186 Bundesligaspiele, 24 Tore – Jan Rosenthal ist ein gestandener Spieler. Und er weiß, wie das Geschäft läuft. Im Gespräch verrät er, warum Darmstadt nicht absteigt, weshalb er kein Freigeist sein will und warum man manchmal besser die Klappe hält.
Jan Rosenthal, Sie malen in Ihrer Freizeit Bilder. Was macht Sie zufriedener, ein gutes Spiel oder ein fertiges Bild?
Wenn mir ein Bild gelungen ist, freue ich mich natürlich. Aber ein gutes Spiel macht mich trotzdem zufriedener – weil es für meinen Beruf wichtiger ist. Du nimmst ein gutes Gefühl mit in die neue Trainingswoche, du schöpfst neues Selbstvertrauen. Und als Spieler brauchst du diese Art Zufriedenheit auch körperlich.
Wie oft malen Sie denn überhaupt?
Bestenfalls komme ich einmal in der Woche dazu. Es gibt Phasen, da male ich häufiger, aber es gibt auch Phasen, in denen ich zwei Monate gar nichts mache. Es braucht eine gewisse Muße und auch Zeit, sich richtig einzufinden. Das klappt nicht in einer halben Stunde. Daher nimmt das Hobby auch gar keinen so großen Raum in meinem Leben ein. Das Thema wird – wie vieles – zu sehr aufgebauscht. Ich male einfach in meiner Freizeit ab und zu gerne ein Bild.
Es gibt das Klischee vom Künstler, der enorm viel Freiraum braucht. Als Berufsfußballer ist ihr Leben dagegen extrem strukturiert. Haben Sie damit ein Problem?
Nein, überhaupt nicht. Und dieses Klischee des Freigeistes, der sich nicht einzwängen lässt, vermittelt meiner Meinung nach auch ein falsches Bild.
Wieso?
Ich glaube, kreative Leute brauchen Ordnung, um kreativ zu sein. Ich gehe zum Beispiel nur in mein kleines Malzimmer, wenn dort alles aufgeräumt ist. Wenn alles Alltägliche abgearbeitet ist, wenn ich auch keine körperlichen Probleme habe, an denen ich arbeiten müsste. Wenn also alles geordnet und erledigt ist, dann bin ich entspannt und dann kann ich auch kreativ sein. Ich brauche Ordnung im Kopf.
Also funktionieren Sie als Fußballer auch nur, wenn die Strukturen um Sie herum funktionieren?
Ja, es hilft auf jeden Fall. Wenn alles willkürlich ist, dann nimmt man sich zu viel Raum für andere Dinge, dann funktionieren Automatismen nicht mehr, alles ist zu frei.
Sie gelten als verkopft, oft ist das nicht positiv gemeint. Ist es für einen Fußballer ein Problem, seinen Kopf zu benutzen?
Nein, überhaupt nicht. Das Problem ist nur, wie es wahrgenommen wird. Und bei mir lief es teilweise in eine absurde Richtung.
In was für eine Richtung denn?
Wenn jemand Dinge hinterfragt, bekommt er im Fußball gleich den Stempel: Freigeist. Und das im negativen Sinne. Dabei meinte Christian Streich, der mich in Freiburg mal Freigeist genannt hat, es beispielsweise positiv. In Frankfurt (bei Eintracht Frankfurt, d. Red.) war ich dann auch der Freigeist, doch auf einmal wurde es in die kritische Ecke gedrängt.
Und Sie saßen unter Armin Veh nur noch auf der Bank.
Eigentlich ging es nur darum, dass ich keine einheitlichen Vorgaben erkennen konnte. Ich wollte meine Aufgaben genau kennen, und vielleicht wurde ich dadurch für manche Leute unangenehm. Dabei habe ich für diesen Verein alles getan und auch versucht, mich in ein System einzufügen. Trotzdem gelte ich seit dieser Geschichte als unbequem. Und mein Berater kommt nach der Frankfurt-Zeit zu mir und sagt: „Wir finden keinen neuen Verein für dich. Interessierte Klubs bekommen den Eindruck, du seist ein bisschen schwierig.“ Plötzlich hast du als Spieler ein richtiges Problem.
Aber es ist doch logisch, dass Trainer lieber auf Spieler setzen, die sie nicht hinterfragen.
