Manuel Neuer! Philipp Lahm! Mats Hummels! Benedikt Höwedes! Sami Khedira! Christoph Kramer! Bastian Schweinsteiger! Toni Kroos! Mesut Özil! Thomas Müller! Miroslav Klose! Per Mertesacker! André Schürrle! Mario Götze! Am 13.07.2014 wurden sie Weltmeister. Zur Feier des Tages gibt es hier die Einzelkritik von damals zum Finale.
Manuel Neuer
Als die Übertragung des WM-Endspiels von 2014 begann, ließ Manuel Neuer etwas fallen. Es waren Pappbecher. Verdammte Pappbecher. Die Kameras zoomten auf Neuer, suchten gierig mit ihren Objektiven nach einer Spur Verunsicherung im Gesicht des besten Torwarts der Welt. Der bückte sich, hob die Becher wieder auf – und lächelte. Schließlich waren es nur verdammte Pappbecher. In hoffentlich nicht allzu vielen Jahren, wenn wir mit unseren bildschönen Töchtern und unseren bildschönen Söhnen auf der Couch sitzen und einen von Neuers Nachfolgern dabei beobachten, wie er gerade auf dem Weg ist, seine Nationalmannschaft zum Titel zu führen, werden wir die Pappbecher-Story zum Besten geben. Und weil wir das sowieso bei jedem Länderspiel machen, unsere bildschönen Kinder also genau wissen, wie die Geschichte endet, werden wir uns in den Armen liegen und den letzten Satz unserer Neuer-Story in einem entrückten Singsang durch das Wohnzimmer unserer bildschönen Villa brüllen: „UND DAS WAR DAS EINZIGE, WAS ER BEI DIESER WM FALLENGELASSEN HAT!!!“
Philipp Lahm
Philipp Lahm. Du bist der Lothar Matthäus der Generation geboren nach 1980. Vielleicht der beste deutsche Fußballer der vergangenen zehn Jahre. Hast auf Vereinsebene alles gewonnen. Bist längst König in deinem Klub. Kleine Kinder auf dem Bolzplatz tragen Trikots mit deinem Namen drauf. Und trotzdem haben wir es uns in der Vergangenheit mehr als einmal erlaubt, dich zu verspotten, uns über dich lustig zu machen, dich nicht für voll zu nehmen. Weil du aussiehst wie ein Achtklässler, der als Hobbys „Latein und mein Zauberkasten“ im Jahrbuch angegeben hat. Weil du vielleicht mit den Bayern Titel gewinnen konntest, aber nie mit der Nationalmannschaft. Weil wir dir das auch vor vier Wochen ehrlich gesagt niemals zugetraut hätten. Dass du uns zum Titel führst. Mit deiner wunderbaren Maschinenschnittfrisur. Deinem wunderbaren Zwergenkörper. Deinen marsriegelartigen Augenbrauen. Deiner wunderbaren Interview-Diplomatie. Deiner wunderbaren Art Fußball zu spielen. Du bist Millionen Kilometer gerannt in den vergangenen zehn Jahren, hast 100.000 Haken geschlagen. Bist viele tausend Male nach innen gezogen, hast Flanken reingelöffelt und mit der Innenseite aufs Tor geschossen, weil sie dir als Kind alles beigebracht haben, nur keinen Vollspannstoß. Jetzt bist du Weltmeister. Und wir verneigen uns vor dir. Zumindest bis zum Saisonstart.
Jerome Boateng
Was wir gestern nach dem Finale gerne gemacht hätten: Mit dem Taxi in den Wedding fahren, aussteigen, dem Taxifahrer 100 Euro Trinkgeld geben, den legendären Käfig der Berliner Atzen um Jerome, Kevin-Prince, Änis und Co. aufsuchen, jede einzelne Käfigstange umarmen, auf den kratzigen Asphalt legen und die Augen schließen, in Erinnerung an damals ein Weißbrot aus dem Nachbarhaus auspissen und ihm anschließend das Pausengeld abziehen, sämtliche Boateng-Verwandten aufsuchen und mit ihnen eine Conga-Schlange bis nach Charlottenburg starten, wieder ein Taxi rufen, nach Hause fahren lassen, wieder 100 Euro Trinkgeld geben, aussteigen, auf dem Balkon das letzte Bier trinken, das von der Finalparty noch übrig geblieben ist, an Jerome Boateng und seine Leistung im WM-Endspiel 2014 von Brasilien denken, den Kopf schütteln, noch mal den Kopf schütteln, sanft lächeln, und langsam ohnmächtig werden.
