Regelmäßig eingenommen, sind Schmerzmittel für manche Fußballer alles andere als harmlos. Dabei werden die Pillen „wie Smarties verteilt“. Jetzt warnen Profis wie Neven Subotic.
Neven Subotic gewann mit Borussia Dortmund die Deutsche Meisterschaft und spielt mittlerweile bei Union Berlin. Er zählt zu den erfahrenen Spielern in der Bundesliga. Und er warnt. „Was ich in den letzten 14 Jahren mitbekommen habe: Ibuprofen wird wie Smarties verteilt. Für jedes kleine Aua gibt es quasi pauschal Ibuprofen.“ Schmerzmittel seien im Profifußball „sehr präsent“. Und, ergänzt der ehemalige serbische Nationalspieler: „Für die Spieler ist es nicht offensichtlich, welche Folgen es haben kann, darüber werden sie in der Regel auch nicht informiert.“ Er selbst halte sich, außer in Ausnahmefällen, fern von Schmerzmitteln.
Gegenüber Reportern des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV und der ARD-Dopingredaktion haben sich auch andere (Ex-)Profis offen zum Thema geäußert. Der hochbezahlte Fußball erscheint in ihren Schilderungen als zuweilen gnadenloses Geschäft, wo es nicht in erster Linie um die Gesundheit der Athleten geht. Dani Schahin, Karriereende Sommer 2019, vorher Stürmer bei Fortuna Düsseldorf, Mainz 05 und SC Freiburg, sagt im Rückblick: „Die letzten drei, vier Jahre ging eigentlich gar nichts mehr ohne Schmerzmittel.“ Jonas Hummels, der 2016 als Spieler der Spvgg Unterhaching seine Karriere beschloss, hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Du kannst mir neun Mal sagen: ‚Du nimmst zu viel Schmerzmittel, lass es!‘ Ich hör’ neun Mal weg.“
Über die Bedeutung von Schmerzmitteln im Fußball äußerten sich insgesamt mehr als 150 Akteure aus dem Profifußball, neben Spielern auch Ärzte, Wissenschaftler, Funktionäre und Trainer. Der Fußball hat ein Problem, das ist offensichtlich. Denn der übermäßige Konsum der Pillen gegen Schmerzen und Entzündungen kann das Herz-Kreislauf-System beeinträchtigen oder Leber, Nieren und Magen schädigen. Verletzungen können verschleppt oder chronisch werden.
Das System Profifußball, Neven Subotic sieht es durchaus kritisch. „Im Fußball kommen immer wieder diese typischen Macho-Sätze, um den Spielern auch ein schlechtes Gewissen zu geben, wenn sie sich jetzt nicht überwinden und nicht mit Verletzung oder Schmerzmittel spielen.“
Die Sätze, die Spieler von Trainern zuweilen zu hören bekämen, würden variieren. „Es geht los mit: ‚Was ist, wenn das das Endspiel ist? Ich brauche Leute, die jedes Spiel so angehen, als wäre es das Endspiel.‘ Und entweder bist du so einer oder nicht. Das ist natürlich eine sehr schwierige Situation, in die man vor allem auch junge Spieler versetzt.“ Die Spieler würden unter Druck gesetzt, schnell auf den Platz zurückzukehren, täten dies manchmal auch ganz von selbst.
Das gilt nicht nur für den Profifußball. Auch Amateure greifen regelmäßig auf Schmerzmittel zurück, um spielen zu können. Das zeigt eine Befragung des Rechercheteams von CORRECTIV und ARD-Dopingredaktion, an der sich 1142 Personen beteiligt haben. Fast die Hälfte von ihnen gab an, mehrmals pro Saison Schmerzmittel zu nehmen, jeder fünfte Teilnehmer einmal pro Monat oder noch häufiger. Sie tun das längst nicht nur, um Schmerzen zu bekämpfen. 42 Prozent der Teilnehmer teilten mit, sie erhofften sich höhere Belastbarkeit, ein sicheres Gefühl und eine verbesserte Leistung.
Die Recherche-Ergebnisse nähren eine Debatte, die zu führen sich der Sport nie wirklich getraut hat. Wenn Sportler damit ihre Leistung erhöhen wollen – sollten Schmerzmittel dann nicht auch als Doping eingestuft werden? Die WADA wiegelt ab. Um als Dopingmittel eingestuft zu werden, müssten Schmerzmittel zwei der drei Kriterien erfüllen, die die WADA definiert hat, Gesundheitsschädigung, Leistungssteigerung und die Verletzung des Sportsgeistes. Das sieht die WADA nicht gegeben. Der Kölner Dopingforscher Hans Geyer hingegen findet, alle drei Kriterien seien erfüllt.
Spieler fordern eine offene Debatte und mehr Aufklärung. „Ich weiß von gar keiner Aufklärungskampagne über die Einnahme von Schmerzmitteln und die langfristige Wirkung auf den Körper“, sagt Neven Subotic. Auch DFB-Präsident Fritz Keller zeigte sich „schockiert“, als er die Ergebnisse der Schmerzmittel-Umfrage sah, an der sich vor allem Amateure beteiligt haben. Der ranghöchste Vertreter des deutschen Fußballs will reagieren. „Da müssen wir unbedingt an die Landesverbände gehen und über Trainer eine Sensibilisierung hinkriegen.“ Gerade der Sport im Amateurbereich sei doch „zur Gesunderhaltung gedacht und nicht dafür, dass man sich kaputt macht.“
Dieser Artikel ist Teil der großen #Pillenkick-Recherche des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV und der ARD-Dopingredaktion zum Thema „Schmerzmittelmissbrauch im Fußball“. Einen Überblick mit allen Ergebnissen zu dieser Recherche findet ihr auf pillenkick.de. Dort könnt ihr auch die ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping: Hau rein die Pille!“ anschauen, die heute Abend (9. Juni) um 22:45 Uhr in der ARD läuft. Außerdem findet ihr eine interaktive Übersicht mit Hinweisen zu Ibuprofen, Aspirin und anderen Schmerzmitteln. In den Sozialen Medien wird unter dem Hashtag #pillenkick diskutiert.