Als die Mauer fiel, war Frank Rohde mittendrin, nicht nur dabei: als Kapitän des Stasi-Klubs BFC Dynamo. Die DDR-Legende über seine bewegte Karriere.
Frank Rohde, Sie waren neun Jahre alt, als Ihre Familie von Rostock nach Berlin zog. Ihr Vater arbeitete von da an als Trainer für den Stasi- und Polizeiverein BFC Dynamo. Welche Rolle spielten Stasi und Polizei in Ihrem Leben als Kind und Teenager?
Zunächst keine. Als junger Sportler hatte ich das Privileg, die besten Trainingsbedingungen der DDR zur Verfügung zu haben. Nach der Schule wurde uns dann die Frage gestellt: „Staatssicherheit oder Polizei?“ Ich entschied mich für die Polizei. Polizist war ich aber nur auf dem Papier: Bei der einzigen Schießübung meines Lebens verfehlte ich die Zielscheibe um zwei Meter und durchlöcherte den Sandsack.
Wurden Sie als Soldat der Nationalen Volksarmee nicht zwangsläufig an der Waffe ausgebildet?
Offiziell schon (lacht). Aber als angehender Fußballer dauerte meine Ausbildung nicht 18 Monate, sondern vier Wochen. Nach zwei Wochen Marschieren hatte ich mir eine Blase gelaufen, das entzündete sich, ich bekam Wundfieber und blieb die restlichen zwei Wochen im Krankenbett.
Welchen Hobbys außer Fußball gingen Sie als Teenager im Ost-Berlin der siebziger Jahre nach?
Ich hörte leidenschaftlich gerne Musik und ging auf Konzerte. „Transit“ war meine Lieblingsband, deren Sänger Egon Linde galt als Udo Lindenberg der DDR. Udo war natürlich einer unserer Helden, viele „Transit“-Songs klangen genauso wie die von Lindenberg. Als ich später für den HSV spielte, lernte ich ihn kennen. Er lud mich ins Hotel „Atlantik“ ein, hatte allerdings schon ein paar Gläser gefrühstückt und dementsprechend schwer zu verstehen (lacht). Erst vor kurzem habe sein Musical „Hinterm Horizont“ gesehen. Bei „Mädchen Aus Ostberlin“ hatte ich Tränen in den Augen.
In der Saison 1979/80 feierten Sie Ihr Oberliga-Debüt beim BFC Dynamo und gehörten zehn Jahre dem ebenso verhassten wie erfolgreichen Stasi-Klub an. Waren Sie sich bewusst, was für ein Machtapparat hinter Ihrem Verein steckte?
Wir waren ja nicht blöd. Horch und Guck, wie man im Osten die Stasi nannte, war immer und überall. Wenn wir im Ausland unterwegs waren, wieselte immer ein Truppe Männer in schlecht sitzenden Anzügen um uns rum. „Präsent 20“ nannten wir die Typen, weil sie diese legendär-hässliche DDR-Anzug-Reihe trugen. Das ganze Ausmaß der Überwachung erfuhr ich erst nach dem Mauerfall. Jahrelang hatten sie unsere Telefone angezapft und die Zimmer in unserem Trainingscamp abgehört. Wenn ich da mal mit Andy Thom am Telefon über eine mögliche Flucht beim Europapokalspiel geblödelt hätte, wäre ich vermutlich weg vom Fenster gewesen.
Viele Ihrer ehemaligen Mit- und Gegenspieler wurden von der Stasi als IM angeworben. Sie auch?
Nein. Es gab einen Anwerbungsversuch, Anfang der Achtziger. Nach dem Training sprach mich einer der bekannten Stasi-Leute an. Er gab mir die Adresse einer Wohnung in Lichtenberg. Tage später saß ich da in einem muffigen Hinterzimmer vor einer Tasse Kaffee und hörte mir an, was er mir zu sagen hatte.
Hatten Sie Angst?
Natürlich ging mir die Düse! Er forderte mich auf, in Zukunft auf Reisen mal genauer auf meine Mitspieler zu achten, ruhig auch mal die Beobachtungen aufzuschreiben, dieser ganze Scheiß.
Was haben Sie ihm geantwortet?
Dass er für solche Dinge an den Falschen geraten sei. Ich bin aufgestanden und gegangen. Selbstverständlich wurde ich noch gewarnt, niemanden jemals von diesem Gespräch zu erzählen. Meiner Frau berichtete ich trotzdem davon. Und die wurde auch noch sauer, als ich ihr erzählte, dass ich abgelehnt hatte: „Mensch, jetzt bekommen wir doch Probleme!“
Und man ließ Sie einfach in Ruhe?
Ein paarmal wurde ich noch angerufen und angesprochen. Ich solle mir das gut überlegen. Aber ich blieb dabei und war aus dem Schneider.
