Seit Jahren liefert Neymar Gründe, ihn nicht zu mögen. Nun scheint seine Karriere zum Stillstand gekommen. Warum man ihm hinterhertrauern muss.
Achtelfinale der WM 2018. 71. Minute. Brasilien gegen Mexiko. Nach einem Zweikamp an der Außenlinie will Miguel Layún sich den Ball zurückerobern und tritt, dem Anschein nach versehentlich, mit der Fußspitze auf das Schienbein von Neymar. Was dann folgt, ist eine schauspielerische Glanzleistung. Neymar hält sich das Bein, verzerrt das Gesicht, rollt auf dem Rasen herum. Das Spiel wird unterbrochen und der Brasilianer wird behandelt. Rund fünfzehn Minuten später bereitet er nach einem Sprint über den halben Platz das 2:0 vor.
Am Tag darauf war in den sozialen Medien sowie den internationalen Zeitschriften die Hölle los. „Neymar muss erwachsen werden“ hieß es im Guardian. „Neymar hat Brasilien verzaubert, aber die ganze Welt genervt“, titelte auch die brasilianische Zeitschrift Globo. Es wurde deutlich: Neymar hatte es sich mit einem Großteil der nicht-brasilianischen Fußballfans endgültig verscherzt. Vier Tage später schieden die Brasilianer gegen Belgien aus dem Turnier aus. Seitdem ist in der Karriere des Zauberfußes nicht sonderlich viel passiert, so jedenfalls die öffentliche Wahrnehmung. Doch es hätte alles ganz anders kommen können – wenn da nicht der Wechsel nach Paris gewesen wäre.
Neymar, das war einst ein großes Versprechen. Der Nachfolger von Lionel Messi, der nächste brasilianische Superstar. Und das war nicht weit hergeholt. Nach seiner Ankunft in Barcelona brauchte der damals 21-jährige kaum Eingewöhnungszeit und sorgte gleich für Furore. Wettbewerbsübergreifend sammelte der Flügelspieler in seiner Debütsaison 30 Scorerpunkte. Zwei Jahre später, als Teil des gefürchteten „MSN“-Strumtrios (Messi-Suárez-Neymar), waren es 56.
Doch die Faszination rund um Neymar lässt sich nur schwer anhand nüchterner Zahlen erklären. Denn es sind gerade die nicht gnadenlos effektiven Seiten seines Spiels, die ihn so besonders machen. Das kleine Tänzchen mit seinem Gegenspieler, manchmal auch ein Haken zu viel. Das klappt nicht immer, aber wenn, dann nimmt er damit oft drei oder vier Gegenspieler gleichzeitig aus dem Spiel. Brasilianisch eben. Joga Bonito.
Auch in den großen Spielen lieferte er konstant. In der Triple-Saison 2014/15 traf er in der Königsklasse zehnfach. Im Finale gegen Juventus Turin besiegelte er den Titel mit seinem Tor zum 3:1. Oder auch 2017: Kurz vor seinem Wechsel zu Paris holte die Mannschaft von Luis Enrique in einem Jahrhundertspiel eine 0:4‑Niederlage aus dem Hinspiel auf. Protagonist des Abends: Neymar. Mit zwei Toren und der entscheidenden Flanke zum 6:1 war er mitverantwortlich für das Spektakel.
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