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Uwe Leut­hold, Sie haben ein Buch mit dem Titel Aus­wärts alle aso­zial“ geschrieben. Ent­spricht der Titel den Tat­sa­chen, die Sie erlebt haben?
Nein. Es ist eine kleine Pro­vo­ka­tion, die sich auf eine unter Fuß­ball­fans sehr beliebte Floskel bezieht. Aus­wärts sind ja ohnehin alle aso­zial, da kannste dich gehen lassen“, sagte ein Fan wäh­rend des Gast­spiels von Darm­stadt 98 bei Dynamo Dresden zu mir. Des­halb der Titel. Wirk­lich aso­zial ging es in den meisten Fällen bei meinem kleinen Pro­jekt aber nicht zu. Im Gegen­teil: Es lief über­wie­gend sehr zivi­li­siert ab. Nur bei einem von 17 Spielen wurden die Gäs­te­klos demo­liert.

Es soll Fan­szenen geben, die da eine höhere Quote vor­weisen. Die von Dynamo Dresden zum Bei­spiel…
Davon habe ich auch gehört. (Lacht.)

Wenn es gar nicht so sehr um tat­säch­lich aso­ziales Ver­halten geht, was bedeutet der Titel dann für Sie?
Es geht um ein Gefühl von Frei­heit. Man trifft sich früh mor­gens am Bahnhof, um irgendwo ans andere Ende der Repu­blik zu tin­geln. Man kon­su­miert über­durch­schnitt­lich viel Bier. Und man ist noch mehr raus aus dem nor­malen Leben als bei Heim­spielen.

Uwe Leut­hold

wurde 1976 in Dresden geboren, hat Poli­tik­wis­sen­schaft stu­diert, Süd­ame­rika bereist, vier Söhne. Außer für sie schlägt sein Herz für Dynamo Dresden und das Schreiben, bevor­zugt über seine Söhne und Dynamo Dresden. 2016 war sein Blog Spu­ckelch“ zum Fuß­ball-Blog des Jahres nomi­niert. Er lebt und arbeitet als freier Autor und in Dresden und Berlin.

In der Saison 2017/18 haben Sie den Spieß umge­dreht. Sie haben die Heim­spiele Ihres Ver­eins Dynamo Dresden zu Aus­wärts­touren gemacht und die jewei­ligen Par­tien aus dem Gäs­te­block ver­folgt. Wie kamen Sie auf diese ver­we­gene Idee?
Ent­standen ist die Idee, als ich bei einem Heim­spiel von Dynamo mal nicht im K‑Block stand, son­dern in der Nähe des Gäs­te­blocks saß. Damals war der VfR Aalen zu Gast. Da waren viel­leicht 100 Fans zu Gast. Aber die haben eine Stim­mung gemacht, Hei­de­witzka! Ich kenne das von eigenen Aus­wärts­fahrten: Da denkt man immer, man hat das ganze Sta­dion im Griff, selbst wenn es das Olym­pia­sta­dion oder die Allianz Arena ist. In Dresden haben wir natür­lich das Selbst­ver­ständnis, dass kein Gäs­te­block gegen uns eine Chance hat. Wir sind so laut, dass die sich ein­ka­cken, wenn die uns hören. Diese Selbst­wahr­neh­mung wollte ich gerne aus der Per­spek­tive des Gäs­te­blocks über­prüfen. Außerdem hat mich inter­es­siert, was die Fans, die hierher kommen, für eine Mei­nung von Dynamo und seiner Fan­szene haben. Wir genießen ja nicht überall den besten Ruf.

Und?
So schlecht, wie ich es befürchtet hatte, denken die Leute gar nicht über uns. Viele haben auch große Erwar­tungen oder Respekt vor der Stim­mung.

Wer im Dresdner Gäs­te­block halb­wegs geschlossen auf­tritt, bekommt von der Heim­stim­mung kaum etwas mit“

Wirkt der K‑Block denn so furcht­ein­flö­ßend, wie Sie es als Dynamo-Fan ver­mutet haben?
Über­haupt nicht. Wenn du mit 300 Leuten auf­wärts in Dresden im Gäs­te­block stehst und halb­wegs geschlossen per­formst, bekommst du von der Heim­stim­mung kaum etwas mit. Und schon hast du das Gefühl, du bist der König der Welt.

Unter Fuß­ball­fans wird viel gepö­belt. Was sind die gän­gigsten Belei­di­gungen gegen Dynamo Dresden?
Die gän­gisten Beschimp­fung ist das, an unseren Fan­ge­sang ange­lehnte Dy Dy Dy Dy na na na na mo mo mo mo – SCHEIIIIIIISS Dynamo!“ Und das all­ge­mein übliche Scheiß Dynamo! Scheiß Dynamo! Hey Hey!“ Bei Union sind wir die aso­zialen Sachsen“.

