Vor dem Spiel heutigen Spiel in den Europa-League-Playoffs gegen Racing Straßburg müssen die Fans von Eintracht Frankfurt unerkannt bleiben. Immerhin wird man sich im Gegner wiedererkennen.
Puh, ganz schön warm hier. Den Unterschied zwischen einem klimatisierten ICE und dem Straßburger Spätsommer werden vor allem die bemerken, die das Trikot mit dem Adler auf der Brust nicht im Rucksack, sondern unter der Alltagskleidung tragen. Auf Anordnung der zuständigen Präfektur Bas-Rhin darf sich heute vor dem Europa-League-Playoff-Spiel zwischen Racing Straßburg und Eintracht Frankfurt niemand in der Stadt offen als Eintracht-Fan zu erkennen geben. Trotzdem weiß natürlich jeder, wer hier in Zivil den Bahnhof Krimmeri-Meinau fluten wird. Dabei werden es längst nicht so viele Inkognito-Frankfurter sein, wie es sein könnten. Stich- und Unwort des Jahres für zahlreiche reiselustige Eintracht-Unterstützer: UEFA-Ticketverteilungsschlüssel. Nur 1200 Tickets stehen den Fans der Auswärtsmannschaft zu. Für alle glücklichen Gästefans, die mit einer Eintrittskarte ausgerüstet sind, ist der Weg immerhin nicht lang. Nur knapp 500 Meter sind es vom Bahnhof bis zum Stade de la Meinau, der Heimat des Racing Club de Strasbourg Alsace.
Keine Sprachbarrieren
Für Christoph Daum wäre der RC Straßburg nichts, lautet eins seiner berühmtesten Zitate doch: „Andere erziehen ihre Kinder zweisprachig, ich beidfüßig.“ Beidfüßig zu sein, ist bei den Elsässern, wo bis auf Kapitän Stefan Mitrovic jeder seinen Lieblingsfuß hat, weniger wichtig. Dazu setzt man, der Erziehungsphilosophie des Zwickauer Fußballlehrers entgegen, aber voll auf Zweisprachigkeit. Nicht nur die Social-Media-Kanäle des französischen Vereins gibt es mittlerweile in deutscher Ausführung, auch die Straßburger Ultras geben sich international und feuern ihren Klub mit dem Schlachtruf „Jetzt geht’s los“ an.
Mit Bilingualität werden allerdings auch einige der Frankfurter Fans zu überzeugen wissen. Im Reisespracharsenal für das Elsass hat so mancher die Adler-Anhänger ein gebrochenes, aber zuverlässiges Schulfranzösisch sowie ein für den Moment nicht ganz so breites und deshalb im Ernstfall von den meisten Straßburgern verstandenes Hessisch. Es kann losgehen.
Vor dem Stade de la Meinau werden es noch die Französischfetzen aus der Schule sein, mit denen die Einlasskontrollen reibungslos laufen. In den Katakomben der Arena des Elsässer Kultklubs wird man dann an der Theke aber auch ohne Rudimente aus lange zurückliegendem Fremdsprachenunterricht zum gewünschten Erfolg kommen: einem kühlen Straßburger Kronenbourg. Während die Eintracht-Unterstützer das Bier genießen, das die Einheimischen schlicht „Kro“ nennen, wird angesichts der jetzt schon beeindruckenden Geräuschkulisse klar sein: Eine Fußballparty müssen sie hier nicht allein schmeißen.
Der Racing Club Straßburg unterscheidet sich in einer Sache wesentlich vom Großteil französischer Fußballvereine: seinen Zuschauern. Die stehen ihrem Verein bei jedem Heimspiel zahlreich zur Seite, was in der Ligue 1 gleich doppelt hervorzuheben ist. Denn Frankreichs Fußballfeste sind nicht nur in aller Regel schlecht besucht, sondern außerhalb von Straßburg auch Sitzpartys. Allein in der „Hauptstadt Europas“ bieten 6000 Stehplätze Raum für ungebremste Euphorie, wie sie die Frankfurter aus der Heimat kennen.
Für das wohl deutscheste Publikum Frankreichs ist die Partie gegen die SGE eine große Sache. Nicht nur sind deutsche Fans, an denen sich die Unterstützer um die „Ultra Boys 90“ stets orientieren, im Stade de la Meinau gern gesehen. Riesig ist auch die Freude wieder international zu spielen. Denn während Straßburg seit 20 Jahren mit dem EU-Parlament konstant das Zentrum der europäischen Politik ist, gab es seit 2006 keinen europäischen Fußball mehr. Schlimmer noch: zwischenzeitlich nicht mal Profifußball.
Mit den Fans aus der Insolvenz
2011 hatte der Traditionsverein Insolvenz anmelden müssen, um in der fünften Liga neuzustarten. Dass die Elsässer überhaupt wieder erstklassig sind, haben sie auch ihren Zuschauern zu verdanken, die nicht nur laut, sondern vor allem treu sind. Als der Profifußball fürs Erste aus Straßburg verschwand, blieben die Fans. Über mehrere Aufstiege hinweg stellten die Anhänger des RC bis in die zweite Liga Zuschauerrekorde auf und trugen eine Mannschaft, die dort auf dem Papier eigentlich nichts zu suchen hatte, zurück in die Ligue 1 und in diesem Jahr zum Ligapokalsieg, der zur Teilnahme an der Europa-League-Qualifikation berechtigt.
Genau wie die Eintracht hat der RC also eine Anhängerschaft, die ihre Mannschaft zu unerwarteten Höchstleitungen treibt. Doch nicht nur eine starke Fankultur haben Straßburg und Frankfurt gemein. Beide Mannschaften konnten bisher je eine nationale Meisterschaft erreichen und beiden hat ein Jahr mit Wolfgang Rolff auf dem Platz (Straßburg 1989), beziehungsweise der Trainerbank (Frankfurt 2015) gereicht.
Freiheit
Nach dem ersten Bier werden die Frankfurter es dann nicht mehr erwarten können, die Adler freizulassen. Doch dafür müssen sie erst in einen Käfig. Erlaubt ist heute abend alles, was einen Adler zeigt nämlich nur im Auswärtsblock und der sieht im Stade de la Meinau mit hohem Gitter und Fangnetz aus wie ein übergroßer Papageienkäfig. Obschon etwas unwürdig für stolze Adler, wird das der Freude auf das bevorstehende Spiel aber keinen Abbruch tun. Denn während die „Jetzt geht’s los“-Rufe der Heimfans schon laut durch das Stadion schallen, wird sich der Käfig füllen. Immer mehr Trikots, Schals und Fahnen entkommen dann dem Versteckspiel und färben das Gehege schwarz-weiß-rot. Jetzt geht’s los.