Vor 30 Jahren verpasste der VfB Oldenburg knapp den Aufstieg in die Bundesliga. Ein Film erzählt die Geschichte dieses Beinahe-Wunders. Er lohnt sich schon wegen der großartigen Outfits des Vizepräsidenten Klaus Baumgart.
Es gibt legendäre Szenen der Bundesligageschichte, die nie auf Kamera festgehalten wurden. Zum Beispiel das Tor aus 103 Metern von Darmstadts Wilhelm Huxhorn. Oder jene dritte Minute im Spiel zwischen Werder und Frankfurt in der Saison 1981/82, als sich Eintracht-Torhüter Jürgen Pahl den Ball selbst ins Tor warf.
In Oldenburg, so scheint es, war ab 1989 rund um die Uhr ein Kamerateam dabei. Wir begrüßen Rudi Assauer, der als junger Manager das Setting betritt, in der einen Hand stets einen Telefonhörer, in der anderen ein Zigarillo. Dazu aus Off der Originalton: „Eigentlich wollte Assauer nichts mehr mit Fußball zu tun haben.“
Wir begleiten „Maxe“ Steinbach, den „Maradona des Ostens“, bei seinem Wechsel von Magdeburg nach Oldenburg. Wir bestaunen den geheimnisvollen Russen Michail Rousajew, der aus Aachen kommt, und vor allem den tschechischen Nationalspieler Radek Drulak, der Torschützenkönig der Zweiten Liga wird. Wir sehen Wolfgang Sidka, den Trainer, der sich manchmal selbst einwechselt und in Talkshows Krawatten trägt, für die das Adjektiv „fetzig“ erfunden wurde. Baumgart hat ihn beim Bremer Sechstagerennen kennengelernt und danach mit Anrufen terrorisiert, bis Sidka die langjährige Karriere als Bundesligaspieler aufgibt und tatsächlich nach Oldenburg wechselt.
Klaus Baumgart, seit seinem sechsten Lebensjahr VfB-Mitglied, macht damals alles zu Gold. Jeder Song wird ein Hit, es gelingt ihm sogar, das Copyright für den Fangesang „Es gibt nur ein’n Rudi Völler“ anzumelden. So einer kann natürlich auch alles tragen. Er sitzt mit überdimensionierter Fliegerbrille am Seitenrand oder spaziert in Stefan-Edberg-Shirt-Sakko-Kombination über den Rasen.
Man möchte ständig hereinzoomen in dieses Gesicht, seine Oberlippenbarthaare zählen und die bunten Schach- und Strichmuster auf den Hemden und Blousonjacken mit den Fingern fühlen. Einmal springt Baumgart nach einer verlorenen Wette in voller Montur in einen See. Er kommt klitschnass und mit heraushängender Zunge raus. Die Kamera ist wieder dabei. Fun, fun, fun, punk.
Am 17. Mai 1992 steht er also mit violetter Kappe und Riesensonnenbrille vor einem Reporter und verkündet vorfreudig: „Es gibt einen Fußballgott, und der hat gesagt, heute sind die drei Buchstaben angesagt: VfB!“ Es ist der letzte Spieltag der 2. Bundesliga. Oldenburg muss mit zwei Toren Unterschied in Meppen gewinnen und der Tabellenführer Uerdingen muss gegen St. Pauli verlieren.
7000 Oldenburger reisen ins 100 Kilometer entfernte Meppen, in Bussen, in Pkw, in Zügen und auf Fahrrädern. Die Sonne scheint, das Emslandstadion wackelt, Carsten Linke schießt das 1:0 und Mathias Jack das 2:0 für Oldenburg. Ein Reporter interviewt Rudi Assauer während des Spiels an der Werbebande: „Wie steht’s auf St. Pauli?“ – „Sind überlegen, aber noch steht’s 0:0.“
Und dabei bleibt es. Der VfB Oldenburg steigt nicht auf, trotzdem empfangen 10.000 Fans die Spieler auf dem Rathausplatz. Es fühlt sich an wie eine Meisterschaft, aber es ist auch der letzte Tag dieses endlosen Sommers. Danach kommt der Kater, die Entzweiung, der Niedergang. Zeitweise spielt der VfB in der fünften Liga. Aber das ist eine andere Geschichte.
Am Ende des Films sieht man den ehemaligen Präsidenten Klaus Berster, mittlerweile 84 Jahre alt. Ein unaufgeregter Mann an der Seite der Halligalli-Typen, ein warmer Erzähler. Er sagt den besten Satz des Films: „Man spricht gerne vom Licht am Ende des Tunnels. Ich habe gesagt: Passt auf, das kann auch eine entgegenkommende Lokomotive sein.“ Erst 2020 ist er in Rente gegangen. Jetzt geht er durch die Katakomben, und über ihm steht auf einem Schild: „In guten wie in schlechten Zeiten“.
„Legenden einer früheren Fußballhochburg“, am Sonntag, 28. Februar 2021, 23:35 bis 00:05 Uhr im NDR.