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Seite 2: Drogen und Gewalt
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Paul Lehr

Aber wen inter­es­sieren schon Sta­tis­tiken an Tagen, in denen ein Der­by­sieg bedeu­tender erscheint als Fragen von Leben und Tod? Wer die Riva­lität der Klubs erklären will, kann das mit Hilfe der übli­chen Ste­reo­typen machen: Auf der einen Seite Wydad, die Roten, die Jungs aus der Mit­tel­schicht, die mit den mus­li­mi­schen Wur­zeln und dem eng­li­schen Spiel­stil.

Auf der anderen Seite Raja, die Grünen, behei­matet in den Arbei­ter­vier­teln, fran­zö­sisch geprägt und im Spiel eher bra­si­lia­nisch. Eigent­lich muss man aber zurück­gehen in das Jahr 1937, als sich eine Män­ner­runde in Casa­blanca traf, um über den Namen für einen neuen Verein abzu­stimmen. Ein Teil­nehmer, so sagt die Legende, kam damals zu spät, aber er hatte eine gute Aus­rede parat: Er musste noch seinen Lieb­lings­film schauen. Kur­zer­hand beschlossen die Männer, ihren neuen Klub nach dem Titel dieses Strei­fens zu benennen: Wydad“, Liebe“.

Hor­ror­ge­schichten aus dem marok­ka­ni­schen Fuß­ball

Pere Jego, ein wei­terer Teil­nehmer dieser Runde, machte das Team danach als Trainer zum erfolg­reichsten in ganz Marokko. 1952 über­warf er sich aber mit seinen Mit­strei­tern und heu­erte beim bis dahin unbe­deu­tenden Rivalen an. Und auch wenn Raja, im Ara­bi­schen Hoff­nung“, schon 1949 gegründet worden war, sehen viele Fans diesen Wechsel als die eigent­liche Geburt ihres Ver­eins und der Feind­schaft mit Wydad an. Das Derby am 21. Dezember 2015 ist das 119. Auf­ein­an­der­treffen der beiden Teams.

Die Sache war nur: Eine Ant­wort der Win­ners aus Casa­blanca ließ weiter auf sich warten. Aber war diese ganze Unter­neh­mung nicht eh ein Höl­len­fahrt­kom­mando? Im Internet findet man aller­hand Hor­ror­ge­schichten. In einem Blog berichtet jemand von einem Raja-Fan, der einst einem Win­ners-Mit­glied das Kinn abge­schnitten haben soll und aus Angst vor Rache in den Senegal geflohen sei.

In Zei­tungs­be­richten kann man über den Wydad-Anhänger Hamza Bak­kali lesen, der 2012 bei Aus­schrei­tungen ums Leben kam. Oder von den Vor­komm­nissen im März 2014. 150 Wydad-Ultras stürmten damals mit Mes­sern das Trai­nings­ge­lände ihrer Mann­schaft, weil sie mit der Leis­tung unzu­frieden waren und den Spie­lern Kor­rup­tion vor­warfen.

(Wenige Wochen nach Ver­öf­fent­li­chung dieser Repor­tage starben bei einem Spiel zwi­schen Raja Casa­blanca und Chabab Rif Al Hoceima zwei Men­schen. Über 50 wurden ver­letzt. Über die Hin­ter­gründe lest ihr hier: Wieso starben im März 2016 zwei Fans in Casa­blanca? Tod in der Kurve »)

Sie wollen, dass man sie wahr­nimmt!“

Die Polizei reagiert bis heute mit harten Repres­sa­lien. Erst seit kurzem beschäf­tigen sich ara­bi­sche For­scher mit dem Phä­nomen der Gewalt im Fuß­ball. So etwa der Sozio­loge Abder­rahim Rharib, der in einer Umfrage unter 600 Fuß­ball­fans her­aus­fand, dass die Mehr­heit der Schläger nicht aus sozial schwä­cheren Milieus kommt, son­dern aus der Mit­tel­schicht. Viele haben gute Jobs oder stu­dieren.

In Europa weiß man mitt­ler­weile, dass Fuß­ball­ge­walt kein Phä­nomen ist, das nur in sozialen Rand­gruppen auf­tritt; in Marokko sorgten Rha­ribs Erkennt­nisse für Ver­wun­de­rung. Wir müssen mit diesen Jungs reden“, schrieb er in einem Fazit. Sie wollen, dass man sie wahr­nimmt!“

Casa­blanca am 18. Dezember 2015, ein Café unweit der Alt­stadt, Old Medina, Tem­pe­ra­turen um die 20 Grad. Noch zwei Tage bis zum Derby. Nach ein paar Wochen kam tat­säch­lich eine Nach­richt von den Win­ners. It works“, schrieb ein unbe­kannter Absender. Läuft.

Old Medina ist Wydad-Land. Die Graf­fiti an den brö­ckelnden Fas­saden erzählen von den Tri­um­phen des Ver­eins, die Jungs, die Tep­piche oder Tee ver­kaufen, tragen Shirts von Wydad, Bayern, einer sogar ein altes Trikot des ETSV Ein­tracht Glück­stadt – Haupt­sache rot. Casa­blanca, die Stadt der Liebe und der Romantik, sagen die, die nichts weiter als das berühmte Film­plakat kennen: Ingrid Berg­mann in den Armen von Hum­phrey Bogart. In Wahr­heit ist die Vier-Mil­lionen-Stadt ein Moloch. Hart, schnell, funk­tional. Wer sieht einen hier?

Um die Ecke befinden sich ein paar Bars, Männer sitzen neben anderen Män­nern, oft alleine, hinter Gar­dinen trinken sie dort ihren Mahia-Schnaps, die kleine Frei­heit. Wer das Land erkunden will, wer auf der Suche ist nach 1001-Nacht-Bil­dern, der fährt weiter, nach Mar­ra­kesch oder zu den Was­ser­fällen von Ouzoud. Ihr wollt ins Sta­dion? In die Curva Nord? Alleine?“, fragen die Alten an der Theke. Seid ihr lebens­müde?“ Aber es ist zu spät für einen Rück­zieher. It works. Wie ver­spro­chen.

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Paul Lehr