Bild-Mann Alfred Draxler ist der neue Experte im Sport1-Doppelpass. Viele Zuschauer regen sich darüber auf. Warum eigentlich?
Besonders gerne regen sich die Deutschen am Sonntag auf. Wenn am Abend der „Tatort“ auf der ARD läuft, sitzen sie vor ihren Fernsehern und schreiben das Internet und vor allem Twitter voll. Die ARD nennt das Netzwerk in jenen Sonntagabendstunden ein „digitales Lagerfeuer, an dem sich Tatort-Fans und Gleichgesinnte treffen“. Man könnte auch sagen, es ist ein „digitaler Acker für Tatort-Hooligans und Choleriker“.
Man fragt sich jedenfalls, warum die Leute nicht einfach weiterzappen, eine tolle Krimi-Serie auf einem anderen Sender oder einem der unzähligen Streamingportale schauen. „True Detectice“, „Die Brücke“, was auch immer. Aber nein, um Punkt 20:15 Uhr schalten sie um auf ARD, und dann, ohje, aha, wieder eine Folge, die in irgendeinem subkulturellen Milieu spielt, bei der die Protagonisten Dialoge sprechen, die klingen, als habe sie ein Ü50-Oberstudienrat aus dem Straßenslang/Deutsch-Duden abgeschrieben. „Hey, cool, yolo, Mann!“
Vielleicht ist es auch die Wut auf den Sonntag an sich. Ein Tag als Menetekel. Schon morgen geht die Woche und die ganze Mühle wieder los. Und natürlich auch ein Tag, der schon beschissen angefangen hat. Denn die zweite Sendung, über die sich die Deutschen besonders gerne aufregen, ist der „Doppelpass“ auf Sport1.
„Das ist jetzt wirklich enttäuschend. Dann halt nicht.“
Vergangene Woche verkündete der Sender, dass der „Bild“-Chefkolumnist Alfred Draxler neuer „Doppelpass“-Experte wird. Das heißt, er wird neben dem Moderator Thomas Helmer und seinen Gästen sitzen und irgendwelche steilen Thesen aufstellen oder kommentieren. Der Zorn in den Sozialen Medien folgte prompt. Max-Jacob Ost, Macher der Podcasts „Rasenfunk“ und „11Leben“, twitterte: „Das ist jetzt wirklich enttäuschend. Dann halt nicht.“ Über 700 User likten diesen Beitrag. „Ein Schritt vor, zehn Schritte zurück“, twitterte auch Klaas Reese, der unter anderem für den Deutschlandfunk und 11FREUNDE tätig ist. Über 800 Likes.
Was regt die Leute so auf?
Vielleicht muss man noch mal erklären, was der „Doppelpass“ überhaupt ist. Im Grunde zeigt er sich als eine Fortführung des Gottesdienstes: eine mehrstündige Talk-Show mit Zuschauern am Sonntagmorgen. Er hat etwas Beständiges, er bietet Halt. Er hat mit Thomas Helmer sogar eine Art Pfarrer. Die Unterschiede zum Gottesdienst sind marginal: Das Publikum sitzt zwischen Palmen und einer gut gefüllten Bar. Damen mit sehr viel Schminke bringen Männern mit sehr viel Bauch Weißbier an den Tisch. Und ja, hier darf man auch mal Dinge dazwischenrufen,„Oha!“ oder„Wow!“ oder„Effz Bayan!“. Hier trägt man auch gerne Fußballtrikots mit Spitznamen wie „Mario Gib Gummi“ und„Beppo Banzer“.
Auf einem Tisch steht ein Sparschwein, das „Phrasenschwein“ heißt. Wenn ein Gast eine besonders öde Fußballfloskel benutzt, muss er fünf Euro reinwerfen. Nach einigen Sendungen kommen Summen zusammen, mit denen man das Jahresgehalt von David Alaba zahlen könnte.
Die Sendung läuft seit 25 Jahren. Anfangs wurde sie von Rudolph Brückner moderiert, später von Jörg Wontorra und seit 2015 vom Ex-Profi Thomas Helmer, über den die „Süddeutsche Zeitung“ mal schrieb, er habe „weniger Durchblick als das Phrasenschwein“, was natürlich etwas fies war, aber ganz gut das Dilemma der Show zusammenfasst: Ein immer komplexer werdender Fußball wird mit unterkomplexen Erklärungen analysiert. Wenn man unterschiedlicher Meinung ist, wird nicht gestritten oder debattiert, sondern „gefrotzelt“. Wenn mal jemand einen Scherz macht, dann „blüht der Flachs“. Eine „Kicker“-Ausgabe aus den Sechzigern ist sprachlich moderner.
Die meisten Gäste sind männlich, seltener unter 40 und kommen aus einer Zeit, in der es kaum jemanden interessiert hat, was um das Spiel oder das Stadion herum passierte. Ultras? Aktive Fans? Banner in der Kurve? Rassismus? Katar? Korruption? Es ging und geht ums Toreschießen, ums Geldverdienen und darum, dass am Ende hoffentlich der FC Bayern Meister wird.
Einige Gäste wirken auf dieser Bühne wie Zeitreisende, die in den vergangenen 20 Jahren nicht ein einziges Mal aus ihrer Fußballblase hinausgeschaut haben. Aber sie werden eingeladen, weil sie markige Sprüche und Herrenwitze mitbringen. Vor wenigen Wochen war etwa der ehemalige Mainz-05-Profi Guido Schäfer zu Gast. Er schreibt als Chefreporter – einige würden auch „Fanreporter“ sagen – für die „Leipziger Volkszeitung“ über RB Leipzig. Im „Doppelpass“ sagte er allerhand seltsame Sätze, unter anderem schwadronierte er von einer Miss Germany, an die er mal „rangehen“ würde.
Ein anderes Mal störten Fans die Sendung, riefen „Fußballmafia DFB“, warfen Spielgeldscheine auf die Bühne und zeigten einen Banner, auf dem stand: „Gegen korrupte Funktionäre“. „Dinge gibt’s, die gibt’s gar nicht. Was passiert jetzt mit denen?“, fragte Stefan Effenberg mit der überheblichen Süffisanz eines Mannes, der nie an sich gezweifelt hat und darauf ungeheuer stolz ist.