Mats Hummels
Mats Hummels kann jetzt eigentlich mit dem Fußballspielen aufhören. Erstens: Weil er Weltmeister geworden ist. Besser wird es nie wieder werden. Zweitens: Weil er jetzt auch mit tausend anderen Dingen reich werden könnte. Zum Beispiel mit seinem verdammten Aussehen. Oder als Berater für das nächste Schlachten-Epos von Peter Jackson. Thema: So gewinnt man Kriege nur mit Grätschen und Ablaufen. Oder als vielfach gebuchter Selbstverteidigungskünstler. Möglicher Inhalt seines Programms: Zweikämpfe gewinnen leicht gemacht – wie sie spielerisch jeden Gegner der Welt besiegen. Als Showact zum 20-jährigen Jubiläum würde Lionel Messi auf die Bühne kommen und sich von Hummels einen Ball vom Fuß spitzeln lassen. So wie damals, am 13. Juli 2014 in Rio de Janeiro.
Benedikt Höwedes
Zugegeben: Wegen Benedikt Höwedes auf links wollten wir zu Beginn des Turnieres Kriege anzetteln und bedrohte Tierarten ausrotten. Nur, um mal ein wenig Dampf abzulassen. Was hatte sich Löw dabei gedacht? Das kantige Innenholz auf die Außenbahn zu stellen? Die vielleicht dümmste Idee der Fußballgeschichte! Aber Jogi, dieser kluge, weitsichtige Jogi, dieser Taktikfuchs, dieses Genie, dieser Auserwählte, er wusste genau, warum er Höwedes auf links außen stellte. Weil er Weltmeister werden wollte. Und vielleicht auch, weil er der Welt beweisen wollte, dass man sich die Krone der Fußballwelt mit einem Außenverteidiger aufsetzen kann, der keine Flanken schlagen kann. Zugegeben: Wegen Benedikt Höwedes auf links wollen wir jetzt in sämtliche Maschinengewehr-Läufe dieser Welt eine Rose stecken, wollen das Einhorn finden, es aufpäppeln, Nachwuchs züchten und es dann mit weißen Elefanten, sibirischen Tigern und Schneeleoparden paaren. Wir schreiben jeden Text nur noch mit links, spielen jeden Pass auf dem Bolzplatz mit dem linken Fuß. Wenn wir schönen Frauen zuzwinkern wollen, dann tun wir das mit dem linken Auge. Wenn uns der wütende Freund der angezwinkerten Frau aufs Maul hauen will, wehren wir uns mit links. Wenn das nicht hilft, halten wir ihm halt die linke Backe hin. Wir wählen bei der nächsten Bundestagswahl „Die Linke“ und machen mit dem Stift ihn unserer linken Hand den Wahlzettel ungültig. Wir wollen uns linken lassen, unsere gesammelten Verlinkungen der letzten zehn Jahre durchschauen, die Engländer für ihre Verkehrsführung verehren und uns gleich morgen für zwei Jahre der Bundeswehr verpflichten, nur um wochenlang den Befehl „Links um!“ zu genießen. Und wenn wir einen passenden Link dafür gefunden hätten, würde er hier zu lesen sein. Auf hebräisch.
Sami Khedira
Spielte nicht. Weil er was mit der Wade hatte. Vielleicht ist der Mann solch ein Taktikgenie, dass er ganz genau wusste, dass Deutschland ohne ihn Weltmeister werden würde, sich deshalb mit purer Willenskraft den Muskel verletzte und Jogi noch den Einsatz von Christoph Kramer empfahl, weil der sich ja eh ebenfalls verletzen würde, um dann Platz für André Schürrle zu machen, der wiederum die entscheidende Flanke auf Götze schlagen würde, der ja auch nur auf dem Platz war, weil sich Miroslav Klose zuvor aufgrund der Abwesenheit von Khedira und später Kramer einen Wolf gelaufen hatte. Sami Khedira, bester Mann.