Keine Konsequenzen?
Ich kann nur für mich sprechen: Ich wurde dazu nicht gezwungen. Es ist ja kein Geheimnis, dass sich viele meiner Kollegen als IM verpflichten ließen, die Gründe dafür sind mir nicht bekannt. Ich wollte mich jedenfalls nicht als Spitzel missbrauchen lassen und diesem psychischen Druck aussetzen.
Sie wurden zwischen 1980 und 1988 neunmal Meister der DDR-Oberliga. Wie präsent war der Hass auf den erfolgreichen Stasi-Verein?
Enorm! Wo wir auch hinkamen, die Leute haben uns ausgepfiffen, niedergebrüllt oder mit Schneebällen beworfen. Uns war das egal, wir hatten eine Wahnsinnsmannschaft, haben die Gegner lang gemacht und sind mit der Nase ganz hoch wieder zurück nach Berlin. Was die Leute natürlich noch mehr auf die Palme brachte. Zumal wir ja nicht nur wegen der Meisterschaften und der Stasi verhasst waren.
Sondern?
Wir waren die verwöhnten Kicker aus Berlin. Die mit den Privilegien. Wenn wir mit unserem Bus durch den Osten tingelten, aßen wir Bananen, während die Provinzler da draußen von so was nur träumen konnten! Ich erinnere mich an ein Auswärtsspiel in Aue. Wir fuhren mit dem Bus vors Stadion, da wartete schon die Menge und tobte. Am meisten Hohn und Spott bekam traditionell unser großer Blonder, Rainer Ernst, ab. Der saß in der Reihe vor mir, aß seine Banane, stand plötzlich auf und sagte: „Die können mich mal am Arsch lecken, die Bauern!“. Dann schmiss er die Bananenschale aus der Dachluke. Die Meute hätte fast unseren Bus umgeschmissen.
Der BFC galt als das liebste Kind von Stasi-Chef Erich Mielke. Wie viel Kontakt hatten Sie zu ihm und seinen Politfreunden?
In all den Jahren tauchte er nur einmal in der Kabine auf, um uns zur Meisterschaft zu gratulieren. Dafür mussten wir nach jedem Titel eine offizielle Feier über uns ergehen lassen, die in einem schicken Hotel in der Nähe des Alexanderplatzes abgehalten wurde. Traditionell mussten wir Fußballer dort als Gastgeber hochrangige Politiker und Funktionäre an ihre Tische begleiteten. Ich habe mir deshalb keine Waffel gemacht, wir schnappten die Pappnasen, setzten sie ab, sagten „Jetzt kannste dir einen brennen“, und verzogen uns an die Bar.
Mit welchem Politer hatten Sie regelmäßig zu tun?
Günther Schabowski tauchte oft auf – und einmal auch Günter Guillaume, der größte Spion der DDR, über den Willy Brandt gestolpert war. Der wurde uns doch tatsächlich als „Kundschafter der Friedens“ vorgestellt. Wir haben alle herzlich gelacht.
Klingt nach einem unterhaltsamen Abend. Wie viel Party war denn als Fußballer in der DDR?
Ich habe viele unvergessliche Abende erlebt. Wenn wir mit dem BFC im Trainingslager waren, gingen wir regelmäßig rudern. Die Trainer freuten sich, wie wir uns auf dem See abrackerten. Was sie nicht wussten: Auf der anderen Uferseite ging es durch den Wald in eine kleine Kneipe, die wir regelmäßig leer tranken. Manch einer war dann so angeschlagen, dass er beim anschließenden Bowling immer dann die Kugeln losfeuerte, wenn gerade die Stoppschilder runter waren. Das hatte natürlich ein Nachspiel.
Nämlich?
Als Kapitän wurde ich regelmäßig zum Rapport gebeten: „Frank, das geht doch nicht, da müssen sie doch was machen! Wir stehen doch unter Beobachtung!“ Da habe ich gesagt: „Sprecht selber mit den Spielern, die sind alt genug.“
Welche Feier ist Ihnen am intensivsten in Erinnerungen geblieben?
Unvergessen ist jene Weihnachtsfeier mit der Nationalmannschaft im Vogtland Mitte der Achtziger, als wir zu später Stunde eine Polonaise starteten. Mitten auf der Tanzfläche stand eine große Holzkuh, was auch immer die da zu suchen hatte. Jedenfalls sprangen wir einer nach dem anderen über die Kuh, auch unser damaliger Verbandspräsident Prof. Dr. Günter Erbach versuchte es. Mit dem Ergebnis, dass der hochdekorierte Mann hängen blieb und anschließend wie ein Maikäfer auf dem Rücken lag.
Hatten Sie als Berliner einen besonderen Vorteil in Sachen Feierei?
