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Michel Pla­tini hat einen Hang zum Pathos. Schon zu aktiven Zeiten klumpten die Worte bei ihm nicht wie Pflas­ter­steine aus dem Mund, so wie sie es bei etwa Horst Hru­besch oder Karl-Heinz Rum­me­nigge taten. Der fran­zö­si­sche Ästhet, der wegen seiner tou­pierten Krause von Jour­na­listen gern mit Mozart ver­gli­chen wurde, drückte sich wie ein Staats­mann aus. Von ihm stammt der Satz: Fuß­ball ist wie Musik. Man muss nicht Kla­vier spielen können, um den Pia­nisten zu ver­stehen.“

Ein Sinn­spruch, der sich glei­cher­maßen für Poe­sie­alben und Ban­kette eignet. Gespro­chen von einem, der sich schon in jungen Jahren bewusst war, dass sein Schaffen his­to­ri­sche Dimen­sionen hat. Michel Pla­tini ist eine Ikone des Fuß­balls. Sein Platz auf dem Olymp dieses Spiels ist gleich neben Franz Becken­bauer, Johan Cruyff, Pelé oder Diego Mara­dona.
 
Den­noch war Pla­tini seine Bedeu­tung als Profi nie genug. Er wollte den Fuß­ball auch auf poli­tisch-gesell­schaft­li­cher Ebene prägen. Er wollte nie seinen Ruhm ableben, er wollte gestalten. Dafür trat er nach seiner Lauf­bahn den Gang durch die Instanzen an. Er fing an, akri­bisch Akten zu wälzen. Er schlug sich mit Ver­bands­gre­mien herum. Er, der Welt­ki­cker, machte sich klein vor den grauen Schlips­trä­gern und Appa­rat­schiks. Und sicher nahm er auch ab und an schwei­gend zur Kenntnis, wenn ihm Miss­stände in der Füh­rung des Kon­ti­nental- und des Welt­ver­bands auf­fielen.

Er hat sich als Zög­ling von Sepp Blatter instru­men­ta­li­sieren lassen. Hat 1998 mit­ge­holfen, dass sein För­derer zum FIFA-Prä­si­denten gewählt wurde. Seit 2002 sitzt er im Exe­ku­tiv­ko­mitee des Welt­ver­bandes. Es ist schwer vor­stellbar, dass er keine Kenntnis von den gelinde gesagt eigen­wil­ligen Machen­schaften einiger Funk­tio­näre bei WM-Ver­gaben hatte. Auch er hat für Katar als Aus­tra­gungsort gestimmt. Und bald darauf wurde bekannt, dass sein Sohn Lau­rent die Funk­tion als Europa-Chef der Qatar Sport Invest­ment“ innehat. Kurzum: Es wäre nichts leichter, die Kan­di­datur von Michel Pla­tini zum nächsten FIFA-Prä­si­denten als ein wei­teres Kapitel in der jahr­zehn­te­lang wäh­renden Gschaftl­hu­berei dieses undurch­schau­baren Welt­fuß­ball-Unter­neh­mens zu beschreiben mit seinen kor­rupten Aus­wüchsen, der end­losen Vor­teils­nahme, him­mel­schrei­ender Unbe­schei­den­heit und dem bedin­gungs­losem Macht­wahn.
 
Auch Pla­tinis Brief an die 209 Mit­glied­ver­bände der FIFA erin­nerte an Blat­ters pathe­ti­sche Beteue­rungen, stets nur das Beste für das Spiel zu wollen. Der Fran­zose schrieb: Es gibt Zeiten im Leben, in denen musst du dein Schicksal in die eigenen Hände nehmen. (…) Mit meiner Kan­di­datur habe ich eine sehr per­sön­liche Ent­schei­dung getroffen, in der ich die Zukunft des Fuß­balls gegen meine eigene Zukunft abge­wogen habe.“

Doch ziehen wir alle fran­ko­philen Roman­ti­zismen ab und nehmen ihn ein­fach mal beim Wort, dann birgt seine Kan­di­datur viel­leicht doch die leise Hoff­nung auf den lang erhofften Neu­an­fang. Wann, wenn nicht jetzt? Die Ermitt­lungen im Kor­rup­ti­ons­skandal werden dafür sorgen, dass zumin­dest einige dunkle Gestalten ihre Macht bei der FIFA ein­büßen. Vor wenigen Monaten schien es noch aus­ge­machte Sache zu sein, dass Sepp Blatter wie der Papst erst mit seinem Ableben aus dem Amt scheiden würde.

Nun aber sieht es aus, als würde erst­mals ein Mann Prä­si­dent werden, der die Belange des Spiels auf höchster Ebene als Aktiver ken­nen­ge­lernt hat. Einer, der als UEFA-Boss vehe­menten Reform­willen an den Tag legte, als er Finan­cial Fair­play“ trotz har­scher Wider­stände von einigen der finanz­kräf­tigen Ver­eine ein­führte. Pla­tini hat gezeigt, dass er nicht nur ein wil­liger Voll­stre­cker eines Sys­tems sein kann, wenn der Fuß­ball in Gefahr ist, nach­haltig Schaden zu nehmen. Zwei­fellos wird es auch ihm nicht gelingen, den Kor­rup­ti­ons­sumpf kom­plett tro­cken zu legen, der sich seit vielen Jahren in der FIFA aus­breitet. Aber wäre es nicht schon ein Fort­schritt, wenn es ihm gelänge, die außer Kon­trolle gera­tenen Struk­turen ein­zu­dämmen und Reformen anzu­stoßen?
 
Trotz aller Fragen, die Pla­tinis Wer­de­gang als Funk­tionär auf­wirft, darf man nicht ver­gessen: Im Gegen­satz zu all seinen Vor­gän­gern auf dem Prä­si­den­ten­stuhl kann 60-Jäh­rige in dieser Rolle seinen Ruhm als Fuß­ball-Ikone nicht mehren, son­dern aus­schließ­lich beschä­digen. Pla­tini hat mit Beharr­lich­keit auf diese Posi­tion hin­ge­ar­beitet. Wenn er sich jetzt, wo sich ihm end­lich die Chance bietet, wich­tige Impulse zu setzen, wie all seine Amts­vor­gänger aus­schließ­lich darauf besinnt, den Reichtum des Ver­bandes und seiner Ver­treter zu mehren, wird er viel­leicht als wohl­ha­bender Mann sterben. Seine Aura als Licht­ge­stalt des Fuß­balls, als einer, der auf dem Platz Men­schen mit über­ra­schenden, unvor­her­ge­sehen Dingen ver­zau­bern konnte, wird er jedoch gänz­lich ver­lieren.
 
Wir sollten uns also im Ange­sicht von Pla­tinis Kan­di­datur fragen: Ist es zu aller­erst nicht ein Segen für den Fuß­ball, dass die Ära Blatter end­lich ein Ende hat? Und gibt es nicht – gerade mit Blick auf die Nach­fol­ge­re­ge­lungen bei frü­heren FIFA-Prä­si­dent­schaften – weitaus gro­tes­kere Kan­di­daten, als eine Fuß­balli­kone, die das poli­ti­sche Geschäft seit Jahr­zehnten kennt und zumin­dest vor­gibt, die eigene Zukunft in den Dienst einer bes­seren Zukunft des Fuß­balls stellen zu wollen? Auch wenn es schwer fällt in Zeiten, in denen Heu­chelei als poli­ti­sches Werk­zeug längst gesell­schafts­fähig geworden ist: Geben wir Michel Pla­tini zumin­dest eine Chance!