Christoph Kramer
Es gibt Momente im Leben eines Mannes, in denen er einfach Eier zeigen muss. Beim Kinderarzt. Bei der Musterung. Beim Heiratsantrag. Beim Satz: „Schatz, es gibt da eine neue Frau in meinem Leben.“ Oder bei folgender Szene: WM-Finale 2014 in Brasilien. Gegen Argentinien. Nur noch 15 Minuten bis zum Anpfiff. Du selbst hast bei dieser WM erst ein paar Minuten gespielt und jetzt sitzt du gleich auf er Ersatzbank, um den Jungs auf dem Platz die Daumen zu drücken. Weil auf deiner Position ja Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira spielen. Da kommt plötzlich der Bundestrainer auf dich zu und guckt so ernst. Er sagt dir, dass der Sami verletzt ist, nicht spielen kann und du jetzt gleich für ihn in der Startelf spielen wirst. Er gibt dir letzte taktische Anweisungen, du versuchst zuzuhören, aber in deinen Ohren nur das Rauschen deines Blutes. Du heißt Christoph Kramer, bist 23 Jahre alt und als Deutschland das letzte Mal in einem WM-Finale stand, 2002, da saßt du im Ballack-Trikot auf dem Sofa, hast beim Pfostenschuss von Olli Neuville dein Kinderbier verschüttet und lagst nach dem Schlusspfiff heulend in den Armen deines Vaters, der dich dann in dein Zimmer trug, wo du, kurz bevor dich der Schlaf übermannte, voller Enttäuschung das Lucio-Megaposter deines Vereins Bayer Leverkusen von der Wand reißen musstest. Jetzt stehst du auf dem Rasen, singst die Hymne, spielst gegen Messi und Argentinien. Du scheißt dir vor Angst in die Hose, aber dann denkst du an den Kinderarzt, an die Musterung und daran, wie du deiner Freundin gesagt hast, dass du sie liebst – und dann nimmst du dir vor, auch heute Eier zu zeigen. Und wie du das machst! Bis dich die Schulter von Ezequiel Garay beinahe aus dem Leben haut, du umfällst, liegen bleibst, nicht mehr aufstehen kannst und weißt, dass du in jedem anderen Spiel in deinem Leben sofort ausgewechselt werden müsstest. Aber nicht heute, also spielst du weiter und lässt niemanden merken, dass du eine Gehirnerschütterung hast und eigentlich nicht mehr Herr deiner Sinne bist. Nach 31 Minuten musst du doch raus. Dein Blick geht vielleicht zurück nach 2002 und Papas Armen und dem verfluchten Lucio-Poster, aber hier bist du definitiv nicht mehr anwesend. Viel später, du bist Weltmeister, sitzt du vielleicht in einem ruhigen Moment irgendwo auf einem Stuhl und kannst dir eines sicher sein: Du hast mehr Eier gezeigt als der Osterhase.
Bastian Schweinsteiger
Wir sahen „Rocky I“ und dachten: So auf die Fresse bekommen und immer wieder aufstehen, das geht eben doch nur in Hollywood. Wir sahen den Kojoten, wie er, vom Roadrunner verarscht, von Felsen erschlagen und von Bomben weggesprengt wurde. Und dachten: So was geht eben nur beim Comic. Dann sahen wir das WM-Finale. Sahen Bastian Schweinsteiger insgesamt 15 Kilometer laufen, unzählige Zweikämpfe führen, Pässe spielen, Räume zustellen, Angriffe einleiten, Gegenstöße abfangen. Sahen, wie die Argentinier den wichtigsten Mann im deutschen Spiel unbedingt mürbe klopfen wollten wie ein wütender Metzger sein Schnitzel. Sahen in der Superzeitlupe, wie sich Stollen und Kniescheiben der gegnerischen Spieler auf Schweinsteigers Körper austoben durften, wie selbst ein Schlag mit der Hand in sein Gesicht nicht geahndet wurde. Wie Schweinsteiger blutete und von Krämpfen geschüttelt wurde. Vom Platz getragen, aber auf den Platz zurück wieder von seinen Beinen bewegt wurde. Rocky I wäre längst K.o. gegangen, deshalb stand auch Rocky II mit Kevin Großkreutz in der Hauptrolle zur Einwechslung bereit. Der Kojote hätte endlich aufgegeben. Aber Schweinsteiger spielte durch. Und wenn die Unterhaltungsindustrie einmal was Gutes tun möchte, dann sollte sie jetzt gefälligst darüber nachdenken, Bastian Schweinsteiger als Wrestler zu engagieren, seine 120 Minuten von Rio von Vin Diesel nachspielen zu lassen, eine Schlagring-Kollektion „Schweinsteiger“ rauszubringen, Actionfiguren produzieren zu lassen, irgendwas. Der Typ hat es schließlich verdient.
