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Gio­vane Elber, wann waren Sie das erste Mal im Mara­canã?
1989, da war ich gerade 16 Jahre alt.

Wie kommt ein 16-Jäh­riger aus dem fast 1000 Kilo­meter ent­fernten Lond­rina nach Rio de Janeiro?
Ich bin seit meiner Jugend Fan von Fla­mengo aus Rio de Janeiro. Mit einem Freund waren wir zwei Tage im Auto unter­wegs, nur um einmal ein Spiel im Mara­canã zu erleben und mein großes Idol Zico spielen zu sehen. Leider hat Fla­mengo gegen Gremio Porto Alegre mit 0:1 ver­loren. Aber die Stim­mung im Sta­dion, das Erlebnis Mara­canã, war trotzdem unver­gleich­lich.

Was war so beson­ders?
Das war noch das alte“ Mara­canã, in seiner ursprüng­li­chen Form, so wie es für die WM 1950 gebaut worden war: mit Steh­plätzen und ohne Begren­zungen zwi­schen den Blö­cken. So konnten die Fans dem Spiel immer auf Ball­höhe folgen. Sie sind im Sta­dion hin- und her­ge­laufen, als wären sie Teil einer Cho­reo­grafie.

Und Sie waren mit­ten­drin?
Ich blieb lieber im Ober­rang. Zum einen, weil ich nicht aus Rio komme, zum anderen schien es mir zu gefähr­lich.

Warum das?
Da es keine Absper­rungen gab, trafen natür­lich auch die Fan­lager auf­ein­ander. Da ging es hoch her. Außerdem hatte fast jeder ein Leucht­feuer oder eine Rakete in der Hand. Das war damals noch erlaubt.

Inzwi­schen ist nicht nur die Pyro­technik ver­boten, auch das Sta­dion wurde mehr­fach umge­baut. Ähn­lich wie zur Ein­wei­hung 1950 war es zur Wie­der­eröff­nung 2013 nicht end­gültig fer­tig­ge­stellt. Ist das typisch bra­si­lia­nisch?
Leider ja. Wir Bra­si­lianer machen immer alles auf die letzte Sekunde. Dann geht es aber auch wie auf Knopf­druck, ganz schnell. Dabei sollte diesmal alles anders werden. Wir hatten so viel Zeit wie kaum ein WM-Gast­geber vor uns, und trotzdem war das Mara­canã zum Eröff­nungs­spiel des Confed-Cups 2013 noch nicht fertig. Dass dadurch viel Geld ver­schwendet wurde, macht viele wütend.

Die Leute bemän­geln zudem, das Sta­dion habe durch die Umbauten seinen Cha­rakter ver­loren.
Viele Kri­tiker sagen, das neue“ Mara­canã sei zwar ein schönes Sta­dion, eine moderne Arena, doch die Gän­se­hautat­mo­sphäre fehle. Da ist was dran. Ande­rer­seits waren es immer die Fans, die das Sta­dion zu dem gemacht haben, was es ist. Ich erin­nere mich an ein Spiel mit viel­leicht 8000 Zuschauern. Und trotzdem war es im Sta­dion lauter als im voll­be­setzten Camp Nou. Das ist ja eher ein Thea­ter­pu­blikum.

Was unter­scheidet die bra­si­lia­ni­schen Anhänger von euro­päi­schen?
Sie singen die ganze Zeit. Auf den Rängen ist immer was los, Stille gibt es nicht. Und jedes Wochen­ende kommt etwas Neues. Bei den Fla­mengo-Fans ist es zum Bei­spiel sehr beliebt, aktu­elle Nummer-Eins-Hits auf die eigenen Schlacht­rufe umzu­texten. Nur wenn die Mann­schaft schlecht spielt, wird es unge­müt­lich. Dann wird bedin­gungslos gepfiffen.

Zico sagte einst: Im Mara­canã muss man zeigen, was man kann – es ist ein schreck­li­ches Gefühl, von 150.000 Leuten aus­ge­pfiffen zu werden.“ 
Bei uns heißt es: Jeder große Fuß­baller muss einmal im Mara­canã gespielt haben.“ Nicht zuletzt, um zu zeigen, dass man den Erwar­tungen stand­halten kann. Aber der Druck kann die Spieler auch über­for­dern. Des­wegen legt der bra­si­lia­ni­sche Ver­band viele wich­tige Spiele der Natio­nal­mann­schaft eher in die Pro­vinz des Landes. Die Fans dort freuen sich so sehr, ihre Idole spielen zu sehen, dass sie auch bei schlech­teren Spielen gnä­diger in ihrem Urteil sind.

Sind das noch die Spät­folgen der Tra­gödie von 1950, als Bra­si­lien vor fast 200.000 Zuschauern im Mara­canã das ent­schei­dende WM-Spiel gegen Uru­guay verlor?
Das Trauma ist tat­säch­lich noch immer in den Köpfen. Es hieß immer: Im Mara­canã gewinnt Bra­si­lien keinen Titel.“ Vor dem Confed-Cup 2013 waren dem­entspre­chend auch alle skep­tisch. Wochen­lang liefen die Auf­zeich­nungen des dama­ligen Spiels. Umso befreiter waren alle, als die Seleçao“ im Finale gegen Spa­nien gewonnen hatte. Der Traum vom sieg­rei­chen WM-Finale im Mara­canã bleibt am Leben.

Offi­ziell trägt das Sta­dion den Namen Estadio Jorn­a­lista Mario Filho“, nach einem Mann, der sich für den Standort im Viertel ein­setzte.
Für die Bra­si­lianer ist es das Mara­canã, nichts weiter. Der Name Mario Filho ist nur noch den Wenigsten bekannt.

Sie waren nicht nur als Zuschauer dort, son­dern haben selbst dort gespielt. Lässt sich das Gefühl beschreiben?
Die Größe des Runds wird einem auf dem Rasen beson­ders bewusst. Alle Wege sind unend­lich lang. Selbst das Spiel­feld an sich wirkt viel größer als üblich. Als ich das erste Mal auf den Rasen des Mara­canã trat, hatte ich den Ein­druck, die Tore wären zwei Kilo­meter von­ein­ander ent­fernt. Ein­fach weil alles drum herum so riesig ist. Und auch wenn das Sta­dion in der heu­tigen Form keinen ganz so mäch­tigen Ein­druck mehr macht, es bleibt das Mara­canã: ein bra­si­lia­ni­sches Hei­ligtum.