenden Gras­fresser zu schätzen wüssten. Doch in Man­chester, Gel­sen­kir­chen oder Glasgow lieben sie vor allem das Spiel und des­halb umso inniger die echten Ball­künstler.

John­stones Her­kunft aus dem Arbei­ter­mi­lieu trug zu seiner Popu­la­rität bei. Denn er hob sich auch abseits des Platzes nicht groß von denen ab, die ihm zuju­belten. Er sagte: Ich bin ein Teil von ihnen, ich weiß, wie sie fühlen.“ Trotz seines Ruhmes war er umgäng­lich, ein gewitzter, gesel­liger Typ. Er kehrte mit seinen Fans in den Pub ein, sang und trank wie sie.

Gerade das aber wurde zu seinem Pro­blem, in den Nächten war er so unbe­re­chenbar wie auf dem Feld. Die Zei­tungen über­schlugen sich mit Mel­dungen über seine Eska­paden, mal waren es Par­ty­ge­schichten, mal ver­passte er einem Gast seiner Kneipe eine Kopf­nuss, mal wurde er betrunken am Steuer erwischt, bei­nahe unfähig, seinen Wagen zu bremsen. Er trieb wäh­rend eines Trai­nings­la­gers voll­trunken in einem geklauten Boot aufs offene Meer hinaus und musste in höchster Not gerettet werden. Sein Her­zens­klub Celtic warf ihn am Ende raus, es waren John­stones bit­terste Tage in seiner Kar­riere.

Es ist die Tragik so vieler Genies, im Fuß­ball wie in der Musik oder im Film­ge­schäft, denen das Schicksal so viel Talent und so wenig innere Ruhe schenkte. Die im Schein­wer­fer­licht bril­lieren und im Schatten zer­bre­chen, die auf großer Bühne fast magisch immer die rich­tigen Schritte tun und daneben rei­hen­weise die fal­schen.

Gerry McDade ist Autor und Mode­rator. Er war noch ein Kind, als John­stone spielte. Aber für seinen Onkel und dessen Freunde hatte John­stone die gleiche Bedeu­tung wie für ihn die Beatles. Er arbeitet an einem Film über den Euro­pa­pokal-Gewinn 1967, zusammen mit Martin Conaghan und Jeff Healey. Letz­terer rea­li­sierte bereits die Doku Lord of the Wing“ über Jimmy John­stone. McDade sitzt im Anzug in einem Café am Glas­gower Flug­hafen. Er flüs­tert einen Satz, als dürfe ihn nie­mand in der Nähe hören: Ja, Jimmy hatte ein Alko­hol­pro­blem.“ Er erzählt davon, wie ein Fan sei­ner­zeit bei Cel­tics Trainer Jock Stein anrief, um ihm zu sagen, dass zwei Männer Jimmy John­stone um sieben Uhr mor­gens aus dem Pub tragen mussten. Stein setzte für John­stone zwei Stunden später eine Kon­di­ti­ons­ein­heit an. Jimmy musste kurz­zeitig in die Büsche, um sich zu über­geben. Aber er stand das Trai­ning bis zum Ende durch. Er hatte einen eisernen Willen.“

Was war John­stones bestes Spiel? Defi­nitiv das Abschieds­spiel für Di Ste­fano“, sagt McDade.

Es ist der 7. Juni 1967, die Legende Alfredo Di Ste­fano tritt ab. Real Madrid, Euro­pa­po­kal­sieger von 1966, gegen Celtic, den amtie­renden Titel­träger. 120 000 Zuschauer sind ins Ber­nabeu gekommen, eine beein­dru­ckende Kulisse, eine Kulisse für Jimmy John­stone. Fünf Spieler lässt er auf der rechten Seite nach­ein­ander aus­steigen, er tän­zelt, er bewegt sich mit einer Leich­tig­keit, die andere lächer­lich aus­sehen lässt, selbst die hoch gerühmten Spieler des eins­tigen Weißen Bal­letts“. Sie stol­pern ins Leere, grät­schen vorbei, aus­ge­spielt, genarrt vom wee man“, vom Kurzen. Sie wissen sich nicht anders zu helfen, als ihn über den Haufen zu grät­schen.

Es sind jene magi­schen Spiele, in denen sich John­stone an seinen Aktionen zu berau­schen scheint. Er flitzt hin und her, umdrib­belt die Gegner, dann tritt er auf den Ball, lupft ihn über Reals Abwehr hinweg. Olé“, rufen die spa­ni­schen Zuschauer ver­zückt. Als der Schieds­richter abpfeift, reckt John­stone den Spiel­ball mit einem Arm in die Luft wie eine Tro­phäe. Ganz so, als hätte er ihn gezähmt. Die Zuschauer im Ber­nabeu, über die man sagt, sie seien die anspruchs­vollsten Beob­achter der Fuß­ball­welt, sie johlen vor Begeis­te­rung, sie applau­dieren dem geg­ne­ri­schen Rechts­außen. Sie waren gekommen, um den großen Di Ste­fano zu ehren. Als sie gingen, spra­chen sie nur von einem kleinen, rot­haa­rigen Schotten.

