Michel Pla­tini, Karl-Heinz Rum­me­nigge, Sie wurden beide 1955 geboren, zehn Jahre nach Ende des Zweiten Welt­kriegs. Wie stellte sich für Sie das deutsch-fran­zö­si­sche Ver­hältnis in Ihrer Jugend dar?

Pla­tini: Bei uns hat der Krieg nie eine Rolle gespielt, was daran liegen mag, das meine Familie aus Ita­lien stammt. Obwohl meine Groß­el­tern in Ita­lien geboren wurden, haben meine Eltern nur fran­zö­sisch gespro­chen und es wurde bei uns bewusst oder unbe­wusst keine poli­ti­sche Hal­tung zu einem anderen Land oder zum Krieg ein­ge­nommen.

Rum­me­nigge: Bei uns im ost­west­fä­li­schen Lipp­stadt war es ähn­lich. Die Men­schen waren froh, dass die Welt­kriege vor­über waren. Ich hatte den Ein­druck, dass die Deut­schen sich schuldig fühlten und sich freuten, als Kanzler Ade­nauer in Frank­reich von Regie­rungs­chef de Gaulle emp­fangen wurde.

Wie war die Atmo­sphäre, wenn deut­sche und fran­zö­si­sche Mann­schaften auf­ein­an­der­trafen?

Rum­me­nigge: Kam darauf an, wo wir spielten. Ich erin­nere mich an ein Län­der­spiel in Han­nover 1980, wo es keine Rolle spielte, dass wir gegen Frank­reich spielten. 1977 spielten wir im Prin­zen­park in Paris, wo schon eine beson­dere Span­nung herrschte, die wohl auch mit der Ver­gan­gen­heit zu tun hatte.

Pla­tini: Ich glaube, diese Atmo­sphäre hatte weniger mit der Ver­gan­gen­heit zu tun, als damit, dass wir dem deut­schen Fuß­ball mit Respekt begeg­neten. Was küm­merte uns der Krieg?

Rum­me­nigge: Viel­leicht hatten wir auch nur das Gefühl, auf­grund des beschrie­benen Schuld­emp­fin­dens.

Pla­tini: Wir waren die erste Gene­ra­tion nach dem Krieg, die von den Ereig­nissen nicht trau­ma­ti­siert war. Mich hat das nie tan­giert.

Welche fran­zö­si­schen Fuß­baller waren Stars in Ihrer Jugend?

Rum­me­nigge: Ich kann mich an keinen erin­nern. Für Just Fon­taine, der bei der WM 1958 Tor­schüt­zen­könig wurde, war ich zu jung. Und der nächste Fran­zose, der wieder Welt­ni­veau erreichte, war dann Michel.

Pla­tini: Fuß­ball in den sech­ziger und sieb­ziger Jahren war ein Desaster in Frank­reich. Im Euro­pacup hatten unsere Mann­schaft bei­nahe ein Abo darauf, stets in der ersten Runde aus­zu­scheiden.
Rum­me­nigge: Aller­dings muss ich zugeben, dass wir bei den wenigen Spielen gegen fran­zö­si­sche Teams, in denen es um etwas ging, meist nur mit viel Glück gewonnen haben.

Glad­bach bot mir einen Ver­trag an“

Welche deut­schen Spieler taugten für Sie zum Vor­bild, Michel Pla­tini?

Pla­tini: Ich liebte die Elf, die 1972 den EM-Titel gewann: Netzer, Ove­rath, Becken­bauer.

Wann haben Sie sich das erste Mal getroffen? Bei einem Jugend­tur­nier?

Pla­tini: Ich habe nie in einer Jugend­na­tio­nalelf gespielt…

Rum­me­nigge:… ich auch nicht. Ver­mut­lich trafen wir uns bei einem Län­der­spiel.

Pla­tini: Das System war damals ganz anders. Heute würden Scouts uns im Alter von 12, 13 Jahren ent­de­cken. Damals konnten wir uns glück­lich schätzen, wenn wir mit 17, 18 von irgendwo ein Angebot bekamen.

