Am 13. März 2006 starb der beste Spieler in Celtics Geschichte. Jimmy Johnstone versetzte mit seinen Dribblings Europas Stadien in Ekstase. Doch sein größter Gegenspieler war er selbst.
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Bischof Joseph Devine erinnerte sich an ein Fußballspiel Ende der sechziger Jahre. Celtic trat gegen Falkirk an. Währenddessen drehte sich ein älterer Zuschauer zum Geistlichen um und sagte: „Vater, bitte vergib mir meine unanständige Sprache. Aber den Kurzen spielen zu sehen, das ist einfach verdammte Poesie.“
Der Kurze war James „Jimmy“ Conolly Johnstone. Sie nannten ihn den „wee man“, den Kleinen, weil er gerade einmal 1,57 Meter maß. Sie nannten ihn „Jinky“, weil er unnachahmlich dribbelte und dabei hin und her huschte. Sie nannten ihn den „Lord of the Wing“, den Gott des Flügels, weil er auf Rechtsaußen spielte, oder wie die Schotten sagen: zauberte. Sie wählten ihn zum besten Spieler in der Geschichte des ruhmreichen Traditionsvereins Celtic.
Doch die größte Ehrung für einen schottischen Spieler führte Bischof Devine in seiner Grabesrede für Johnstone aus: „Die Trauer über seinen Tod stellt die Rivalität desOld Firm in den Schatten, denn Jimmy wurde von allen Fans geliebt.“ Über 20 000 Menschen kamen am 17. März 2006 zum Begräbnis, darunter Rod Stewart, Sir Alex Ferguson und Vertreter des schottischen Parlaments. Unter den Trauernden befanden sich aber auch der damalige Trainer der Rangers Alex McLeish und viele ehemalige Spieler des Erzrivalen. Die beiden Glasgower Vereine und ihre Anhänger tragen eine mitunter blutige Fehde aus, in der es nicht nur um Fußball, sondern auch Politik und Religion geht. Und dennoch sprechen Fans der Rangers noch heute voller Hochachtung vom Celtic-Spieler Jimmy Johnstone. Mehr kann ein Fußballer in Schottland nicht erreichen.
„Ich bin ein Entertainer, der Platz ist meine Bühne. Ich mache es für Celtic, für die besonderen Menschen, die diesen Verein unterstützen“
Er war Fan und Balljunge bei Celtic, bevor er 1961 zur ersten Mannschaft stieß. Dort spielte er 14 Jahre lang, es war die größte Zeit des Klubs. Er gewann 1967 mit den Lisbon Lions sensationell den Europapokal der Landesmeister gegen den haushohen Favoriten Inter Mailand. Alle Spieler dieser Mannschaft stammten aus dem Umkreis des Celtic Park, sie symbolisieren noch heute den märchenhaften Triumph von elf Freunden auf dem Platz. Johnstone zog mit seinen Dribblings ganze Stadien in seinen Bann, er war ein Virtuose wie Garrincha in Brasilien, George Best in England oder Reinhard „Stan“ Libuda im Kohlenpott. Bei Spielern dieses Kalibers streiten die Fans über deren größten Auftritt wie Musikliebhaber über die größten Werke bedeutender Komponisten.
„Die brasilianischen Spieler lebten in Armut, so wie wir. Und das ist es, wo all die großen Spieler herkommen, von der Straße“, sagte Johnstone einmal. Gerne wird behauptet, dass die Menschen in den Arbeiterregionen nur die grätschenden Grasfresser zu schätzen wüssten. Doch in Manchester, Gelsenkirchen oder Glasgow lieben sie vor allem das Spiel und deshalb umso inniger die echten Ballkünstler.
Johnstones Herkunft aus dem Arbeitermilieu trug zu seiner Popularität bei. Denn er hob sich auch abseits des Platzes nicht groß von denen ab, die ihm zujubelten. Er sagte: „Ich bin ein Teil von ihnen, ich weiß, wie sie fühlen.“ Trotz seines Ruhmes war er umgänglich, ein gewitzter, geselliger Typ. Er kehrte mit seinen Fans in den Pub ein, sang und trank wie sie.
Gerade das aber wurde zu seinem Problem, in den Nächten war er so unberechenbar wie auf dem Feld. Die Zeitungen überschlugen sich mit Meldungen über seine Eskapaden, mal waren es Partygeschichten, mal verpasste er einem Gast seiner Kneipe eine Kopfnuss, mal wurde er betrunken am Steuer erwischt, beinahe unfähig, seinen Wagen zu bremsen. Er trieb während eines Trainingslagers volltrunken in einem geklauten Boot aufs offene Meer hinaus und musste in höchster Not gerettet werden. Sein Herzensklub Celtic warf ihn am Ende raus, es waren Johnstones bitterste Tage in seiner Karriere.
Es ist die Tragik so vieler Genies, im Fußball wie in der Musik oder im Filmgeschäft, denen das Schicksal so viel Talent und so wenig innere Ruhe schenkte. Die im Scheinwerferlicht brillieren und im Schatten zerbrechen, die auf großer Bühne fast magisch immer die richtigen Schritte tun und daneben reihenweise die falschen.