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Eines der schwie­rigsten Unter­fangen unserer Zeit ist es, bis zum Beginn der Sport­schau ahnungslos zu bleiben. Sams­tags, pünkt­lich ab 15:30 Uhr, flim­mert uns auf allen Kanälen der Fuß­ball ent­gegen: Im Video­text die knappen Spiel­be­richte, auf soge­nannten U‑Bahn-Info-Screens die Ergeb­nisse, in den Kneipen Bewegt­bilder der Bun­des­liga-Kon­fe­renz und im Internet die unzäh­ligen Live­ti­cker. Und wer tat­säch­lich ver­sucht, den Sams­tag­nach­mittag ohne jedes Medi­en­si­gnal zu ver­bringen, der wird garan­tiert beim Gang zum Super­markt irgendwo einen Gesprächs­fetzen auf­fangen, der verrät, dass Bas­tian Schwein­steiger das 2:1 gegen den VfB Stutt­gart erzielt hat. Der Mann an der Käse­theke erfährt es gerade über sein iPhone. Selbst bestimmen, wo und wie man Fuß­ball rezi­piert – das ist vorbei. Heute gibt es alles in Häpp­chen.

Die Frage ist aller­dings auch: Wer möchte über­haupt auf Infor­ma­tionen ver­zichten, die überall prä­sent sind? In der ipho­ni­sierten Welt wirkt jede Art von Medi­en­abs­ti­nenz ana­chro­nis­tisch. Und nicht nur das, schon jemand, der sich aktiv und selektiv Infor­ma­tionen beschaffen will, der nicht das kom­plette All-In-One-Paket abon­niert hat, wirkt wie ein selt­samer Kauz aus einer längst ver­ges­senen Epoche.

Ein Blick ins Sta­dion: Früher hingen dort Männer am letzten Spieltag gebannt an den Radios, um die für sie rele­vanten Spiel­stände der anderen Plätze zu erfahren. Sie beteten die Anzei­ge­tafel an, in der Hoff­nung, das Ergebnis im West­fa­len­sta­dion, Wald­sta­dion oder Fran­ken­sta­dion würde sich zu ihren Gunsten ändern. Noch in der Bahn auf dem Nach­hau­seweg wurden Resul­tate kor­ri­giert, irgend­je­mand hatte etwas anderes erfahren, als der Sta­di­on­spre­cher zuletzt ver­kündet hatte.

Das große Aben­teuer Spieltag

Apropos Sta­di­on­spre­cher: In wahr­lich exis­ten­zi­ellen Spielen durfte dieser mit­unter gar nichts preis­geben – Ansage von Oben. So ächzte man also durch die Kurve, als würde sich irgendwo am ver­ros­teten Zaun oder einer von Unkraut zer­fres­senden Stufe das sehr wich­tige Zwi­schen­er­gebnis aus Bremen oder Lever­kusen ver­fangen. Oder aber man begab sich auf die Suche nach den Män­nern, die wie­derum in Kon­takt mit jenen standen, die einen Medi­en­zu­gang hatten. Und dann klebten sie im Kol­lektiv an den Tran­sis­tor­ra­dios, um genau diese eine Infor­ma­tion zu bekommen, nach der sie dürs­teten. Es fühlte sich an wie bei H.G. Wells‘ Krieg der Welten“, wie Nach­richten von einem anderen Pla­neten. Es war das große Aben­teuer Spieltag.

Heute lehnt man sich zurück auf den gepols­terten Tri­bü­nen­platz. Die Spieler betreten den Platz, der erste Griff führt unwei­ger­lich zum iPhone, knips, knips und noch einmal: knips. Wozu noch selek­tieren? Die Spei­cher­karte hat Platz für 92.432 Fotos. Einige Ex-Profis erzählen heute gele­gent­lich von Flut­licht­spielen im Winter, bei denen die Anhänger Wun­der­kerzen in der Kurve zün­deten. Heute würden diese in einem Meer von blit­zenden Geräten ertrinken. Knips.

Von der Rassel zum iPhone: Die Fan-Werk­zeuge im Wandel der Zeit »

Hat der geneigte Hobby-Foto­graf schließ­lich seinen Lieb­lings­spieler aus 70 Meter Ent­fer­nung ein­ge­fangen, legt er das all­wis­sende iPhone mit einer geübten Bewe­gung auf seinen linken Ober­schenkel und sieht aus dem Augen­winkel gesto­chen scharf die Spiele auf den anderen Plätze. Jeder Angriff überall live und in Farbe. Dazu gibt es das App mit der Blitz­ta­belle, es gibt die Info-SMS zum Zwi­schen­stand in Kai­sers­lau­tern und Nikosia und Porto Alegre, den man aller­dings eh schon kennt, schließ­lich tickert soc­cer­ways“ alle Ereig­nisse welt­weit bei­nahe noch vor dem Ereignis. Dann gibt es, für ganze Alt­mo­di­sche, den kurzen Anruf in Nürn­berg, es gibt den Vibra­ti­ons­alarm, wenn in Ham­burg etwas pas­siert, und es gibt… oh, Nuri Sahin an der Außen­linie! – knips, knips. Schöne neue Welt: Das iPhone hat die Hoheit dar­über, wie man Infor­ma­tionen bezieht. In der Mün­chener Allianz Arena sind einige Men­schen sogar selbst schon zu Tele­fonen geworden. Für ein Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­un­ter­nehmen bilden sie, in weiße Müll­tüten gehüllt, das Firmen-Logo.

Der Zau­ber­stab der Gemüt­li­chen, das Zepter der Pas­si­vität

Aktuell kur­siert eine Grafik im Internet, die sich Hands at Gigs“ nennt und die Ver­än­de­rung der Kon­zert­kultur seit den späten sech­ziger Jahren zeigt. Auf dem ersten Bild sehen wir Hände, die mit ihren Fin­gern ein Peace-Zei­chen bilden, auf dem zweiten solche, die den Zei­ge­finger und den kleinen Finger stre­cken, dann welche, die eine Faust formen. Schließ­lich die Ankunft in der Gegen­wart: Drei Hände, die Kameras und Smart­phones in die Luft halten. Zeich­nete man im Fuß­ball analog dazu eine Evo­lu­tion nach, würde man im ersten Bild Hände mit Ras­seln und Schals sehen, im zweiten Flaggen und Gas­tröten, im dritten Dop­pel­halter und Mega­fone. All diesen Gesten – beim Kon­zert: Hippie, Heavy Metal, Punk; beim Fuß­ball: Schlach­ten­bummler, Fans, Ultras – wohnt eine Posi­tio­nie­rung inne, sie impli­zieren eine Aktion, die immer ein Stück weit nach Außen gerichtet war.

Im Fuß­ball­krieg der mobilen Tele­fon­welten dreht sich alles nach Innen. Alles wird ser­viert, alles liegt vor einem und wird absor­biert. Ihre Welt sug­ge­riert: Du ver­passt nichts. Und das Beste dabei: Du brauchst nichts dafür tun. Das iPhone ist der Zau­ber­stab der Gemüt­li­chen. Das Zepter der Pas­si­vität. Ich werde mir eins zulegen.