Die Fans lieben ihn, die Journalisten fressen ihm aus der Hand, sein Team gewinnt. Alles gut, wie er selbst so gern sagt. Doch damit es so richtig, richtig, richtig gut wird, muss Jürgen Klopp nun dafür sorgen, dass ein Traum wahr wird.
Es sind noch mehr als drei Stunden bis zum Beginn des Spiels, doch „The Park“ ist bereits gut gefüllt. Der Pub bezeichnet sich selbst als world famous, und da ist durchaus was dran. Wenn man aus der Eingangstür tritt und die Straße überquert, steht man direkt vor dem Kop, der mythenumrankten Fantribüne des Stadions an der Anfield Road in Liverpool. Deswegen trinken sich hier vor allem – aber nicht nur – Fans warm, die von weither kommen und den ganzen Tag in Stadionnähe verbringen wollen. Man hört neben Scouse, dem berüchtigten lokalen Dialekt, auch deutsche, dänische oder norwegische Stimmen.
Jetzt aber nicht mehr, denn jetzt hat Leroy Sané den Ball. Im Mittagsspiel zwischen Neuling Wolverhampton Wanderers und Meister Manchester City steht es 1:1, als der deutsche Nationalspieler in der 95. Minute zum Dribbling ansetzt. In „The Park“ erstirbt jedes Gespräch, alle Augenpaare ruhen auf den vielen Bildschirmen, die hier hängen. Sané zieht von außen in die Mitte und geht an einem Gegner vorbei. Dann am zweiten. Dann am dritten, vierten, fünften. Der Ball kommt 17 Meter vor dem Tor zu Sergio Agüero. Foul, Pfiff, Freistoß. Stöhnen klingt in jeder Sprache gleich, weshalb jetzt ein einziger kollektiver Laut der Enttäuschung „The Park“ erfüllt.
„Das kann unser Jahr werden“
Jeder Fan hier weiß, was nun passiert. In England haben Tore tief in der Nachspielzeit Tradition, und natürlich fallen sie stets für die Großklubs und gegen die tapferen Außenseiter. Agüero läuft an. Er dreht den Ball über die Mauer. Der Torwart hat das geahnt, trotzdem schafft er es nicht mehr, rechtzeitig ins bedrohte Eck zu kommen. Der Ball prallt an die Latte.
Man sollte meinen, dass die Menschen jetzt jubeln würden, schließlich lässt gerade der große Favorit auf den Titel in der Premier League unerwartet zwei Punkte liegen. Doch niemand schreit, niemand umarmt den Nachbarn. Die Fans in den roten Trikots ballen die Faust oder nicken entschlossen, dann wird die nächste Runde bestellt. Fast kann man den Satz, der in der Luft liegt, mit Händen greifen. Man lauscht in den Pub, doch man hört ihn nicht, weder auf Scouse noch auf Deutsch oder Dänisch oder Norwegisch. Der Satz lautet: Das kann unser Jahr werden.
„Es reicht jetzt“
„Jeder in dieser Stadt denkt das, aber niemand wird es laut aussprechen“, sagt Stephanie Jones. Sie ist in einem Haus neben dem Stadion aufgewachsen und reist zu jedem Heimspiel aus London an. Sie war in Dortmund, als Liverpool 2001 den UEFA-Pokal gewann. Sie war in Istanbul, als der Klub vier Jahre später die Champions League holte. Und natürlich war sie auch in Cardiff, als Liverpool 2006 den FA-Cup errang. Das waren tolle Momente, unvergessliche Spiele, doch es war nicht der Heilige Gral. „Wir warten seit fast dreißig Jahren auf die Meisterschaft“, sagt sie. „Es reicht jetzt.“
Der Mann, dem sie hier zutrauen, dass er das Warten endlich beendet, ist ein mittlerweile 51-jähriger bärtiger und allgegenwärtiger Schwabe. Im Pub hängt ein Schal mit seinem Konterfei über dem Tresen, im Biergarten begegnet er einem als Gemälde auf Holz mit dem Zusatz „Y.N.W.A.“, ein Stück die Straße hinab steht er als lebensgroßer Pappaufsteller vor einem Fast-Food-Stand und informiert die Passanten, dass das kulinarische Angebot „Klopp Dogs“ umfasst.
Unten in der Stadt ist gerade „International Beatleweek“; im Cavern Club treten rund um die Uhr Beatles-Coverbands auf, und vor dem berühmten Adelphi Hotel stehen die Leute Schlange, um eine Beatles-Convention zu besuchen. Doch hier an der Anfield Road spielen die Fab Four nur die zweite Gitarre. Hier herrscht Kloppmania.