Es geht hauptsächlich nicht ums Hinterfragen, sondern ums Erfragen. Ich bin mir sicher, dass jeder Trainer möchte, dass die Spieler ihre Aufgaben verstehen. Und darum geht es auch mir. Ich glaube, ich bin für einen Trainer sehr leicht zu trainieren. Ich achte sie als absolute Respektspersonen und ich hatte nie Probleme mit Trainern bis dato und auch danach nicht wieder. Hier in Darmstadt habe ich mich auch ohne Weiteres an eine Spielweise angepasst, die meiner eigenen eigentlich nicht unbedingt entgegenkommt. Aber ich habe erkannt, dass die Mannschaft so funktioniert, also habe ich mich untergeordnet und im Endeffekt davon profitiert. Zu sagen, dass ich mich trotz eigenem Kopf nicht anpassen kann, ist also falsch.
Was war dann das Problem unter Armin Veh?
Fußballerisch konnte ich mir eigentlich wenig vorwerfen. Also wurde es irgendwann eher eine Sympathiegeschichte – von beiden Seiten. Das muss man akzeptieren, das ist in anderen Berufen ja ähnlich, dass da mal etwas nicht passt, das muss dann auch gar nicht gewertet werden. Das wird von den Medien zwar gerne gemacht, aber letztlich ist nicht die eine Seite nur gut und die andere nur schlecht.
Sie schreiben auf Ihrer Website über Ihre Zeit in Frankfurt, dass sie auf einige Erfahrungen des Profifußballs hätten verzichten können. Welche Erfahrungen meinen Sie damit?
Ich hätte darauf verzichten können, was diese Sache mit mir als Mensch gemacht hat. Du fährst zur Arbeit, aber weißt, dass diese Arbeit nicht belohnt werden wird. Dann wird es schwer, seinen Körper jeden Tag dieser Belastung zu stellen. Und wenn du dann noch – wie ich zu der Zeit – dauernd verletzt bist, die Öffentlichkeit dir aber nicht die Zeit gibt, dich einzufinden, dann ist es schwierig. Aber: Schlechte Erfahrungen helfen dir für die Zukunft mehr. Du wächst daran und wirst stärker.
Vor ihrer Zeit in Frankfurt haben Sie drei Jahre in Freiburg gespielt, Sie kennen die Stadt und das Umfeld. Wie haben Sie die Diskussionen um den Mord an der Studentin Maria L. wahrgenommen?
Ich denke, die Stadt hat sehr besonnen reagiert. Das, was dort geschah, sollte nicht zu Verallgemeinerungen führen. Ich fand es deshalb auch gut, dass sich Christian Streich dazu geäußert hat. In seiner Position erreicht er auch Menschen, die ansonsten weghören. Er stellt eine Autorität dar und spricht Dinge aus, die einige nicht hören wollen. Das finde ich gut.
Als Spieler könnten auch Sie eine große Öffentlichkeit erreichen.
Als Fußballer kann dir aber auch jede Äußerung um die Ohren fliegen. Vor allem, wenn bestimmte Medien Kleinigkeiten zu etwas Großem aufbauschen oder Sätze aus dem Kontext reißen und damit den Sinn entstellen. Da ist es oft gesünder, die Füße still zu halten. Das soll aber nicht heißen, dass man ängstlich werden muss. Auch ich würde mir von mir selbst wünschen, in dieser Hinsicht ein bisschen mutiger zu werden. Andererseits bin ich vielleicht auch ein bisschen zu sensibel, um die Konsequenzen von bestimmten Aussagen ohne Weiteres zu tragen.
Vielen Profis geht es wahrscheinlich ähnlich wie Ihnen. Dadurch werden Gespräche oft seicht.
Das mag sein, aber was meinen Sie, wie die Konsequenzen für uns aussehen können? Viele Vereine suchen ihre Spieler neben den sportlichen Kriterien nachvollziehbarerweise auch danach aus, ob sie vermeintlich Probleme mit sich bringen. Und allein das Image des Freidenkers, das an mir haftet, wird dann zum Problem. Im Zweifelsfall werden sich Vereine eher gegen so einen Spieler entscheiden. Und in meinem Alter hat man vielleicht noch zwei, drei Karrierejahre vor sich und bekommt dann – womöglich – den einen, wichtigen Vertrag nicht mehr. Letztlich wollen viele Vereine Ruhe. In den Neunzigern war das anders. Da war es noch cool, einen Mario Basler in der Mannschaft zu haben. Aber da gab es eben auch noch keine Sozialen Medien und nicht so extrem viele Medien, die Einfluss auf das Geschäft nehmen.
Jetzt schirmen Vereine ihre Spieler ab wie noch nie. Dadurch entsteht der Eindruck, Diskurse von gesellschaftlicher Relevanz gehen an der Blase „Profifußball“ komplett vorbei. Aber wie ist es intern? Werden Themen wie die Flüchtlingskrise in der Mannschaft diskutiert?
