„Frankreich war gut, aber wir waren die bessere Mannschaft.“ Das behauptete Jogi Löw nach dem Spiel. Aber stimmt das überhaupt?
Um kurz nach 23 Uhr, lange nach Spielschluss, wehte noch einmal ein Hauch von Island durch das Stade Vélodrome in Marseille. Die französische Mannschaft stand vor ihrer Kurve und feierte den Finaleinzug mit dem „Hu“-Urschrei der Isländer.
Dann purzelten die Spieler übereinander, die Stadionregie drehte derweil den programmatischen Song „Beautiful day“ von U2 laut auf. Frankreich war mit dem 2:0 über Deutschland wieder einmal bei einem Heimturnier ins Finale eingezogen.
Die zweite Parallele zu den Isländern offenbarte sich in den Ballbesitzzahlen. Frankreich brachte es gerade einmal auf 35 Prozent, auch bei den Torchancen lagen sie hinter den Deutschen. Über weite Strecken der ersten Halbzeit und in der zweiten Halbzeit überließen die Gastgeber den Deutschen generös den Ball und das Spielfeld.
Joachim Löw hatte nach dem Spiel recht, als er sagte: „Frankreich war gut, aber wir waren die bessere Mannschaft.“ Allerdings gab es auch gute Gründe, warum sich Frankreich genau auf diese Art und Weise den Sieg verdiente.
„Tous ensemble, he, he“
Einer ließ sich an dem ablesen, was man wortwörtlich als die Körpersprache ausweisen konnte. Die französischen Spieler wechselten auf dem Platz nicht viele Worte untereinander, sie kommunizierten durch ihre Laufwege. Sie bewegten sich geradezu simultan in der Defensivbewegung.
„Tous ensemble, he, he“, alle zusammen, wie die Fans es in ihren Gesängen ausdrücken. Die Mannschaft hatte sämtliche flexible Aufreihungen ihres Trainers Didier Deschamps verinnerlicht.
Deschamps ist bekannt dafür, dass seine Systeme vor dem Spiel unvorhersehbarer sind als die Lottozahlen. 4−2−3−1 oder 4−3−3 – die Experten hatten vor dem Halbfinale über die Formation gerätselt.
Platzangst am Strafraum
Der französische Trainer entschied sich für die erste Variante, die auf dem Papier offensiver wirkte. Allerdings präsentierten die Franzosen vielmehr zwei Viererreihen. Während die Deutschen die Außenspieler nach vorne zogen, blieben die Spieler von Deschamps straff in der Kette. Sie hielten dabei die Abstände zwischen einander derart gering, dass die Deutschen am Strafraum Platzangst bekamen.
Zwei Spieler überzeugten dabei: Laurent Koscielny in der Innenverteidigung und Blaise Matuidi als laufstarker Antreiber vor der Abwehr. Der Taktgeber Paul Pogba kam in der ersten Halbzeit kaum zu Offensivaktionen, da er vom deutschen Mittelfeld immer wieder zurück gedrängt wurde. Pogba rotierte mit seinen Händen und deutete gefrustet an, dass er mehr Elan von seinen Mitspielern sehen wollte.
Erst eine Einwechslung in der 70. Minute bewirkte Pogbas Befreiung. Deschamps brachte den Marathonmann N’golo Kante, der sich direkt auf die Sechs orientierte. Pogba eilte also mit großen Schritten von dieser Position weg nach vorne. Das zeigte Wirkung.