Gareth Bale wechselt zu Real Madrid. Für die schier unerhörte Summe von 100 Millionen Euro. Ist das noch gesund?
„Rummenigge: 26 Millionen! An dieser Ablösesumme kommt keiner vorbei!“, titelte die „Bild am Sonntag“ am 4. Januar 1981. Kurz zuvor hatte Juventus Turin eben jene Summe für den Transfer des Jahrhundertspielers Diego Maradona geboten, war jedoch am Widerwillen des FC Barcelona gescheitert. Und den gleichen Geldkoffer wollte fortan Willi O. Hofmann, Präsident des FC Bayern, für sein hauseigenes Juwel sehen.
Die „Bild-Zeitung“ war sich daraufhin sicher: Karl-Heinz Rummenigge ist wie die Mona Lisa – unbezahlbar. Denn auch wenn die BRD zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt der Konjunktur schwamm, 26 Millionen Mark waren auch zu dieser Zeit eine unvorstellbare Zahl. Ein Liebhaberpreis.
Als Liebhaberpreis sind wohl auch die 100 Millionen für Gareth Bale einzustufen. 100.000.000 Euro. Eine unglaubliche Summe für nur einen Spieler, für einen Menschen. Oder wie „afootballreport.com“ kürzlich errechnete genügend Geld, um 3.300 Harvard-Absolventen das Studium zu finanzieren, 46 612 der teuersten Jahreskarten für Tottenham zu kaufen oder die Verpflichtung von sieben LeBron James.
„Fußballvereine werden zu Wirtschaftsunternehmen“
Ablösesummen existieren seit Beginn des modernen Fußballs. Ob nun für Jupp Kappelmann, der für 1971 für 800.000 Mark zum 1. FC Köln ging, oder seinen Nachfolger Roger van Gool, der erstmals für über eine Million den Verein wechselte. Die Preise stiegen. Später kamen Netzer und Bonhof hinzu, die nach Spanien gehen durften, nachdem Borussia Mönchengladbach zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Mark erhalten hatte. Der beste Spieler seiner Epoche, Johan Cruyff, wechselte 1973 für 3,7 Millionen Mark zum FC Barcelona.
Rekordhalter war auch der große Diego Maradona. 1982 kam er für acht Millionen Mark von Boca Juniors zum FC Barcelona, zwei Jahre später wurde er für 21 Millionen Mark an den SSC Neapel abgegeben. Dort wurde er unsterblich. Bis 1992 sollte diese Rekordsumme Bestand haben. Für den brasilianischen Fußball-Philosophen Sócrates eine erschreckende Entwicklung. „Fußballvereine werden zu Wirtschaftsunternehmen“, warnte er nach dem abgeschlossenen Maradona-Deal. Karl-Heinz Rummenigge erlöste übrigens nur etwa zehn Millionen Mark bei seinem Wechsel zu Inter Mailand 1984. Und heute?
Wo nahm das seinen Anfang?
Da werden für diese Gelder nur durchschnittliche Spieler wie Alessandro Matri (12 Mio., AC Mailand), Lassana Diarra (12 Mio., Lokomotive Moskau) und Angelo Ogbonna (13 Mio., Juventus Turin) gehandelt. Für die Spitzenklasse braucht es 100 Millionen, oder 65 (Edinson Cavani), oder auch nur 57 Millionen (Neymar). Heute muss man sich also fragen, wo all das seinen Anfang nahm.
Vielleicht muss die Spurensuche bei einem gewissen Denilson de Oliveira beginnen. Der wechselte 1998 zu Real Betis Sevilla. Dem Brasilianer genügte ein ordentlicher Auftritt bei der Copa America im vorherigen Winter, eine gute Saison für den FC Sao Paulo (insgesamt acht Tore in 112 Spielen) und plötzlich handelte Fußball-Europa um das 21-jährige Fußballtalent.
