Fast ein ganzes Jahr lang ging Dresden-Fan Uwe Leuthold seinem Verein fremd: Die Heimspiele der Saison 2017/18 verfolgte er ausnahmslos im Gästeblock. Was er dort gelernt hat und wie es war, mit der Faust in der Tasche zu jubeln.
Wurde es auch mal brenzlig? Dass sich Heimfans in den Gästeblock mischen, wird ja eigentlich nicht gerne gesehen.
In der Regel geht es ja einigermaßen anonym zu. Ich habe mich natürlich zivil gekleidet. Und ich war ja nicht so bescheuert, mich zu den Ultras zu stellen. Das gehört sich auch nicht, finde ich. Das hat etwas mit Respekt zu tun.
In Ihrem Buch schreiben Sie allerdings, dass Sie beim Spiel gegen den SV Sandhausen aufgeflogen sind.
Das hat nicht lange gedauert. Ist ja auch kein Wunder bei 40 Auswärtsfahrern, die kennen sich natürlich alle. Als sie sich nach dem frühen 1:0 abklatschten, drehte sich einer zu mir um und sagte: „Du bist doch keiner von uns. Du bist doch von hier!“ Fand ich bemerkenswert, dass ich offenbar auch optisch als Sachse zu erkennen bin. Wir kamen dann ins Gespräch. Er zeigte mir auf seinem Smartphone Bilder vom Hardtwaldstadion in Sandhausen und erzählte stolz, wie sich der Verein geweigert hatte, an der von Dietmar Hopp geplanten Fusion zum FC Kurpfalz teilzunehmen. Das war alles sehr reizend.
„Bei Sandhausen herrschte richtig schöne Dorfplatz-Atmosphäre“
Inwiefern?
Da herrschte richtig schöne Dorfplatz-Atmosphäre. Die meisten der etwa 40 Angereisten waren bereits im Dunstkreis des Renteneintrittsalters, lehnten entspannt am Wellenbrecher und riefen von Zeit zu Zeit mal „Hintermann“ aufs Spielfeld.
Haben Sie auch abgesehen vom Sandhausen-Spiel Kontakte geknüpft?
Viele. Ich bin mit Allesfahrern ins Plaudern gekommen, mit Meckerrentnern, Normalos. Gerade bei Bier und Fußball passiert es doch recht schnell, dass man ins Gespräch kommt.
Sie haben in jener Saison insgesamt 16 Mal im Gästeblock des Rudolf-Harbig-Stadions gestanden, das Spiel gegen Heidenheim haben Sie aufgrund eines Staus verpasst. Welche Fanszene war für Sie die größte Überraschung?
Ganz klar: Jahn Regensburg. Ich bin davon ausgegangen, dass sie sich vielleicht auf dem Niveau von Heidenheim bewegen. Ich habe mit etwa 150 Leuten gerechnet, die dort rumstehen und sich das Spiel angucken. Am Ende waren es rund 700 – und die haben richtig Ballett gemacht. Das fing schon bei den Klos an, die so zugetaggt mit Aufklebern waren wie bei keinem anderen Verein. Zudem hatten sie eine Art fliegenden Vorsänger, der mit seinem Megafon durch die Reihen gegangen ist und die Leute motiviert hat. Das hat mich total fasziniert.
„Von Kaiserslautern habe ich mehr erwartet“
Gab es auch Enttäuschungen?
Von Kaiserslautern habe ich definitiv mehr erwartet. Die Roten Teufel. Die waren ja mal berüchtigt dafür, wie sie abgehen. Aber die Mannschaft war in dem Spiel so schlecht, dass die Fans komplett fassungslos waren. Das war eine Art unfreiwilliger Stimmungsboykott. Es war totenstill.
Weitere Negativerlebnisse?
Beim Spiel gegen Fortuna Düsseldorf wäre ich am liebsten überhaupt nicht im Stadion gewesen, egal ob im Heim- oder Gästeblock.
Warum?
Es war aus Dynamo-Sicht ein fürchterliches Spiel. In der 86. Minute hatte Paco Testroet beim Stand von 1:1 eine Riesenchance, die Düsseldorfs Torwart wie auch immer vereitelt hat. Im direkten Gegenzug hat Düsseldorf dann mit einem totalen Eiertor das 2:1 erzielt. Dadurch sind sie aufgestiegen, Dynamo hingegen war in höchster Abstiegsnot.
Konnten Sie sich denn zumindest ein bisschen für die Düsseldorfer freuen?
Nicht so, dass ich mitgefeiert hätte. Schließlich hatte ich mit Dynamo gerade ganz andere Sorgen. Aber ich habe es ihnen gegönnt. Ich finde, Düsseldorf ist ein cooler Verein. Wie sie dieses Spiel gefeiert haben, das war schon ein Erlebnis. Bereits eine Dreiviertelstunde vor Anpfiff haben sie sich warmgesungen und wirklich alle haben mitgezogen. Nach dem 1:0 gingen die Bengalos an und brannten fast über das ganze Spiel hinweg. Mit Abpfiff lagen sich dann alle heulend in den Armen. Wegen so etwas Albernem wie Fußball! Aber das konnte ich eben sehr gut nachvollziehen.
Das Buch von Uwe Leuthold zu seinem Gästeblock-Projekt ist im Eigenverlag erschienen. Erhältlich ist es für 9,90 Euro bei Amazon und beim Autoren selbst: spuckelch@gmail.com
Sie haben es angesprochen: Sportlich verlief die Saison für Dynamo Dresden alles andere als erfreulich, erst am letzten Spieltag gelang der Klassenerhalt. In der Heimtabelle belegte der Verein sogar den letzten Platz. Wie viel Schuld geben Sie sich und Ihrem Blockwechsel an der Misere?
Offensichtlich hat der Fußballgott es gesehen – und bestraft. Da bin ich manchmal schon ins Grübeln gekommen. Für mich war das der Beweis: Dynamo braucht mich im Fanblock.
In der nächsten Saison standen Sie wieder im K‑Block. Wie war’s?
Sehr feucht-fröhlich. Es war schön, wieder nach Hause zu kommen. Den eigenen Emotionen wieder freien Lauf lassen zu können, rumzuschreien und zu pöbeln, war sehr befreiend.
Wenn Sie auf all Ihre Spiele im Gästeblock zurückblicken. Was haben Sie gelernt?
Aus Dresdner Perspektive ist es schon deprimierend, wie wenig von unserer tollen Stadionatmosphäre tatsächlich im Gästeblock ankommt. Da muss schon das ganze Stadion mitziehen. Und: So banal es klingt, es ist schon faszinierend, dass Fußballfans, egal von welchem Verein, auf die gleiche Art und Weise leiden.
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