Rayo Vallecano hat den FC Barcelona in dieser Saison zweimal besiegt. Als erster spanischer Aufsteiger überhaupt. Das Team steht im Tabellenmittelfeld und kann quasi nicht mehr absteigen. Wie hat Trainer Andoni Iraola das hinbekommen?
Wenn eine Mannschaft, die im Vorjahr als Sechstplatzierte der zweiten Liga die Play-offs benötigte, um aufzusteigen, gut ein Jahr später nicht nur auf bestem Wege ist, als erfolgreichster Aufsteiger die Klasse zu halten, sondern gleich zweimal in der Liga gegen Barcelona gewinnt, scheinen viele Dinge richtig zu laufen. Rayo Vallecano, der Arbeiterklub aus dem Madrider Stadtteil Vallecas, gewann am Sonntag im Camp Nou mit 1:0 gegen Barca und hat den Klassenerhalt praktisch eingetütet. Schon das Hinrundenspiel hatte Rayo als Sieger verlassen – und damit erstmals als Aufsteiger beide Saisonspiele gegen den großen FC Barcelona gewonnen.
Mit zehn Punkten Abstand auf einen direkten Abstiegsplatz steht Rayo Vallecano fünf Spieltage vor Schluss auf einem starken elften Tabellenplatz. In erster Linie ist das ein Verdienst des Trainers, Andoni Iraola.
Am 20. August 2020 hatte Iraola, ehemaliger Außenverteidiger von Atletic Bilbao, den Hauptstadtklub übernommen und die Mannschaft in seiner ersten Saison an der Seitenlinie direkt zum Aufstieg geführt. Damals landete der Klub auf Rang sechs der Segunda División, also auf dem letzten Platz, der die Teilnahme an den Aufstiegs-Play-offs garantiert. Dort setzte sich das Team dann gegen Leganes und Girona durch.
In der obersten spanischen Spielklasse war die Handschrift des Trainers schnell zu erkennen: Rayo Vallecano zeichnet sich durch geradliniges Spiel nach vorne aus, hohes Pressing und schnelles Umschalten in der Offensive. Ähnlich der Spielweise, die der Argentinier und Ex-Leeds-Trainer Marcelo Bielsa seinen Teams vermittelt. Das ist kein Zufall, denn zu Bielsas Amtszeit war Iraola als Spieler für Atletic Bilbao aktiv – Bielsa coachte die Basken von 2011 bis 2013. Bei Rayo lässt Iraola sein Team in einem defensiven 4 – 2‑3 – 1‑Spielsystem auflaufen – und hat ein durchaus gefährliches Angriffsspiel entwickelt.
Die Mannschaft des Basken versucht meist, so schnell wie möglich die Defensive durch das Zentrum zu überbrücken und im Offensivspiel sofort die Außen anzuspielen. Von dort aus soll der Ball den Mittelstürmer finden, der entweder auf den zentralen Mittelfeldspieler klatschen lässt oder konsequent den Abschluss sucht. Auch das Überspielen des Mittelfeldes mit einem langen Ball auf Wandspieler Radamel Falcao oder die alternativen Mittelstürmer Nteka oder Sergi Guardiola gehört zu den automatisierten Angriffszügen des Trainers.
Der 1:0‑Treffer gegen Barca zeigt, wie geradlinig Rayo im Angriff agiert: Mit insgesamt neun Ballkontakten schaffte es das Team, auf der rechten Seite des Spielfeldes nahe der Mittelfeldlinie den Ball im Dreieck zirkulieren zu lassen und die halbe katalanische Mannschaft auf sich zu ziehen, so dass ein einfacher Flankenball ins Zentrum auf den linken Mittelfeldspieler Alvaro Garcia genügte: Er brauchte, von Barcas Abwehrspielern kaum gestört, nur zwei Ballkontakte, um den Ball an Keeper Marc-André ter Stegen vorbei ins rechte untere Toreck zu befördern.
„Wir wollten ein bisschen höher stehen, insbesondere bei Barca-Ballbesitz. Es war wichtig, ihre Pässe früh zu unterbinden und Busquets nicht ins Spiel kommen zu lassen“, sagte Trainer Iraola. Das sei der Mannschaft gelungen. Zudem habe die Solidarität zwischen den Spielern und ihr Wille gestimmt. Torschütze Alvaro sprach ähnlich pathetisch von einem „Sieg der Seele“.
Mit Barcelona hingegen, das etliche Chancen vergeben hatte und zwei nicht gegebene Elfmeter beklagte, gingen die spanischen Medien hart ins Gericht. Nach der dritten Heimniederlage in Serie für Barca-Coach Xavi titelte Diario AS: „Willkommen im Tunnel des Schreckens“.
Rayos Erfolgsrezept ist nicht zuletzt auf eine gute Defensivstruktur zurückzuführen. Nach Ballverlust wird direkt gepresst, die gesamte Mannschaft arbeitet kollektiv gegen den Ball. Mit nur 38 Gegentreffern stellt Rayo Vallecano die neuntbeste Verteidigung der Liga – und hat damit sogar einen Gegentreffer weniger kassiert als das defensivstarke Atletico Madrid.
Schlüssel in der Defensive ist die Achse um das Innverteidiger-Duo aus Alejandro Catena und Esteban Saveljic, die das Aufbauspiel geduldig ausführen. Der 22-jährige Fran Garcia und Ivan Balliu auf den Außen komplettieren die Viererkette. Gerade Fran Garcia gilt als großes Versprechen. Bei seinem ehemaligen Arbeitgeber Real Madrid, das 50 Prozent an den Spielerrechten hält, wird er als Option für die linke Abwehrseite gehandelt – die Position von Marcelo, der den Klub zum Saisonende verlassen wird. Die rasante Entwicklung, die Garcia bei Rayo genommen hat, ist den Verantwortlichen bei Real nicht entgangen. Ein Verbleib bei Rayo gilt als unwahrscheinlich.
Mit 33 Millionen Euro stellt der Klub aus Vallecas den zweitniedrigsten Startelf-Marktwert. Im Vergleich: Barcas teuerste Startelf hatte in diesem Jahr einen Marktwert von 387 Millionen Euro. Vor der Saison hatte Rayo für 4,3 Millionen Euro neue Spieler geholt, unter denen sich auch Falcao (ablösefrei von Galatasaray Istanbul), Maras (ausgeliehen von UD Almeria) und eben Fran Garcia (von Real Madrid Castilla) befinden. Garcia alleine hatte 2 Millionen Euro gekostet.
Außer vier neuen Spielern ist die Startelf dieselbe geblieben wie noch im vergangenen Aufstiegsjahr. Iraola bleibt seinem System treu und setzt auf Kontinuität. Dabei hat er eine gute Mischung aus erfahrenen – Falcao ist inzwischen 36 Jahre alt, die offensiven Außenspieler Alvaro und Oscar jenseits der 25 Jahre – und jungen aufstrebenden Spielern wie Garcia gefunden.
Gegen Klubs wie Bilbao (2:1) und Valencia (zweimal 1:1) gelangen, neben den zwei Siegen gegen Barcelona, zudem weitere Achtungserfolge. Gegen die Lokalrivalen Real und Atletico Madrid setzte es hingegen knappe Niederlagen. In der Hauptstadt Spaniens bleibt Rayo Vallecano somit dritte Kraft – und darf dank des So-gut-wie-Klassenerhalts in der kommenden Saison einen neuen Anlauf auf einen Derbysieg nehmen.