Toni Kroos
Bis zum gestrigen Abend wurden Menschen, die kurzzeitig weggetreten oder ohnmächtig geworden sind, mit Riechsalz zurück ins Leben geholt. Seit gestern kann die Riechsalz-Inudstrie einpacken, Ärzte und Sanitäter aus aller Welt werden ihre Patienten mit einer Szene aus dem WM-Finale, gebannt auf ihre medizinischen Smartphones, aus der Dämmerung holen: Wie Toni Kroos kurzzeitig den Verstand verliert und den Ball zu Manuel Neuer köpfen möchte, obwohl zwischen ihm und Neuer Gonzalo Higuain steht, einer der besten Stürmer der vergangenen Jahre. Wie viele Herzrythmusstörungen es wohl in diesem Moment in Deutschland gegeben haben mag? Wie viele verkrampfte Fäuste, wie viele entgleiste Gesichtszüge, wie viele spitze Schreie? Und dann blieb die Zeit kurz stehen, die Matrix hatte nicht gewollt, dass Argentinien gewinnt, also wurde mit einer weiteren 0 im System der Ball um vier Zentimeter nach links geschoben, Higuain verschoss. Anderes denkbares Szenerio bei so viel Schwein: Das Gesicht von Toni Kroos löst als Glücksbringer der Zukunft sämtliche Schornsteinfeger ab, Disney entscheidet sich für einen Facelift, lässt Gustav Gans sterben und setzt Toni Kroos als ewigen Gegenpart zu Donald Duck ein. Wie auch immer: Wir bräuchten dann jetzt noch mal etwas Riechsalz…
Thomas Müller
11FREUNDE meint: Füllt diesen Mann in Dosen ab und lasst uns fliegen gehen. Kauft euch ruhig einen Fußballklub und benennt ihn nach Thomas Müller, wir würden zu wohlwollenden Haus- und Hofberichterstattern werden. Mixt den Typen mit Wodka oder Korn und sauft euch im Club oder auf dem Schützenfest die Hucke voll, wir würden euch die nächste Runde bezahlen und anschließend eine Rose schießen gehen. Lasst durchgeknallte Österreicher aus dem All zur Erde hüpfen, nur um Werbung für den Thomas-Müller-Drink zu machen, wir stünden unten und würden vorfreudig warten. Wenn uns jemand fragen würde, wie aus uns Systemkritikern so handzahme Weichspüler werden konnten, würden wir die DVD mit den besten Szenen von Thomas Müller bei dieser WM rauskramen und die Leute würden verstehen. Dann würden wir halbnackt um den Weltpokal tanzen und mit unserem neuen Freund D. Mateschitz einen eigenen Einschlag einstudieren. Alles wegen Müller.
Mesut Özil
Wenn wir uns mal ganz einsam fühlen, und uns nach Geborgenheit und Zärtlichkeit sehnen, möchten wir bitte von Mesut Özils Sohle gestreichelt werden. Denn wie auch immer man die Gesamtleistung des deutschen Spielmachers bei dieser WM einstufen mag – der Kerl kann fast besser kicken als 1990 Hässler und Litti zusammen. Gegen Argentinien zeigte er das auch, häufiger als in allen anderen Spielen zusammen. Dann musste Christoph Kramer raus, Löw stellte um und Özil verlor seinen Freiraum. Weshalb er nicht mehr so viel streicheln durfte, sondern ackern wie ein Knecht. Vielleicht ist das eine der entscheidenden Geschichten bei diesem Turnier, ein prägender Fakt, der diesen Weltmeistertitel mit zu verantworten hat: Dass Mesut Özil, der Mann, der mehr Gefühl in seinen Zehenspitzen hat als Eros Ramazzotti in seiner Stimme, dass sich dieser Kerl in Brasilien zum Wohle der Mannschaft und zum Unwohle seiner eigenen Darbietung, den Arsch aufgerissen hat.
Miroslav Klose
Vergesst Romeo & Julia. Vergesst Susi und Strolch. Vergesst Vom Winde verweht. Vergesst auch Notting Hill, Jenseits von Afrika und Casablanca. Die schönste Liebesgeschichte aller Zeiten ist die Karriere von Miroslav Klose.
André Schürrle
Was André Schürrle noch bräuchte, um endgültig in die Rolle des Forrest Gump zu schlüpfen:
- eine Pralinenschachtel
- einen Sprung in der Schüssel
- einen schwarzen Freund mit Liebe für Krabben
Forrest Gump wurde Kriegsheld, war Tischtennismeister, erfand Apple und den Smiley. André Schürrle bereitete das finale Tor in der Verlängerung des WM-Endspiels vor. Einigen wir uns auf ein historisches Unentschieden.
Per Mertesacker
Ist jetzt Weltmeister. Ist denn das zu fassen?
Mario Götze
Folgender Dialog gestern in der 88. Minute des WM-Endspiels im Wohnzimmer des Autors dieser Zeilen.
Autor: „Boah. Er bringt Götze.“
Kumpel: „Wie geil.“
Autor: „Wieso geil?“
Kumpel: „Der macht gleich eine Traumhütte und entscheidet das verdammte Finale!“
Autor: „Keule. Wir sind hier nicht bei ›Wünsch Dir was‹. Und sowieso: Das Leben ist kein Ponyhof.“
Fazit: Das Leben ist ein Ponyhof.