Marco Rose ist wahrscheinlich gut beraten, in den nächsten Tagen nicht allzu viel Zeit im Internet zu verbringen. Oder zumindest nicht dort, wo sein Wechsel zu Borussia Dortmund kommentiert wird, wo er in der kommenden Saison Trainer sein wird. Die Mehrzahl der Anhänger seines bisherigen Klubs sind nämlich über diese Nachricht nicht begeistert, um es mal äußerst vorsichtig zu formulieren. Sie sind eher aufgebracht als zerknirscht, eher wütend als traurig. Die viel gelesene Gladbach-Website seitenwahl.de nannte Rose gleich mal „die Probstheidaer Ich-AG mit Red-Bull-Vergangenheit“. Viel spitzer können die Finger nicht sein.
Der Vorwurf ist einerseits, dass da einer ein gemeinsames Projekt vor der Zeit abbricht. Aber die Empörung ist zugleich Ausdruck einer verständlichen Kränkung, weil Roses Abgang den Gladbach-Fans klarmacht, dass ihr Klub in der Hackordnung der Bundesliga doch nicht so weit nach vorne gerückt ist, wie sie das vielleicht angenommen oder sich auch nur gewünscht haben. „Man muss Gladbach nicht mehr verlassen, um den nächsten oder auch den übernächsten Schritt zu machen“, hatte Christoph Kramer neulich gesagt und dabei ausdrücklich Borussia Dortmund erwähnt. Also den Klub, an den die Gladbacher in den vergangenen Jahren Marco Reus, Mo Dahoud und Thorgan Hazard verloren hatten.
Dass Kramer mit seiner Einschätzung nicht so Unrecht hat, liegt übrigens auch an Marco Rose, der die Mannschaft in den letzten anderthalb Jahren nicht nur in die Champions League, sondern dort auch noch zum ersten Mal in die KO-Runde geführt hat. Dass er sich nun für den BVB entschieden hat, fühlt sich nach gerade mal 20 Monaten aber ein wenig so an wie ein Wechsel eines talentierten Spielers, den man gerne zumindest noch eine weitere Saison gesehen hätte. Und bei dem man plötzlich nur noch seine Fehlpässe und weit übers Tor geflogenen Bälle im Kopf hat. Bei Rose ist es das angeblich fehlbesetzte Derby, das kürzlich gegen Köln verloren ging, oder dass er zu viel Energie in die Champions League und zu wenig in die Bundesliga steckte.
Rose wird die Ungnade der Gladbacher Fans aufgrund leerer Stadien weitgehend ausblenden können. Und er wird zu recht darauf hinweisen können, dass in Gladbach wenige protestierten, als ihn die Borussia auf die gleiche Weise bei RB Salzburg wegholte wie es nun der BVB getan hat – dank einer Ausstiegsklausel. Rose ist als Trainer zu gut und seine Mannschaft zu professionell, als dass man nun einen Leistungsabfall erwarten könnte. Dennoch wird einige Spieler vielleicht der Gedanke etwas mehr umtreiben, wie lange sie noch bei Borussia Mönchengladbach bleiben sollen, etwa Florian Neuhaus oder Marcus Thuram. Insgesamt macht es den Eindruck, dass der Sisyphos vom Niederrhein die Kugel wieder ein gutes Stück mehr den Berg hinauf rollen muss.
In Dortmund hingegen ist die Situation viel tückischer. Während Rose in Gladbach kaum zur „Lame Duck“ werden dürfte, besteht die Gefahr bei Dortmunds Trainer Edin Terzic in gesteigertem Maße. Der junge Mann ist seit heute offiziell der Interimstrainer einer Mannschaft mit vielen Problemen, die inzwischen schon sechs Punkte Rückstand zu den Champions-League-Plätzen aufholen muss – und das ganz dringend. Auch gruselt es manchen Schwarz-Gelben davor, dass sich die Geschichte wiederholt. 2007, in der dunklen Zeit der Borussia, verpflichtete sie nämlich schon mal eine Lichtgestalt am Trainerhimmel, die damals als der heiße Scheiß galt: Thomas von Heesen. Jürgen Röber sollte ihm den Sitz warm halten. Doch noch vor Saisonende war Röber weg, Thomas Doll sprang ein und von Heesen kam nie. Aber wer ist eigentlich der Thomas Doll von heute?