Felix Brych pfeift seit vielen Jahren in der europäischen Spitze. Hier erzählt er von der Einsamkeit der Referees, schwierigen Spielern und vom Einfluss des Fernsehens auf die Regeln.
Felix Brych, haben Sie eine Erklärung dafür, warum es in den letzten Jahren unter deutschen Schiedsrichtern einen Selbstmordversuch, sexuelle Übergriffe, den Vorwurf der Günstlingswirtschaft und ständig Reibereien gegeben hat?
Nein, obwohl ich mir viele Gedanken gemacht habe, warum das so ist.
Haben Sie denn zumindest ansatzweise eine Erklärung gefunden?
Das mag jetzt nach Küchenpsychologie klingen, aber vielleicht hat es damit zu tun, dass wir alle Konflikte aus dem Spiel mit nach Hause nehmen und wahnsinnig viel mit uns selber ausmachen müssen. Wir Schiedsrichter lieben unseren Job alle, aber er stellt auch sehr spezielle Anforderungen. Eine Fußballmannschaft etwa kann eine Niederlage gemeinsam bewältigen, wir Schiedsrichter sind am nächsten Morgen allein. Das ist wahnsinnig kräfteraubend – auch im Privatleben.
Inwiefern ist das so?
Wenn ich mir sonntags auf dem Platz nicht viel sagen lasse, ist es montags zu Hause vielleicht auch so, dass ich niemanden an mich heranlasse. Ein dickes Fell kann man nicht sofort ablegen.
Macht das die meisten Schiedsrichter zu Einzelgängern?
Nicht unbedingt, aber wir brauchen eine starke Persönlichkeit und viel Eigensinn, um erfolgreich zu sein. Wir stehen schließlich auch in Konkurrenz zueinander. Es gibt Aufstiege und Abstiege für Schiedsrichter, nur einer kann das Pokalfinale pfeifen oder zu Welt- und Europameisterschaften fahren. Das ist schon sehr kompetitiv.
Also: Alle gegen alle?
Nein, überhaupt nicht. Wir haben eine sehr positive junge Generation von Schiedsrichtern, so dass bei unseren Treffen die Stimmung wieder richtig gut ist. Vor allem aber geht es kollegialer und menschlicher zu.
War das vorher nicht so?
Ich verstehe, dass Sie fragen, aber ich möchte zur Vergangenheit wirklich nichts mehr sagen.
Worin liegt denn die größte Belastung für einen Schiedsrichter?
Wir gehen jede Woche das extreme Risiko ein, unter den Augen von Zehntausenden im Stadion und Millionen am Fernseher in aller Öffentlichkeit zu scheitern. Wir übernehmen eine große Verantwortung, wenn wir uns mit der Pfeife in die Mitte stellen. Das ist einerseits unglaublich faszinierend, aber daraus ergibt sich auch ein gewaltiger Druck.
Würde im Umgang damit eine psychologische Betreuung helfen?
Die gibt es inzwischen, wir haben vom DFB unabhängige Psychologen, die wir anrufen können. Aber die müssen wir auch erst mal richtig kennenlernen, und vorher muss jeder mit sich klären, ob man darauf zurückgreifen will.
Welche Maßnahmen treffen Sie, um das Risiko des öffentlichen Scheiterns, von dem Sie eben sprachen, zu verkleinern?
Unsere Vorbereitung ist darauf ausgerichtet, die Anzahl möglicher Fehler zu minimieren. Sie ist insofern mit der von Fußballtrainern vergleichbar, weil wir mittlerweile auch ein Onlineportal haben, wo ich mir Spiele von den Mannschaften aus den vergangenen Wochen angucken kann: Wie ist ihr Zweikampfverhalten, wie reagieren die Spieler auf ihre Gegner oder auf Schiedsrichterentscheidungen?
Gehen Sie dadurch nicht voreingenommen ins Spiel?
Nein, vorbereitet. Es geht darum, ob eine Mannschaft ihre Ecken kurz oder lang spielt, denn bei einer kurze Ecke muss ich den kurzen Strafraum abdecken und ansonsten den hinteren Teil. In der Champions League haben wir sogar einen Trainer, der uns mit Informationen füttert.