Gab es auch Schmä­hungen, die Sie lustig fanden?
Ori­gi­nell fand ich For­tuna Düs­sel­dorf: Ihr seid leiser als For­tuna Köln“.

Selfie fci

Uwe Leut­hold under­cover im Ingol­städter Block.

Uwe Leut­hold

Mit wel­chen Erwar­tungen sind Sie ins erste Heim-Aus­wärts­spiel gegen den MSV Duis­burg gegangen?
Eigent­lich mit gar keinen. Zum MSV habe ich kei­nerlei Bezug. Ich habe mich auch nicht extra vor­be­reitet, ich wollte immer sehr unbe­darft und mög­lichst unvor­ein­ge­nommen in die Spiele gehen. Das hat zu Beginn auch ganz gut geklappt, im Ver­laufe der Saison wurde es dann immer heikler, weil Dynamo mitten im Abstiegs­kampf steckte. Das war emo­tional nicht ganz ein­fach.

Gab es Momente, in denen Sie sich gewünscht hätten, auf der anderen Seite des Sta­dions zu stehen?
Defi­nitiv das 4:0 im Derby gegen Aue. Das war gleich­zeitig das Abschieds­spiel von Lehmi, unserem Capo. Das war das her­aus­ra­gendste Spiel der Saison.

Und Sie standen im Gäs­te­block und haben mit der Faust in der Tasche geju­belt?
Das war wirk­lich hart. Es lief so groß­artig für Dynamo, Aue hatte im ganzen Spiel keine Chance. Dabei sind die natür­lich enorm moti­viert in die Partie gegangen, der Block war bre­chend voll. Aber schon nach zehn Minuten haben sie rea­li­siert: Das wird für sie heute richtig scheiße. Einer der Vor­sänger, der bei mir in der Nähe auf dem Zaun stand, sagte: Das wird heute richtig übel.“ Da habe ich mich natür­lich die­bisch gefreut, musste mich aber eben gleich­zeitig sehr zusam­men­reißen, damit ich nicht auf­fliege. Aber es war ja selbst­ge­wähltes Leid.

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Wurde es auch mal brenzlig? Dass sich Heim­fans in den Gäs­te­block mischen, wird ja eigent­lich nicht gerne gesehen.
In der Regel geht es ja eini­ger­maßen anonym zu. Ich habe mich natür­lich zivil gekleidet. Und ich war ja nicht so bescheuert, mich zu den Ultras zu stellen. Das gehört sich auch nicht, finde ich. Das hat etwas mit Respekt zu tun.

In Ihrem Buch schreiben Sie aller­dings, dass Sie beim Spiel gegen den SV Sand­hausen auf­ge­flogen sind.
Das hat nicht lange gedauert. Ist ja auch kein Wunder bei 40 Aus­wärts­fah­rern, die kennen sich natür­lich alle. Als sie sich nach dem frühen 1:0 abklatschten, drehte sich einer zu mir um und sagte: Du bist doch keiner von uns. Du bist doch von hier!“ Fand ich bemer­kens­wert, dass ich offenbar auch optisch als Sachse zu erkennen bin. Wir kamen dann ins Gespräch. Er zeigte mir auf seinem Smart­phone Bilder vom Hardt­wald­sta­dion in Sand­hausen und erzählte stolz, wie sich der Verein gewei­gert hatte, an der von Dietmar Hopp geplanten Fusion zum FC Kur­pfalz teil­zu­nehmen. Das war alles sehr rei­zend.

Bei Sand­hausen herrschte richtig schöne Dorf­platz-Atmo­sphäre“

Inwie­fern?
Da herrschte richtig schöne Dorf­platz-Atmo­sphäre. Die meisten der etwa 40 Ange­reisten waren bereits im Dunst­kreis des Ren­ten­ein­tritts­al­ters, lehnten ent­spannt am Wel­len­bre­cher und riefen von Zeit zu Zeit mal Hin­ter­mann“ aufs Spiel­feld.

Haben Sie auch abge­sehen vom Sand­hausen-Spiel Kon­takte geknüpft?
Viele. Ich bin mit Alles­fah­rern ins Plau­dern gekommen, mit Mecker­rent­nern, Nor­malos. Gerade bei Bier und Fuß­ball pas­siert es doch recht schnell, dass man ins Gespräch kommt.

