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Dieser Text erschien erst­mals im April 2022, einen Tag nach dem Sieg der Ein­tracht in Camp Nou.

Wer im Duden das Wort Neid nach­schlägt (oder ja, erwischt, ein­fach kurz goo­gelt), findet dort fol­gende Umschrei­bung: Neid, der: Emp­fin­dung, Hal­tung, bei der jemand einem andern dessen Besitz oder Erfolg nicht gönnt und selbst haben möchte.“ Wes­halb ich lügen würde, wenn ich behaup­tete, dass ich in Bezug auf die Ein­tracht aus Frank­furt so gar keinen Neid emp­finde. Denn zumin­dest der erste und der letzte Teil der Beschrei­bung trifft in meinem Fall – und ich bin mir sicher: nicht nur in meinem – defi­nitiv zu. 

Als ich Frank­furt in Bar­ce­lona siegen und meh­rere zehn­tau­send Fans im Camp Nou feiern sah, ver­spürte ich ganz ohne Zweifel eine Emp­fin­dung, hatte ich eine Hal­tung. Und, auch das kann ich offen zugeben, ich wünschte mir diesen Erfolg für mich selbst. Bezie­hungs­weise für mich und den Verein, an den ich vor knapp 25 Jahren mein kleines und so furchtbar ahnungs­loses Kin­der­herz verlor. (Wel­cher das ist, tut nichts zur Sache, denn wenn ich jetzt einmal davon anfinge, dann ginge es auch noch in 20.000 Zei­chen um depri­mie­rende Quatsch-Fragen, zum Bei­spiel wieso zum Teufel ein Sport­di­rektor im Jahr 2021 ernst­haft Tayfun Korkut ver­pflichtet, was genau dagegen gespro­chen hätte, diesen Tayfun Korkut nach einer 1:6‑Heimniederlage gegen Leipzig wieder zu ent­lassen, und wie viele win­dige Hol­ding-Gesell­schaften in das Leben eines ein­zelnen Mannes passen. Aber wer depri­mie­renden Quatsch lesen will, kann ja ein­fach den Twitter-Account von Lars Wind­horst durch­forsten.) Was aller­dings nicht ganz in die Neid-Umschrei­bung passt: Ich gönnte es den Frank­fur­tern durchaus. 

Den Fans, die schon den ganzen Tag in beein­dru­ckender Anzahl durch Bar­ce­lona gezogen waren und gefeiert hatten, die dann am Abend ganz Europa mit ihrem Auf­tritt im Camp Nou zeigten, dass Fuß­ball mehr sein kann als Konsum oder ritua­li­sierter Zirkus, näm­lich ergrei­fend und berei­chernd und über­ra­schend. Und den Spie­lern, die in den aller­meisten Fällen die Partie ihres Lebens ablie­ferten. Nein, Neid ist das fal­sche Wort. Was ich spürte, war eher eine Art Fernweh. Fernweh wie­derum bedeutet, in diesem Fall wage ich es ohne Duden, dass man sich nach etwas in der Ferne sehnt. So sehr, dass es zuweilen weh tut. Und Gott, wie sehr sehnte man sich nach Bar­ce­lona!

Die Ein­tracht lässt uns hoffen – uns alle

Hin zu den zehn­tau­senden Fans, die mit ihren besten Freunden und Freun­dinnen und Vätern und Schwes­tern und Cou­sins und Arbeits­kol­legen diesem Spiel für die Ewig­keit bei­wohnten, diesem einen unter tau­senden. Hinein ins Camp Nou, diesen Tempel. Hin zu Filip Kostic, der schon nach drei Minuten mit seinem Elf­me­tertor allen klar­machte, dass die Ein­tracht sich nicht ins Hemd machen würde ob der his­to­ri­schen Chance. Und bei dem die Ein­tracht tun­lichst auf­passen sollte, dass er heute auch wirk­lich mit im Flieger nach Frank­furt sitzt, und nicht von Real-Prä­si­dent Flo­ren­tino Perez schock­ver­pflichtet wird, so wie er dem in Madrid ver­hassten FC Bar­ce­lona in seinem blü­ten­weißen Trikot gleich noch einen zweiten Treffer ein­schenkte. 

Hin zu Borré, der ein­fach mal einen vom Stapel ließ. Hin zu Hin­ter­egger und Ndicka, die tat­säch­lich ihre Kno­chen für den Verein hin­hielten, 90+9 lange Minuten. Wobei, bei Ndicka waren es nur 90+8 Minuten, danach flog er vom Platz, weil dem Schieds­richter das mit dem Kno­chen­hin­halten nicht ganz so gut gefiel wie den Ein­tracht-Fans. Ach, wie gerne wäre man dort gewesen. Wie gerne würde man unter anderen Vor­zei­chen, mit dem eigenen Lieb­lings­team, den eigenen Freunden, Ver­wandten, Kol­le­ginnen dort sein. Wie gerne wäre man der Nähe ent­flohen, dem Stan­dard­pro­gramm, dem dro­henden 0:4‑Auswärtsdebakel gegen Augs­burg am kom­menden Samstag. Und doch hatte der sen­sa­tio­nelle Erfolg der Ein­tracht auch für uns Daheim­ge­blie­bene, für uns im grauen Alltag Fest­ste­ckende etwas Ver­söhn­li­ches. Nein, es tat nicht weh. Im Gegen­teil, es tat gut. 

Denn Frank­furt bewies in Bar­ce­lona wie schon 2018 im Pokal­fi­nale: Träumen lohnt sich. Treue lohnt sich. Durch­halten lohnt sich. Besser gesagt: Träumen und Treue und Durch­halten können sich lohnen. Und allein die theo­re­ti­sche Chance, dass es irgend­wann mal der Eisenfuß-Innen­ver­tei­diger des eigenen Ver­eins sein könnte, der 30 Minuten nach Abpfiff als Sieger und Instant-Ver­eins­le­gende über den Rasen eines mys­ti­schen Welt­klub-Sta­dions hopst, wird einen die Nähe, räum­lich und zeit­lich, ertragen lassen. Viel­leicht über­steht man mit den Gedanken daran ja sogar eine zweite Amts­zeit von Tayfun Korkut, wer weiß. Ich meine: Wenn ein Timothy Chandler im Europa-League-Halb­fi­nale steht, zum zweiten Mal in drei Jahren, wieso sollte es ein Peter Pekarik dann nicht zumin­dest einmal schaffen? Irgendwie, irgendwo, irgend­wann. Und falls es doch nichts wird mit Pekarik und dem eigenen Jahr­hun­dert­spiel und der Freude in der Ferne, dann bleibt einem ja immer noch die Option mit dem Neid. 

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