Hatten Sie mal eins aus Deutsch­land?

Pla­tini: Borussia Mön­chen­glad­bach hat mir einen Ver­trag ange­boten.

Waren Sie auch dort?

Pla­tini: Machen Sie Witze? Ich war mit 17 Jahren doch viel zu schmächtig für die deut­sche Liga. Damals bekam ich auch ein Angebot vom FC Valencia, dessen Trainer Alfredo di Ste­fano war. Habe ich auch abge­lehnt.

Wenn Sie sich als Jugend­liche nie begegnet sind, standen Sie sich erst­mals 1977 beim Freund­schafts­län­der­spiel im Prin­zen­park gegen­über. End­stand: 1:0 für Frank­reich.

Rum­me­nigge: Ach richtig, das letzte Län­der­spiel von Franz Becken­bauer.

Pla­tini: Damals gab es einen Streik beim fran­zö­si­schen Fern­sehen. Oli­vier Rouyer, dem in diesem Match ein groß­ar­tiger Treffer gegen Sepp Maier gelang, war ziem­lich sauer. Denn das Spiel wurde nicht live über­tragen – und nie­mand bekam etwas mit.

Das Ein­zige, was Frank­reich fehlte, war ein großer Stürmer“

Hatten Sie schon von­ein­ander gehört?

Pla­tini: Bei uns wurden sonn­tags oft Zusam­men­fas­sungen aus der Bun­des­liga gezeigt, die bekannt­lich am Samstag spielte. Des­wegen wusste ich ganz gut, was da los ist und was Kalle so macht.

Und wel­chen Ein­druck hatten Sie?

Pla­tini: Ich ahnte, wenn ich gegen den irgend­wann im Halb­fi­nale einer WM spielen muss, wird’s schwer für uns. (Lacht.)

Hatte der Sieg 1977, der erste über ein DFB-Team seit der WM 1958, eine beson­dere Bedeu­tung?

Pla­tini: Ach was. Auf einen Sieg gegen Ita­lien mussten wir mehr als sechzig Jahre warten! Aber natür­lich war dieses Spiel ein Zei­chen, dass es nach tristen Jahren für unseren Fuß­ball auf­wärts geht. Schließ­lich war unser Fuß­ball erst durch die Erfolge des AS St.-Étienne in der Mitte der Sieb­ziger wieder zum Leben erweckt worden.

Der AS St. Éti­enne unterlag dem FC Bayern mit dem jungen Karl-Heinz Rum­me­nigge im Finale um dem Euro­pacup der Lan­des­meister 1976 nur knapp.

Rum­me­nigge: Auch so ein Match, in dem wir uns nicht hätten beklagen dürfen, wenn wir es ver­loren hätten. Fünf Minuten vor Ende ver­senkt Bulle“ Roth glück­lich einen Frei­stoß, Sepp Maier hat uns wie so oft den Hin­tern gerettet. Eigent­lich hätte St. Eti­enne mit ein, zwei Toren Unter­schied gewinnen müssen.

Pla­tini: Bis zu diesem Zeit­punkt können Sie den deut­schen und fran­zö­si­schen Fuß­ball nicht ver­glei­chen. Deutsch­land hatte, seit es 1954 Welt­meister wurde, an jedem großen Tur­nier teil­ge­nommen und viele wich­tige Finals gespielt. So eine Tra­di­tion gab es bei uns nicht.

Rum­me­nigge: Ich glaube, alles was den fran­zö­si­schen Fuß­ball heute aus­macht, fußt auf der Mann­schaft, die Michel bei der WM 1982 anführte. Da hatten sie mit Tigana, Giresse und Michel das beste Mit­tel­feld der Welt, die Abwehr wurde von Marius Tresor zusam­men­ge­halten, einem Bär von Ver­tei­diger. Das Ein­zige, was ihnen damals fehlte, war ein großer Stürmer…

Pla­tini: …und ein Schieds­richter, der auf unserer Seite war.