Sie haben in jener Saison ins­ge­samt 16 Mal im Gäs­te­block des Rudolf-Harbig-Sta­dions gestanden, das Spiel gegen Hei­den­heim haben Sie auf­grund eines Staus ver­passt. Welche Fan­szene war für Sie die größte Über­ra­schung?
Ganz klar: Jahn Regens­burg. Ich bin davon aus­ge­gangen, dass sie sich viel­leicht auf dem Niveau von Hei­den­heim bewegen. Ich habe mit etwa 150 Leuten gerechnet, die dort rum­stehen und sich das Spiel angu­cken. Am Ende waren es rund 700 – und die haben richtig Bal­lett gemacht. Das fing schon bei den Klos an, die so zuge­taggt mit Auf­kle­bern waren wie bei keinem anderen Verein. Zudem hatten sie eine Art flie­genden Vor­sänger, der mit seinem Megafon durch die Reihen gegangen ist und die Leute moti­viert hat. Das hat mich total fas­zi­niert.

Von Kai­sers­lau­tern habe ich mehr erwartet“

Gab es auch Ent­täu­schungen?
Von Kai­sers­lau­tern habe ich defi­nitiv mehr erwartet. Die Roten Teufel. Die waren ja mal berüch­tigt dafür, wie sie abgehen. Aber die Mann­schaft war in dem Spiel so schlecht, dass die Fans kom­plett fas­sungslos waren. Das war eine Art unfrei­wil­liger Stim­mungs­boy­kott. Es war toten­still.

Wei­tere Nega­tiv­erleb­nisse?
Beim Spiel gegen For­tuna Düs­sel­dorf wäre ich am liebsten über­haupt nicht im Sta­dion gewesen, egal ob im Heim- oder Gäs­te­block.

Warum?
Es war aus Dynamo-Sicht ein fürch­ter­li­ches Spiel. In der 86. Minute hatte Paco Test­roet beim Stand von 1:1 eine Rie­sen­chance, die Düs­sel­dorfs Tor­wart wie auch immer ver­ei­telt hat. Im direkten Gegenzug hat Düs­sel­dorf dann mit einem totalen Eiertor das 2:1 erzielt. Dadurch sind sie auf­ge­stiegen, Dynamo hin­gegen war in höchster Abstiegsnot.

Konnten Sie sich denn zumin­dest ein biss­chen für die Düs­sel­dorfer freuen?
Nicht so, dass ich mit­ge­feiert hätte. Schließ­lich hatte ich mit Dynamo gerade ganz andere Sorgen. Aber ich habe es ihnen gegönnt. Ich finde, Düs­sel­dorf ist ein cooler Verein. Wie sie dieses Spiel gefeiert haben, das war schon ein Erlebnis. Bereits eine Drei­vier­tel­stunde vor Anpfiff haben sie sich warm­ge­sungen und wirk­lich alle haben mit­ge­zogen. Nach dem 1:0 gingen die Ben­galos an und brannten fast über das ganze Spiel hinweg. Mit Abpfiff lagen sich dann alle heu­lend in den Armen. Wegen so etwas Albernem wie Fuß­ball! Aber das konnte ich eben sehr gut nach­voll­ziehen.

Aus­wärts alle aso­zial

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Das Buch von Uwe Leut­hold zu seinem Gäs­te­block-Pro­jekt ist im Eigen­verlag erschienen. Erhält­lich ist es für 9,90 Euro bei Amazon und beim Autoren selbst: spuckelch@​gmail.​com

Sie haben es ange­spro­chen: Sport­lich ver­lief die Saison für Dynamo Dresden alles andere als erfreu­lich, erst am letzten Spieltag gelang der Klas­sen­er­halt. In der Heim­ta­belle belegte der Verein sogar den letzten Platz. Wie viel Schuld geben Sie sich und Ihrem Block­wechsel an der Misere?
Offen­sicht­lich hat der Fuß­ball­gott es gesehen – und bestraft. Da bin ich manchmal schon ins Grü­beln gekommen. Für mich war das der Beweis: Dynamo braucht mich im Fan­block.

In der nächsten Saison standen Sie wieder im K‑Block. Wie war’s?
Sehr feucht-fröh­lich. Es war schön, wieder nach Hause zu kommen. Den eigenen Emo­tionen wieder freien Lauf lassen zu können, rum­zu­schreien und zu pöbeln, war sehr befreiend.

Wenn Sie auf all Ihre Spiele im Gäs­te­block zurück­bli­cken. Was haben Sie gelernt?
Aus Dresdner Per­spek­tive ist es schon depri­mie­rend, wie wenig von unserer tollen Sta­di­onat­mo­sphäre tat­säch­lich im Gäs­te­block ankommt. Da muss schon das ganze Sta­dion mit­ziehen. Und: So banal es klingt, es ist schon fas­zi­nie­rend, dass Fuß­ball­fans, egal von wel­chem Verein, auf die gleiche Art und Weise leiden.

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