Nun, sicherlich keinen Nachteil! Da gab es das Operncafé Unter den Linden, das Café Moskau, oder das Haus des Lehrers am Alex. Da hingen immer die Boxer ab, außerdem die schärfsten Bräute (lacht). Im Prenzlauer Berg wurde irgendwann eine Diplomatendisco eröffnet, da ging dann auch regelmäßig einiges.
Sie waren als Nationalspieler und Europapokalteilnehmer häufig im Ausland unterwegs. Welche Reise ist Ihnen besonders in Erinnerung?
Unsere Blamage an der Weser im Oktober 1988. Das Hinspiel im Europapokal hatten wir deutlich mit 3:0 gegen Werder gewonnen. Doch weil zwischen Hin- und Rückspiel vier Wochen lagen, veränderte sich die Ausgangslage. Wir wurden plötzlich in die Favoritenrolle gedrängt und fühlten uns zu sicher. In Bremen bekamen wir bekanntlich mit 5:0 auf den Sack. Eine klare Angelegenheit. Obwohl, wenn Frank „Mille“ Pastor seine große Chance beim Stand von 0:3 genutzt hätte, wer weiß, wie die Partie ausgegangen wäre.
„Mille“ Pastor?
Der Frank spielte ganz gerne mal Lotto. Und einmal erzählte er uns: „Jungs, ich bin mir sicher, ich hab´ die Million!“ Sein tatsächlicher Gewinn betrug etwa acht Ostmark. Von da an hieß er nur noch „Mille“.
13 Monate nach dem Bremen-Spiel fiel die Mauer. Hätten Sie jemals damit gerechnet?
Natürlich nicht. Ich dachte, das Scheißteil steht für immer. Dann gingen in Leipzig die ersten Montagsdemonstranten auf die Straßen und die Geschichte nahm ihren Lauf. Am 9. November 1989 war ich mit meiner Familie in Potsdam, meine Frau bekam einen Anruf von einer anderen Spielergattin: Die Mauer ist auf! Ich wollte da erst nicht rüber, war doch klar, dass da die Hölle los sein würde. Aber jeder kluge Ehemann weiß, wann er seiner Frau nachgeben muss. Bei der Oberbaumbrücke sind wir rüber, ich weiß noch, wie die unzähligen Trabis gestunken haben. Meine Frau und mein Sohn Ronny waren dann gleich verschwunden, ich kaufte meiner kleinen Tochter ein Eis und schaute mir das Treiben an. Ehrlich gesagt habe ich mich geschämt.
Wofür?
Über das Verhalten meiner Landsleute. Die haben sich an diesen Tagen zum Teil benommen wie die letzten Idioten. In den Läden wurde geklaut, vieles war einfach nur beschämend.
Wie bekamen Sie die Wende als Fußballer zu spüren?
Aus der Nationalmannschaft war ich bereits Monate zuvor rausgeflogen, weil ich gewagt hatte, wegen der verpassten Qualifikation zur WM 1990 aufzumucken. Vor Trainern und Offiziellen sagte ich: „Wir verfügen über großartige Fußballer, aber die schmoren doch bei uns im eigenen Saft. Wenn ihr wirklich mal Erfolg wollt, lasst unsere besten Jungs in den Westen gehen!“ Prompt wurde ich von Kaderkreis 1 zu Kaderkreis 4 degradiert, meine Länderspielkarriere war nach 42 Partien beendet.
Sie brachen mit dem System?
Mehr oder weniger. Nach dem Mauerfall brach alles in sich zusammen und brachte die vielen hässlichen Details zu Tage. Zum Beispiel, dass sich unsere Parteibonzen von unseren Parteispenden die teuren Villen am Wasser finanzierten, statt die Kohle wie versprochen an die befreundeten Dritte-Welt-Länder zu spenden. Ich Hornochse hatte das jahrelang geglaubt. Als Medien die Wahrheit veröffentlichten, bin ich ins nächste Partei-Büro, habe mein kleines rotes Partei-Buch auf den Tisch geknallt und gesagt: „Hier, Keule, kannste wiederhaben. Mach ein Kreuz, ich bin raus!“ Zurück in der Kabine habe ich so lange darüber getobt, bis sich auch meine Mitspieler mit dem Büchlein in der Hand auf den Weg machten.
Ihr Verein galt in diesem Monaten mehr denn je als sportlicher Stellvertreter für die politischen Vergehen.
