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Seite 2: Telefonterror

Es gibt legen­däre Szenen der Bun­des­li­ga­ge­schichte, die nie auf Kamera fest­ge­halten wurden. Zum Bei­spiel das Tor aus 103 Metern von Darm­stadts Wil­helm Hux­horn. Oder jene dritte Minute im Spiel zwi­schen Werder und Frank­furt in der Saison 1981/82, als sich Ein­tracht-Tor­hüter Jürgen Pahl den Ball selbst ins Tor warf.

In Olden­burg, so scheint es, war ab 1989 rund um die Uhr ein Kame­ra­team dabei. Wir begrüßen Rudi Assauer, der als junger Manager das Set­ting betritt, in der einen Hand stets einen Tele­fon­hörer, in der anderen ein Ziga­rillo. Dazu aus Off der Ori­gi­nalton: Eigent­lich wollte Assauer nichts mehr mit Fuß­ball zu tun haben.“

Wir begleiten Maxe“ Stein­bach, den Mara­dona des Ostens“, bei seinem Wechsel von Mag­de­burg nach Olden­burg. Wir bestaunen den geheim­nis­vollen Russen Michail Rou­sajew, der aus Aachen kommt, und vor allem den tsche­chi­schen Natio­nal­spieler Radek Drulak, der Tor­schüt­zen­könig der Zweiten Liga wird. Wir sehen Wolf­gang Sidka, den Trainer, der sich manchmal selbst ein­wech­selt und in Talk­shows Kra­watten trägt, für die das Adjektiv fetzig“ erfunden wurde. Baum­gart hat ihn beim Bremer Sechs­ta­ge­rennen ken­nen­ge­lernt und danach mit Anrufen ter­ro­ri­siert, bis Sidka die lang­jäh­rige Kar­riere als Bun­des­li­ga­spieler auf­gibt und tat­säch­lich nach Olden­burg wech­selt.

Klaus Baum­gart, seit seinem sechsten Lebens­jahr VfB-Mit­glied, macht damals alles zu Gold. Jeder Song wird ein Hit, es gelingt ihm sogar, das Copy­right für den Fan­ge­sang Es gibt nur ein’n Rudi Völler“ anzu­melden. So einer kann natür­lich auch alles tragen. Er sitzt mit über­di­men­sio­nierter Flie­ger­brille am Sei­ten­rand oder spa­ziert in Stefan-Edberg-Shirt-Sakko-Kom­bi­na­tion über den Rasen.

Man möchte ständig her­ein­zoomen in dieses Gesicht, seine Ober­lip­pen­bart­haare zählen und die bunten Schach- und Strich­muster auf den Hemden und Blou­son­ja­cken mit den Fin­gern fühlen. Einmal springt Baum­gart nach einer ver­lo­renen Wette in voller Montur in einen See. Er kommt klitsch­nass und mit her­aus­hän­gender Zunge raus. Die Kamera ist wieder dabei. Fun, fun, fun, punk.

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Und die Son­nen­brille ist der letzte Rest Pri­vat­sphäre: Klaus Baum­gart (r.) bei der Spiel­be­ob­ach­tung.

NDR

Am 17. Mai 1992 steht er also mit vio­letter Kappe und Rie­sen­son­nen­brille vor einem Reporter und ver­kündet vor­freudig: Es gibt einen Fuß­ball­gott, und der hat gesagt, heute sind die drei Buch­staben ange­sagt: VfB!“ Es ist der letzte Spieltag der 2. Bun­des­liga. Olden­burg muss mit zwei Toren Unter­schied in Meppen gewinnen und der Tabel­len­führer Uer­dingen muss gegen St. Pauli ver­lieren. 

7000 Olden­burger reisen ins 100 Kilo­meter ent­fernte Meppen, in Bussen, in Pkw, in Zügen und auf Fahr­rä­dern. Die Sonne scheint, das Ems­land­sta­dion wackelt, Carsten Linke schießt das 1:0 und Mathias Jack das 2:0 für Olden­burg. Ein Reporter inter­viewt Rudi Assauer wäh­rend des Spiels an der Wer­be­bande: Wie steht’s auf St. Pauli?“ – Sind über­legen, aber noch steht’s 0:0.“ 

Und dabei bleibt es. Der VfB Olden­burg steigt nicht auf, trotzdem emp­fangen 10.000 Fans die Spieler auf dem Rat­haus­platz. Es fühlt sich an wie eine Meis­ter­schaft, aber es ist auch der letzte Tag dieses end­losen Som­mers. Danach kommt der Kater, die Ent­zweiung, der Nie­der­gang. Zeit­weise spielt der VfB in der fünften Liga. Aber das ist eine andere Geschichte.

Am Ende des Films sieht man den ehe­ma­ligen Prä­si­denten Klaus Berster, mitt­ler­weile 84 Jahre alt. Ein unauf­ge­regter Mann an der Seite der Hal­li­galli-Typen, ein warmer Erzähler. Er sagt den besten Satz des Films: Man spricht gerne vom Licht am Ende des Tun­nels. Ich habe gesagt: Passt auf, das kann auch eine ent­ge­gen­kom­mende Loko­mo­tive sein.“ Erst 2020 ist er in Rente gegangen. Jetzt geht er durch die Kata­komben, und über ihm steht auf einem Schild: In guten wie in schlechten Zeiten“. 

Legenden einer frü­heren Fuß­ball­hoch­burg“, am Sonntag, 28. Februar 2021, 23:35 bis 00:05 Uhr im NDR.