Nicht wirklich. Es gibt natürlich einzelne Spieler, die sich Gedanken machen. Aber ich glaube nicht, dass sich viele Fußballer untereinander mit diesen Dingen beschäftigen, geschweige denn, dass dann nach außen tragen würden. Warum auch? Wir sind zwar Menschen und können ja auch im Freundeskreis politisch sein. Aber wir stehen in der Öffentlichkeit und da kann man sich schnell verbrennen. Nehmen wir zum Beispiel Schauspieler oder Komiker, die online Stellung beziehen: Die kriegen es prompt um die Ohren gehauen. Und jetzt stellen Sie sich vor, das macht ein Fußballer, der vielleicht nicht so differenziert über ein Thema nachdenkt. Der schaufelt sich sein eigenes Grab.
Lassen Sie uns über Fußball reden. Vor der Winterpause haben Sie mit Darmstadt knapp gegen die Bayern verloren – wie eigentlich immer in Ihrer Karriere. Nur einmal gab es für Sie einen Sieg, erinnern Sie sich daran?
Ja, klar. Das war vor mehr als zehn Jahren mit Hannover. Das war die Zeit mit Huszti, Staijner und Altin Lala, ich habe Rechtsaußen gespielt. Dieter Hecking war grade Trainer bei uns geworden, wir sind früh in Führung gegangen und haben dann gut verteidigt. Und die Bayern waren nicht so stabil wie heutzutage.
Sie sprechen es an: Die Bayern von vor zehn Jahren haben nicht mehr viel mit den Bayern dieser Tage gemein. Kann man sich als Spieler überhaupt noch auf ein Spiel gegen einen so überlegenden Gegner freuen?
Ehrlich gesagt eher weniger. Im Vergleich zu der Zeit vor Pep Guardiola ist es extrem schwer geworden, früher war ein Sieg realistischer. Jetzt ist das eine Mannschaft mit ausnahmslos Weltklasse-Leuten, die in einem funktionierenden System spielen. Was man da braucht ist Leidensfähigkeit. Dazu brauchst du als Mannschaft das nötige Glück und musst wirklich daran glauben, dass etwas zu holen ist. Doch genau dieser Glaube fehlt vielen Teams heutzutage. Die denken: Ach, irgendwann schießen die Bayern eh eins. Und dann passiert es natürlich auch.
Leider geht die Schere zwischen den ganz großen Teams und den kleineren tendenziell ja noch weiter auseinander. Wird es in Zukunft möglich sein, dass eine Truppe wie Darmstadt in der Bundesliga spielt und sich dort auch hält?
Wenn ich mir aus eigener Erfahrung anschaue, wie in der Zweiten Liga Fußball gespielt wird, dann würde ich sagen: Ja, es ist für Mannschaften wie Darmstadt möglich, in die erste Liga aufzusteigen. Sich dort länger zu halten wird allerdings schwierig. Aber man kann Vereinen wie den Bayern ja auch nicht vorwerfen, dass sie gut arbeiten und dominant werden. Eines von mehreren Problemen ist, dass durch die Champions League das Geld immer ungleicher verteilt wird. Dadurch entsteht für manche ein Vorsprung, den Mannschaften wie wir eigentlich nicht aufholen können.
Wieso schafft Darmstadt 98 in dieser Saison dann trotzdem den Klassenerhalt?
Der Druck liegt bei den anderen Mannschaften. Und: Wir wissen, wie man das Unmögliche schaffen kann. Wir haben in der Hinrunde viele uns daran hindernde Fehler gemacht, aber daraus haben wir gelernt.
Seit kurzem ist Torsten Frings Ihr Trainer. Was ist Ihr erster Eindruck von ihm?
Auch er hat den festen Glauben an den Klassenerhalt. Er war selbst ein guter Kicker und kann uns viele wichtige Dinge vermitteln, die wir brauchen. Seine Art passt zu uns.
Wird sich die Art und Weise, wie er Fußball spielen lassen will, von der bisherigen Spielweise unterscheiden?
Ich denke, sie wird etwas mutiger, da wir nichts mehr zu verlieren haben. Wir sind Letzter, brauchen Siege, dazu brauchen wir Tore. Aber klar, wir werden keinen Hurra-Fußball spielen, alles in Balance. Zu allererst müssen wir als Team gut verteidigen – das ist selbstverständlich – und dann wollen wir uns im Umschaltspiel verbessern.
Am Samstag geht es gegen Gladbach. Würden Sie für uns das Ergebnis tippen?
2:1.