Agnes John­stone ist eine lie­bens­wür­dige Dame von 67 Jahren, der es vor allem wichtig ist, dass ihre Gäste genü­gend Gebäck und Kaffee auf dem Tisch haben. Ihre Woh­nung in Udding­ston, unweit von Glasgow, ist blitz­blank geputzt, die Kissen auf dem Sofa akkurat auf­ge­reiht. In der gesamten Woh­nung findet sich nichts, was darauf schließen ließe, dass hier die Ikone von Celtic gewohnt hat. Nur ein Bild von Jimmy John­stone im Ren­ten­alter steht auf dem Ess­zim­mer­tisch. Wenn man sie fragt, wie die Ehe mit ihrem Mann ver­laufen sei, sagt Agnes John­stone sofort: Ein Alb­traum“, sie lacht und zögert dann. Nach einer Pause fügt sie mit ernster Miene an: Es war okay, wenn er nicht trank.“ Sie sagt sehr oft: Wie auch immer.“ Er hat Leute im Stich gelassen. Aber wie auch immer. Ich habe mich geschämt für die Geschichten in der Zei­tung. Aber wie auch immer. Wenn wir im Urlaub waren, umla­gerten ihn die Leute und ich ver­schwand. Aber wie auch immer.

Und dann erzählt sie doch von den amü­santen Schnurren ihres Mannes, meist aus dem Fuß­ball. Ihre Stimme und ihre Augen klaren auf. Jimmy balan­cierte als Kind auf einem Balken, um sein Gleich­ge­wicht zu stärken. Er drib­belte in der Woh­nung seiner Mutter um leere Fla­schen. Als er im Alter von 13 Jahren an der Sei­ten­linie bei Celtic stand, rollte der Ball auf ihn zu. Er fing plötz­lich an, ihn hoch­zu­halten. Das Sta­dion tobte. Und dann all die Spiele für Celtic, er liebte die Atmo­sphäre, je voller das Sta­dion war, umso besser spielte er. Manchmal bespuckten ihn die geg­ne­ri­schen Fans, das sta­chelte ihn nur noch mehr an.

Was war das beste Spiel Ihres Mannes? Ich glaube, es war das Rück­spiel gegen Leeds United“, sagt Agnes John­stone.

Am 15. April 1970 trifft Celtic im Halb­fi­nal­rück­spiel des Euro­pa­po­kals der Lan­des­meister auf Leeds United. Das Spiel wird zur Battle of Bri­tain“ sti­li­siert, die ganze Insel will dabei sein. Schließ­lich sind es offi­ziell 133 505 Zuschauer im Hampden Park. Zeit­zeugen spre­chen von einer deut­lich höheren Zahl. Eine unglaub­liche Kulisse. Eine für Jimmy John­stone.

Leeds’ bein­harter Ver­tei­diger Terry Cooper wird auf John­stone ange­setzt, doch der spielt ihm einen Knoten in die Beine. Cel­tics Angreifer ist ein­fach zu flink und wendig für den Eng­länder. Da schreitet Leeds’ Rau­bein Norman Hunter – Spitz­name bites yer legs“ (beißt deine Beine) – ein und gibt seinem Mit­spieler die unmiss­ver­ständ­liche Anwei­sung: Hau ihn doch ein­fach um.“ Doch der hechelnde Cooper ent­gegnet nur: Ver­such du es doch.“ Hunter über­nimmt also, spurtet zäh­ne­flet­schend heran. John­stone tun­nelt ihn. Es ist wie Asterix gegen die Römer. John­stone treibt auch Hunter zur Ver­zweif­lung, er legt den Sieg­treffer zum 2:1 auf, Celtic zieht ins Finale ein. Terry Cooper, der erste Gegen­spieler an diesem Abend, wird später sagen: Ich hätte ihn umge­treten, wenn ich es nur einmal in seine Nähe geschafft hätte. Das war ein schlimmes Spiel. Er ist mir nachts in meinen Träumen begegnet.“

Jinky John­stone wurde am 30. Sep­tember 1944 in View­park nahe Glasgow geboren. Er schoss 129 Tore in 515 Spielen für Celtic.

James John­stone ist ein kräf­tiger Mann mit ker­niger Stimme. Er lacht laut. Er drischt einem Sätze wie Ten­nis­auf­schläge ent­gegen. Loved his fitba“, sagt er über seinen Vater, er liebte seinen Fuß­ball. Er fährt mit dem Auto durch Udding­ston, an einem Kreis­ver­kehr zeigt er auf die andere Stra­ßen­seite. Dort drüben habe sein Vater eine Kneipe geführt. Sie soll sich nicht lange gehalten haben, weil er die Gäste etwas zu lange mit dem Bier­de­ckel bezahlen ließ. Ein guter Abend hat für ihn noch immer ein gutes Geschäft ersetzt. Wenn man James John­stone fragt, ob er als Kind seinen Vater ver­misst habe, ant­wortet er mit nur einem Wort, dafür lang­ge­zogen: Aaaaayeee.“ Das schot­ti­sche Ja.