Den Zuschlag erhielt Real Betis Sevilla. Für umgerechnet 31,5 Millionen Euro stellten die Spanier einen neuen Transferrekord auf und statteten ihren Wunderspieler, Markenzeichen: mehrfacher Übersteiger, mit einem Zehn-Jahres-Vertrag aus. Der Verein stieg 2000 ab und Denilson saß zumeist nur auf der Bank oder in der örtlichen Diskothek.
Das nächste Beben löste Christian Vieri aus. Für umgerechnet 45 Millionen Euro wechselte der Stürmer von Lazio Rom zu Inter Mailand. Ein Verlust für die heilige Stadt, der selbst Papst Johannes Paul II, erzürnte. Als „eine Beleidigung für die Armen“ geißelte er den Abgang Vieris, meinte aber ausschließlich die gezahlten Summen.
Das Galaktico-Prinzip
Genauso viel Geld zahlte auch Real Madrid, um sich die Dienste Ronaldos zu sichern. Spektakulären Offensivfußball mit schillernden Namen wünschte man sich im Santiago Bernabeu. Das war der Plan des Präsidenten Florentino Pérez. Doch Abwehrchef Fernando Hierro wunderte sich nicht über die taktischen Pläne seines Arbeitgebers, sondern vielmehr über Abschiebebemühungen für Fernando Morientes, dem Vorgänger Ronaldos. „Wir sind Menschen, keine Ware!“, klagte der Kapitän ob des Schicksals seines Teamkollegen, der sich über Nacht als umjubelter Goalgetter auf die Resterampe gestellt sah.
Doch der Transfer passte ins System. Die besten Spieler kaufen, Erfolg garantieren dadurch die globale Reichweite vergrößern und den Gewinn maximieren. Zinedine Zidane und Luis Figo lösten sich in diesem Atemzug als die Rekordtransfers Reals und des Weltfußballs ab. „Die Galaktischen“ waren geboren und Socrates Befürchtung bewahrheitete sich. Detailliert nachzulesen in der Titelgeschichte der aktuellen 11FREUNDE-Ausgabe.
Seitdem tätigten ausschließlich die „Königlichen“ Rekordtransfers. Die Ablösesumme für Cristiano Ronaldo, immerhin 94 Millionen Euro, schien auf Dauer aber nun wirklich niemand mehr wert zu sein. „Die Summen, die da im Moment durch die Gegend fliegen, sind keinem Menschen auf der Straße mehr zu vermitteln“, hatte zu diesem Zeitpunkt auch Karl-Heinz Rummenigge, die Mona Lisa der achtziger Jahre, erkannt. Günter Netzer drückte sich etwas unvermittelter aus: „Das ist krank.“
Ist Lionel Messi verkaufbar?
Nun ist es also Gareth Bale, der für 100 Millionen Euro von Madrid gekauft wurde. Und wieder stellt sich die Frage, wie dieser Transfer den Menschen auf der Straße zu vermitteln ist. Doch einen Aufschrei in dem Land, das von der Finanzkrise und Jugendarbeitslosigkeit gebeutelt ist, scheint es nicht zu geben. „Das ist respektlos gegenüber der Welt“, zürnte zumindest Gerardo Martino, Trainer des FC Barcelona. Jener Verein, der vor zwei Monaten immerhin 57 Millionen Euro für Neymar, Hoffnung der brasilianischen Nationalelf, ausgab. Selbst die kolportierte Ablösesumme von 250 Millionen für Weltfußballer Lionel Messi scheint seit dieser Woche nicht mehr unantastbar.
Denn obwohl knapp ein Viertel aller Spanier ohne Job dastehen, sind die Umsätze der Vereine ungebrochen. Die Banken leihen den hochverschuldeten Klubs das nötige Geld, die Fans kaufen munter die neuen Trikots. Fußball ist immer noch das Opium des Volkes. Mal sehen, wie lange die Wirkung noch anhält.