Vor zwei Jahren stand der MSV Duisburg vor einem finanziellen und sportlichen Scherbenhaufen. Nun ist der Klub zurück in der Zweiten Liga. Wie konnte das passieren?
Die 3. Liga ist eine ungewöhnliche Veranstaltung. Hier versammeln sich frühere Erstligisten zusammen mit den leidigen Zweitvertretungen größerer Klubs sowie einigen, bei allem Respekt, Dorfklubs wie Großaspach oder Elversberg zum gemeinsamen Wettbewerb. So kommen in Dresden im Schnitt 22.300 Zuschauer, in Großaspach 2300, bei Mainz II dann gerade mal 1100. Die Partien werden nicht wie jene der 1. und 2. Bundesliga bei einem Bezahlsender übertragen, oft nur auf den Seiten der Dritten Fernsehsender gestreamt.
Kentsch und der Lizenzantrag
Und wenn man Pech hat, gibt es überhaupt keine Bilder im TV von den Auswärtspartien des eigenen Klubs. Natürlich beschäftigt man sich nicht freiwillig mit einem solch seltsamen Konstrukt wie dieser 3. Liga, es sei denn, man muss. Und beim MSV Duisburg musste man das, weil Roland Kentsch nicht in der Lage gewesen war, gegen ein Bundeskanzlergehalt korrekte Zahlen in den Lizenzantrag zu schreiben.
Das Damoklesschwert des totalen Absturzes hing dann einen Sommer lang unübersehbar über der Stadt und vor allem über dem Stadion. Ein Sechstligist in einem Stadion, das die sechsthöchste Miete im gesamten deutschen Fußball verschlang, wäre nicht machbar gewesen, und so hatte ich am 16. Mai 2013 mit dem Testspiel zwischen der Türkei und Lettland, womöglich ohne es zu ahnen, das letzte Spiel auf Profiniveau in der Arena für ganz lange Zeit gesehen.
Identifikationsfaktor Ivo Grlic
Kurz darauf wurde die Lizenz für die 2. Bundesliga verweigert, selbst der erste Nachtrag war fehlerhaft, woraufhin „Coach Kosta“ Runjaic das Weite suchte. So wie nahezu alle übrigen Spieler ebenfalls. Der Schock dieses Lizenzentzugs saß tief, und doch bewirkte er ein großes Aufstehen aller rund um den MSV. Man weiß die Dinge eben erst so richtig zu schätzen, wenn sie nicht mehr da sind – oder hier: drohten, nicht mehr zu existieren.
Ein entscheidender Mann, seit 2004 erst als Spieler, jetzt als Manager beim MSV Duisburg und somit höchster Identifikationsfaktor qua seiner Selbst, brachte die sportliche Zukunft voran. Ivo Grlic bastelte einen Kader, der in der ersten Saison nicht – wie zu befürchten stand – gegen den Abstieg spielte, tat mit Michael Ratajczak im Tor und Kingsley Onuegbu im Angriff wichtige Griffe für neuralgische Positionen, der in dieser Saison mit Martin Dausch oder Tim Albutat weitere gelungene Entscheidungen folgten.
Zum ersten Pflichtspiel in der neuen 3. Liga kamen mit 18.000 Zuschauern mehr als es in der Zeit zuvor in der 2. Bundesliga gewesen waren und all das, was man sonst in Duisburg im Stadion vermisste, war plötzlich ebenfalls erschienen: unbedingter Support, viel Wohlwollen bei den früher als schnelle Nörgler bekannten Fans und endlich auch einmal Veränderungen im Stadtbild. Während man in anderen Bundesliga-Städten die Existenz eines Fußballvereins meist kaum übersehen kann, sah man früher nur mal ein vergilbtes Stoffzebra in der Auslage eines Friseursalons und hier und da mal einen Autoaufkleber, Menschen mit Trikot oder Schal hingegen selbst an Spieltagen nur in homöopathischen Dosen.
Zeugnis eines neuen Realitätssinns
All das änderte sich, zum Beispiel durch Fanmärsche, und selbst bei den Pokalspielen des Niederrheinpokals gab es stets ein großes Gedränge. Sowie den Trostpreis für Drittligisten: den Niederrheinpokalsieg, der immerhin zur Teilnahme am DFB-Pokal berechtigt. Diesen angesichts des noch 2011 erreichten Pokalfinales des richtigen DFB-Pokals eher als Strafe anzusehenden Wettbewerb aber derart zu feiern, wie es hier geschah, war keineswegs ironisch gemeint, sondern weiteres Zeugnis eines neuen Realitätssinns. Wie die gesamte Angelegenheit den Klub paradoxerweise viel weiter in den Fokus der Fußballöffentlichkeit rückte, als es noch das DFB-Pokalfinale 2011 vermocht hatte. Graue Maus, vielleicht immer noch, aber offensichtlich eine, die auch die Fans anderer Klubs in der Umgebung ungerne untergehen gesehen hätten.
Der Kelch des totalen Absturzes ging bekanntlich vorüber, und so war die Rückstufung nur eine Liga tiefer ein doch erträglicher Ausgang der ganzen Geschichte. Im Aufstiegsendspiel ein bis auf die Kieler Plätze ausverkauftes Stadion, wieder ein Fanmarsch, eine sportlich überzeugende Vorstellung und dann hat der MSV mit der zweijährigen Extrarunde das gewonnen, was er für Geld niemals hätte kaufen können: Dass die Fans wieder zahlreich erscheinen, Dauerkartenrekorde gebrochen werden und nicht zuletzt dass die zuvor völlig utopischen Zahlen bei der Stadionmiete korrigiert wurden, auf dass der Klub weiter leben kann.
Endlich wieder zu Hause
Am Ende, jetzt, ist alles gut, der MSV ist wieder zu Hause in der 2. Liga, da, wo er hoffentlich lange bleiben wird. Denn die 3. Liga, ja, die ist was für Liebhaber, und sie hat auch durchaus einen gewissen Charme. Den aber vor allem dann, wenn man ihr beim Abschied zuwinkt und auf Nimmerwiedersehen spekuliert. Wenn das auch noch nach solch einem rauschenden Aufstiegsendspiel geschieht, sehen die zwei in ihr verbrachten Jahre doch kürzer aus, als sie es mit ihren 76 Ligapartien – auf dem Land, im Stream, im Dorf – tatsächlich waren. Endlich wieder zu Hause.
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Frank Baade ist Fan des MSV Duisburg und veröffentlicht regelmäßig schöne Texte auf seinem Blog trainer-baade.de