Und das haben wir auch zu spüren bekommen. Ich habe nie wieder eine so hasserfüllte Stimmung beim Fußball erlebt wie beim Weihnachtsturnier 1990. Da hingen die Zuschauer hinter uns in den Fangnetzen, haben uns beschimpft, bedroht und bespuckt. Ich habe zu meinen Mitspielern nur gesagt: „Lasst euch nicht provozieren, sonst machen die uns hier alle.“
Der Mauerfall war das Startsignal für den großen Ausverkauf des DDR-Fußballs. Stimmt es, dass Sie Andy Thom bei seinen Verhandlungen mit Leverkusens Manager Reiner Calmund geholfen haben?
Der Andy war ein Kumpel und bat mich als erfahrenen Kollegen, mit nach Leverkusen zu kommen. Wir nahmen eine Maschine von Berlin Tegel. Wer saß zufällig im selben Flieger? Calli! Der war schon ein gewiefter Hund und bezahlte schließlich nur drei Millionen Mark für Andy. Vielleicht das Schnäppchen seines Lebens.
Hat Calmund nie versucht, Sie auch nach Leverkusen zu locken?
Nein, aber der Kontakt blieb bestehen. Wir trafen uns ab und an in Berlin zum Essen. Ich werde nie vergessen, wie der Dicke einmal durch den Laden rief: „Mensch, Wuschi, du frisst ja genauso viel wie ich!“ (lacht). 1990 saßen wir gemeinsam beim Eröffnungsspiel der WM 1990 im Guiseppe-Meazza-Stadion und sahen zu wie Roger Millas Kameruner Maradonas Argentinien besiegten.
Sie wechselten schließlich zum Hamburger SV.
Wegen der schweren Verletzung von Dietmar Jakobs im September 1989, suchte der HSV nach einem alten erfahrenen Sack für die Defensive. Nachdem der Deal unter Dach und Fach war, telefonierte ich mit meinem Kumpel Thomas Doll: „Dolli, ich geh zum HSV. Für drei Jahre!“ Er so: „Was, du alter Sack? Das war doch immer mein Verein!“ Ich traf mich erneut mit den Verantwortlichen und berichtete ihm von Dollis Interesse. Der gab letztlich Borussia Dortmund einen Korb und kam mit mir mit.
HSV-Legende Uwe Seeler soll über Sie gesagt haben: „Der ist viel zu langsam für die Bundesliga.“
Stimmt, die Leute trauten dem 30-jährigen Opa Rohde nicht mehr viel zu. Dass ich mich dennoch als Stammspieler auf der Liberoposition durchgesetzt habe, dass ich in Dortmund, München und Kaiserslautern spielen durfte, ist vielleicht die größte Leistung meiner Karriere.
Sie galten in Hamburg bald als unersetzlich. Dann tauchten Anfang 1992 böse Gerüchte auf, Sie hätten als IM für die Stasi gearbeitet.
Die Gerüchte wurden von einem kleinen Licht gestreut, dass nun auch mal groß rauskommen wollte (dem damaligen Zweitliga-Spieler Jörg Kretzschmar, d. Red.). Ich wusste ja, dass da nichts dran war. Die „Bild“-Zeitung fuhr groß auf und brachte jeden Tag neue Berichte, ich stand in einer Talkshow Rede und Antwort. Als Mitschüler meinen Sohn als „Stasi-Schwein“ beschimpften, bin ich in die Schule gefahren und habe mit den Kindern Fußball gespielt. Danach war das gegessen. Für meine Familie war das eine sehr unangenehme Zeit.
Waren Sie nicht wütend?
Klar, aber ich wusste, dass ich auch diesen Gegenwind überstehen würde. Vor einem Freundschaftsspiel gegen den VfB Lübeck bot mir HSV-Präsident Jürgen Hunke an, nicht mitfahren zu müssen. Da sagte ich: „Hast du einen Knall? Ich spiele immer.“
Sie blieben bis 1993 beim HSV, bevor Sie schließlich die letzten zwei Jahre Ihrer Karriere beim damaligen Zweitligisten Hertha BSC verbrachten. Welche Erfahrungen nahmen Sie als „Ossi“ aus dem Westen mit?
Dass Fußballer doch im Grunde überall gleich sind, ob im Osten oder Westen. Ein Beispiel: In meinem ersten Jahr beim HSV ließ der große Manni Kaltz dort nach einem Jahr in Frankreich seine Karriere ausklingen. Manni, Thomas Doll und ich wurden Kumpels. Einmal lud er uns zu sich nach Hause ein und machte richtig auf dicke Hose: Auf dem Tisch standen edle Rotweine aus Bordeaux, seine Lebensgefährtin spielte auf dem Klavier. Dolli und ich gaben uns das für ein paar Minuten, dann sagte ich zu Kaltz: „Manni, jetzt hol mal fix die kalten Mollen aus dem Kühlschrank und sieh zu, dass dieses Geklimper aufhört!“
Wie reagierte Kaltz?
Zunächst überrascht. Dann holte er das Pils und hatte einen großartigen Abend.