Am Mittwochabend spielt Holstein Kiel in der Relegation gegen den 1. FC Köln um den Aufstieg in die Bundesliga. Ole Werner und seine Co-Trainer Fabian Boll und Patrick Kohlmann über eine wahrlich außergewöhnliche Saison.
Als wir Ole Werner und seine Co-Trainer im März zum Interview trafen, stand den Kielern aufgrund einer Quarantäne ein Mammutprogramm im April bevor. Eine erneute Quarantäne machte daraus einen Mammut-Mai. Und Borussia Dortmund machte aus den Kieler Pokalträumen herbe Ernüchterung. In der Relegation haben die Störche allerdings noch die Chance auf den Bundesliga-Aufstieg. Unsere 11FREUNDE-Ausgabe #234, in der das Interview erstmals erschien, ist hier im Shop erhältlich.
Am 1. Mai findet das Pokal-Halbfinale in Dortmund statt, am 23. Mai endet die Zweitligasaison. Welchem Termin fiebern Sie mehr entgegen?
Ole Werner: Jetzt geht es erst mal darum, diesen Monster-April zu überstehen, der durch unsere Corona-Quarantäne entstanden ist. Wenn wir dann zum ersten Mal wieder eine volle Woche zur Vorbereitung haben, steigt auch die Vorfreude aufs Pokalspiel. Vorher hast du so viel zu tun, dass dafür kein Platz ist. Das gilt auch fürs Saisonende.
Fabian Boll: Wenn du zwei solche Ziele vor der Nase hast, ist das erst mal was durchweg Positives, weil es beweist, dass wir in den letzten Monaten nicht nur Rotze gespielt haben können. Ich hatte vor 15 Jahren als Spieler beim FC St. Pauli schon die Chance, ins Pokalendspiel einzuziehen, damals haben uns die Bayern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Insofern wäre es ein Riesenerlebnis, bei solch einem Finale dabei
zu sein. Aber allein vom Quatschen kommt nichts, da steckt eine Menge Arbeit dahinter.
Patrick Kohlmann: Ich fiebere dem Pokalspiel schon sehr entgegen, was natürlich auch damit zu tun hat, dass ich früher für Borussia Dortmund gespielt habe. Der einzige, aber riesengroße Wermutstropfen ist leider, dass keine Zuschauer dabei sein werden.
Ist es ein Problem, dass zwei Ziele, die für Holstein Kiel gleich reizvoll und gleich ungewöhnlich sind, quasi miteinander konkurrieren?
Werner: Auf mehreren Hochzeiten zu tanzen, wird immer dann kritisch, wenn es um negative Dinge geht. Wenn man in der Liga mit dem Rücken zur Wand steht, aber im Pokal relativ weit kommt, stellt sich diese Frage eher. Jetzt geht es ausschließlich um Chancen, da fällt es der Mannschaft leicht, damit umzugehen.
Ist es ein Vorteil, dass Kiel ein unaufgeregter Standort ist?
Boll: Überspitzt heißt es manchmal: Es interessiert keinen, was wir da oben machen. Das stimmt natürlich nicht. Aber trotzdem ist es angenehm, wenn man sich nicht wie anderswo für jede Trainingseinheit rechtfertigen muss.
Werner: Es hat definitiv Vorteile, in Ruhe zu arbeiten. Allerdings steigt in der jetzigen Situation auch die eigene Erwartungshaltung an den Ausgang der Saison.
„Es geht darum, wie man mit Menschen umgeht, da ist das Alter vollkommen egal“
Die Herren Boll und Kohlmann haben bei St. Pauli, Dortmund und Union Berlin ja schon andere Umfelder erlebt. Vermissen Sie die Atmosphäre und Hingabe, die dort zu spüren ist?
Boll: Abwarten. Dreh die Uhr zehn Jahre zurück, da war Kiel ein Viertligist. Ich habe selber mit dem TSV Lägerdorf hier vor 800 Zuschauern gespielt. Mittlerweile hättest du zwischen 11 000 und 15 000 Zuschauer, wenn Corona nicht wäre. Und wenn man sieht, wie sich das Stadion entwickelt und welche Pläne zum Ausbau es gibt, geht das in die richtige Richtung. Was ich mit St. Pauli schon mal erlebt habe, von einer alten Bruchbude hin zu einem schmucken Ding, das passiert gerade auch hier.
