Die finnische Nationalmannschaft ist dabei, sich erstmals in ihrer Geschichte für ein großes Turnier zu qualifizieren. Wie Teemu Pukki, ein Grundschullehrer und Ultras in der Nordkurve für Euphorie sorgen.
„Eteenpäin on menty“, pflegte Antti Muurinen zu sagen, wenn er als Trainer der finnischen Nationalmannschaft wieder einmal an der Qualifikation für eine Welt- oder Europameisterschaft gescheitert war. „Wir haben Fortschritte gemacht.“ Von 2000 bis 2005 trainierte er die Auswahl und verpasste mit ihr drei große Turniere. Dass er sich dem steten Scheitern zum Trotz seinen positiven Blick auf die Lage bewahrte, imponierte den Finnen. So sehr sogar, dass sein Ausspruch beziehungsweise dessen Abkürzung EOM zum geflügelten Wort wurde.
Nun, im Oktober 2019, scheint es, als würden all die Fortschritte endlich einmal auch zählbaren Erfolg bringen. In der Qualifikation zur EM 2020 liegen die Finnen mit 15 Punkten auf dem zweiten Platz, der direkt zur Teilnahme am Turnier berechtigt. Bemerkenswert: Die Siege gegen die Konkurrenten Armenien, Griechenland und Liechtenstein fuhren sie jeweils ohne ein einziges Gegentor ein.
Seinen Anteil daran hat natürlich Lukas Hradecky. Der Torwart von Bayer Leverkusen zählt zu den bekanntesten Gesichtern in einer Mannschaft, deren Spieler ansonsten bei wenig glamourösen Vereinen wie BK Häcken (Schweden), Pafos FC (Zypern) oder FC Den Bosch (zweite holländische Liga) unter Vertrag stehen. Doch die größte Aufmerksamkeit, und das völlig zu Recht, wird derzeit Teemu Pukki zuteil.
Vom blondgelockten Engel zum bärtigen Wikinger
Der Ex-Schalker macht nach dem Aufstieg mit Norwich City derzeit nicht nur in der Premier League da weiter, wo er in der Championship aufgehört hat, sondern trifft auch für die Nationalmannschaft fast nach Belieben. Sieben Treffer erzielte er in den bisherigen acht Qualifikationsspielen.
Wie wichtig er für die finnische Auswahl ist, stellte Pukki bereits in der Nations League unter Beweis. Dreimal gewannen die Finnen dort mit 1:0, dreimal hieß der Siegtorschütze Teemu Pukki. Womit der Fußball, den Trainer Markku Kanerva spielen lässt, auch schon fast ausreichend beschrieben wäre: Hinten sicher stehen und vorne hilft der liebe Gott in Gestalt seines dereinst blondgelockten Engels Teemu Pukki, der nun als grimmig dreinblickender, bärtiger Wikinger alles kurz und klein schießt.
Doch Markku Kanerva lässt sich nicht auf diese etwas simple Taktik reduzieren. „Er hat es geschafft, aus Spielern der unterschiedlichsten Vereine eine Mannschaft zu formen“, sagt René Schwarz. Der selbstständige Texter und Autor hat eine finnische Mutter und befasst sich in seinem „FinnTouch“-Blog mit dem Land ganz im Norden Europas. Auch den dortigen Fußball verfolgt er seit seiner Kindheit.
Im November 2016 verfasste er einen Artikel mit der Frage: „Ist der finnische Fußball am Ende?“ Auslöser war der größte Skandal der landeseigenen Fußballgeschichte: Roman Eremenko, der damals wohl beste Fußballer des Landes, wurde bei einer Dopingprobe des Kokainkonsums überführt – und anschließend für zwei Jahre gesperrt. Hinzu kamen massive strukturelle wie finanzielle Probleme im Verband und in der Liga. Doch wie so oft war dieses drohende Ende auch ein Anfang.
Vom Grundschullehrer zum Professor
Und zwar jener von Markku Kanerva. Der hatte die Nationalmannschaft zwar schon zweimal interimsweise betreut, doch erst im Dezember 2016 konnte sich der Verband dazu durchringen, ihn auch dauerhaft anzustellen. Zuvor hatten die Verantwortlichen immer wieder auf ausländische Trainer gesetzt. Doch weder Roy Hodgson noch sein Landsmann Stuart Baxter oder der Schwede Hans Backe konnten den Traum von einem großen Turnier verwirklichen.
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern kommt Kanerva etwas bieder daher. „Professor“ nennen ihn Fans und Medien. Statt mit internationaler Erfahrung überzeugt der ehemalige Grundschullehrer mit nüchternem Ergebnisfußball.
Mentalität und Kampfgeist
Durch diesen hat er nun beste Chancen, den finnischen Neuanfang zu veredeln, auch weil der Gruppensieg in der Nations League eine zusätzliche Chance zur Qualifikation bietet. Dass die Mission „Euro 2020“ dabei Parallelen zu einem anderen skandinavischen Fußball-Märchen aufweist, will Blogger Schwarz nicht verhehlen. Im Gegenteil: „Natürlich ist Island ein Vorbild. Sie haben es mit noch weniger Einwohnern, dafür aber mit umso mehr Mentalität und Kampfgeist geschafft, sich für zwei große Turniere hintereinander zu qualifizieren.“ Das schürt die Hoffnungen auf den eigenen Erfolg: „Nie zuvor habe ich so sehr an die Qualifikation für ein großes Turnier geglaubt.“
Auch in Sachen Begeisterung eifern die Finnen ihren skandinavischen Kollegen nach. Bei den jüngsten Heimspielen herrschte beste Stimmung auf den Rängen. Hinter einer Flagge mit der Aufschrift „Pohjoiskaarre“ (dt. „Nordkurve“) versammelte sich eine ganze Reihe junger, sangesfreudiger Fans. Sogar einen Vorsänger, Trommeln und einen Fanmarsch inklusive Pyrotechnik hatten sie im Gepäck – Stilelemente wie bei Ultragruppen von Vereinsmannschaften.
All das in einem Land, in dem Fußball bislang ein Schattendasein fristete. Volkssport ist Eishockey. Kein Wunder, bei gefühlten elf Monaten Winter im Jahr. Doch mit den jüngsten Erfolgen wächst auch die Euphorie. So hat ein finnisches Fußballmagazin derzeit eine ganze Menge Positives zu berichten. Sein Name: „EOM“. Sie machen Fortschritte, die Finnen.