Trotzdem läuft er stolz um die Statue in View­park. Sie zeigt Jimmy John­stone mit zum Jubel empor­ge­recktem Arm, drum herum sieben Lichter für seine Rücken­nummer. Zehn Auto­mi­nuten weiter pflegt der Sohn das Grab seines Vaters, wischt die Blu­men­erde vom Sockel, das Regen­wasser von der Klar­sicht­folie, darin ein Brief eines Fans, nicht ganz einen Monat alt. Einige Meter ent­fernt steht ein rie­siges, teures Grab. Das gehörte einem Mafioso“, sagt James John­stone und lacht sich kaputt. Den Unge­rech­tig­keiten dieser Welt begegnen sie hier noch immer mit Humor.

Was war das beste Spiel Ihres Vaters? Schwer zu sagen. Das Spiel für Di Ste­fano, klar, oder aber gegen Roter Stern Bel­grad.“

Am 13. November 1968 spielt Celtic im Ach­tel­fi­nal­hin­spiel gegen Roter Stern Bel­grad. Zur Halb­zeit steht es 1:1. Celtic-Trainer Jock Stein ist ein sach­li­cher Trainer, er trinkt keinen Alkohol, John­stones Tur­bu­lenzen erzürnen ihn. Selbst Steins Frau maß­re­gelt ihn, den Rechts­außen nicht so hart anzu­pa­cken. In dieser Halb­zeit­pause redet Stein auf seinen hass­ge­liebten Schütz­ling ein. Er weiß, dass John­stone unter pani­scher Flug­angst leidet. Also schlägt er vor, dass er nicht zum Rück­spiel nach Bel­grad mit­reisen müsse, wenn Celtic einen Drei-Tore-Vor­sprung im Hin­spiel erzielt. Dae ye really mean it, Boss?“, fragt John­stone mit einem Lächeln. Meinen Sie das ernst, Boss?

Nach zwei Minuten in der zweiten Halb­zeit schießt John­stone Celtic in Füh­rung. Zwei wei­tere Tore bereitet er mus­ter­gültig vor, bevor er selbst in der 82. Minute mit dem 5:1 den Schluss­punkt setzt. Er ist überall, in der letzten Minute ver­tei­digt er einen Eck­ball am eigenen Fünfer.

Celtic-Fan Jim O’Neill stürmt nach dem Abpfiff auf den Rasen, nur um Jimmy John­stone die Hand zu schüt­teln. Ein uner­bitt­li­ches Gericht ver­ur­teilt ihn später wegen des Platz­sturms zu einer Strafe von 120 Pfund. O’Neill sagt dem Richter: Dieser Hand­schlag ist jeden Penny wert. Ich musste ihm ein­fach zu diesem Spiel gra­tu­lieren.“ Stein hält Wort. Zum Rück­spiel muss John­stone nicht mit­fliegen.

Bertie Auld spielte zwölf Jahre für Celtic, gewann mit John­stone zusammen den Euro­pa­pokal 1967. In den Kata­komben vor dem Finale stimmte er zur Ein­schüch­te­rung der Inter-Spieler den Celtic-Song an. Sein Freund Jimmy John­stone fragte die Ita­liener danach: Wissen eure Mütter, dass ihr heute später nach Hause kommt?“ Die beiden ver­band ihr Humor, sie blieben auch nach der Kar­riere in Kon­takt. 2001 dia­gnos­ti­zierten die Ärzte bei John­stone Amyo­trophe Late­ral­skle­rose, eine Erkran­kung des Ner­ven­sys­tems. Nach und nach konnte er seine Beine nicht mehr bewegen, seine Arme und Hände, dann konnte er nicht mehr spre­chen. Seine Frau und seine Kinder küm­merten sich um ihn, auch Auld besuchte ihn oft. Er erzählt: Jinky hat nicht ein ein­ziges Mal mit seinem Schicksal geha­dert, sich nie selbst bedauert, nie gesagt: Warum ich?‘ Ich habe ihn ange­schaut und er hat mit seinen Augen gespro­chen. Sie hätten diese Augen sehen müssen, er hat mit den Augen gelä­chelt.“

Das Laus­bu­ben­hafte, das Schel­mi­sche hat er sich nicht aus­treiben lassen. 1992 fragte ihn der dama­lige Celtic-Kapitän, wie wohl ein Spiel des aktu­ellen Teams gegen die Lisbon Lions aus­gehen würde. Unent­schieden“, sagte John­stone. Du darfst nicht ver­gessen, wir sind alle momentan über 50.“ Er konnte sich berau­schen, an den Dribb­lings auf dem Rasen, an den Geschichten und Lachern in den Kneipen. Da konnte ihn keiner stoppen.

Jimmy John­stone starb am 13. März 2006. Sein Freund Bertie Auld sagt: In den Jahren seiner Krank­heit war er abhängig von seiner Familie und seinen Freunden, aber sonst waren wir abhängig von ihm.“ Auld schluckt kurz, dann fügt er an: Jimmy war ein ein­zig­ar­tiger Mensch. Er hat etwas von uns bekommen, aber er hat uns allen viel mehr gegeben.“