Kohlmann: Als ich 2014 als Spieler hierhin gekommen bin, haben wir in der Dritten Liga zu Hause vor dreieinhalbtausend Leuten gespielt. Vier Jahre später sind mehr als sechstausend Fans mit zum Relegationsspiel um den Bundesligaaufstieg nach Wolfsburg gekommen. Deshalb bin ich sicher, dass es jetzt unter anderen Umständen eine gewisse Hysterie geben würde.
Sie haben als Trainerteam nicht zusammen angefangen, sondern sind nach und nach dazugekommen, der Cheftrainer als Letzter. Mussten Sie sich erst finden?
Kohlmann: Ich durfte ja noch als Spieler unter Ole auflaufen, als er 2016 schon einmal Interimstrainer war. Daher wusste ich, wie er als Trainer arbeitet, und habe mir gedacht, dass das ganz gut hinhauen könnte.
Werner: Wenn ein neuer Cheftrainer kommt, gibt es ja immer zwei Möglichkeiten. Entweder man haut alles über den Haufen und macht eine Art Re-Start. Oder man versucht mit den Leuten, die da sind, gut zusammenzuarbeiten. Wenn es menschlich passt, ist das meine bevorzugte Herangehensweise.
War es ein Thema, dass der neue Chef jünger ist als seine Co-Trainer?
Kohlmann: Es geht darum, wie man mit Menschen umgeht, und da ist mir persönlich das Alter vollkommen egal. Wenn ich es nicht wüsste, würde ich auch nicht darauf kommen, dass Ole jünger ist als ich.
Woran liegt das?
Kohlmann: Ich könnte sagen, es liegt an der Frisur, aber ich habe die gleiche. Also ist es wahrscheinlich seine natürliche Autorität.
2013 fing er als Nachwuchscoach bei Holstein Kiel an, sechs Jahre später war Ole Werner bereits Cheftrainer des Profiteams. Eine steile Karriere.
Ole Werner, Sie haben im laufenden Betrieb die Ausbildung zum Fußballlehrer absolviert. Welche Rolle spielen Assistenten in dieser Zeit?
Werner: Ohne Boller (Fabian Boll, d. Red.)und Kohle (Patrick Kohlmann) hätten wir die letzte Saison wahrscheinlich nicht zu einem solch guten Ende geführt. Während der Ausbildung bist du oftmals nicht bei der Mannschaft, und so werden die Co-Trainer mit Situationen konfrontiert, die du eigentlich als Cheftrainer handhaben müsstest. Etwa, wenn du ein Spiel verlierst und am nächsten Tag eine bestimmte Stimmung auffangen musst.
Haben Sie irgendwann bereut, sich auf diese Doppelbelastung eingelassen zu haben?
Werner: Als ich die Mannschaft im September 2019 übernahm, ging es darum, sie zu stabilisieren und in der Liga zu bleiben. Das ist eine große Verantwortung. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Lehrgang relativ entspannt, aber wenn ich gewusst hätte, was im Januar und Februar auf mich zukommt, hätte ich sicher größere Bedenken gehabt.
Als Sie 2016 zum ersten Mal Interims-coach des Profiteams wurden, waren Sie gerade 28 Jahre alt und überhaupt erst drei Jahre als Trainer tätig.
Werner: Ich hatte damals nicht unbedingt vor, das zum Beruf zu machen. Ich muss aber zugeben, dass mit der Interimstätigkeit ein gewisses Feuer entfacht wurde. Weil ich das Gefühl hatte, dass es funktionieren könnte, wenn ich noch ein paar Dinge dazulerne. Zumal mir im Verein eine Perspektive aufgezeigt wurde, die es realistisch erscheinen ließ, in diesem Bereich längerfristig hauptberuflich tätig zu sein.