„Er hat sie alle verarscht“, urteilte Thomas Häßler einst über seinen Freund Pierre Littbarski. Der größte Spaßvogel der Bundesliga über freundliche Prostituierte in Köln und ein neues Leben in Japan.
1982 fuhren Sie zu Ihrer ersten Weltmeisterschaft. Welche Erinnerungen haben Sie an den Zusammenprall zwischen Toni Schumacher und Frankreichs Patrick Battiston im Halbfinale?
Wie heftig das wirklich war, erkannte ich erst bei den Fernsehbildern. Ich glaube, Toni befand sich nach der Aktion in einer Art Schockzustand. Er machte alles falsch, was man falsch machen konnte: Statt Mitgefühl zu zeigen und sich um Battiston zu kümmern, stand er reglos in seinem Tor und wirkte dabei so aufreizend unbeteiligt.
Sie waren und sind mit Schumacher befreundet, er war sogar Ihr Trauzeuge. Haben Sie mit ihm später über diese Szene gesprochen?
Mehr als einmal. Auf mich wirkte er damals wie ein kleines Kind, dass sich die Finger verbrannt hatte, das aber nicht zugeben wollte. Toni war einer der härtesten Typen im Fußball und in diesem Moment stand er irgendwie zwischen den Stühlen: Er wollte gleichzeitig weiter den harten Mann mimen und wusste doch ganz genau, dass er diesmal eine Grenze überschritten hatte.
Haben Sie mit den heftigen Reaktionen auf das Schumacher-Foul gerechnet?
Das hat uns alle überfordert. Noch auf dem Rückweg hielt man uns vier Stunden am Flughafen von Sevilla fest, die Fluglotsen verzögerten die Abreise. Die Medienberichte haben wir natürlich auch wahrgenommen. Ich fand das alles extrem traurig, weil plötzlich niemand mehr über unsere sportlichen Leistungen sprach.
Bei der WM 1986 wurden Sie nur als Joker eingesetzt. Hand aufs Herz: Auf der Ersatzbank saßen Sie mit geballten Fäusten in der Tasche.
Nein, da war ich doch selbstkritisch genug, schließlich hatte ich mich kurz vor dem Turnier verletzt und war einfach nicht fit genug, um in jedem Spiel einen Stammplatz zu fordern.
In Ihrer Biografie fassen Sie dieses Turnier kurz und knapp zusammen: „Es war grausam.“ War es wirklich so schlimm?
1986 waren wir keine Mannschaft. Beim Essen saßen Hamburger, Kölner und Münchener an getrennten Tischen. Ich konnte als Einziger mit allen drei Tischen, war mit vielen Hamburgern und Münchenern befreundet. Ich werde nicht vergessen, wie mich eines Tages Franz Beckenbauer und Egidius Braun zur Seite nahmen: „Litti, Du bist unser Vermittler. Wir müssen die Mannschaft an einen Tisch bekommen!“ Ich antwortete nur: „Das ist euer Job!“ Ich war froh, als die WM vorbei war.
Nach der WM 1986 wechselten Sie zu Racing Paris, kehrten allerdings nach nur einer Saison zurück zum 1. FC Köln. Hatte man Ihnen das Halbfinale 1982 noch nicht verziehen?
Ich weiß nicht, ob das damit etwas zu tun hatte. Eines Tages prangte jedenfalls ein großes Hakenkreuz auf meinem Gartenzaun, vermutlich war das aber nur ein einzelner Fanatiker. Dass ich nur ein Jahr in Paris blieb, hatte sportliche Gründe. Ich fand in Frankreich einfach nicht zu meiner Form.
Ein verschenktes Jahr?
Ganz und gar nicht. Wenn ich mich damals nicht zu dem Wechsel nach Paris entschieden hätte, wäre ich vermutlich nie nach Japan gegangen. Weil ich mich nicht getraut hätte. Das Jahr in Frankreich hat mir gezeigt, dass man neue Kulturen und neue Umgebungen aktiv annehmen muss, wenn man die Welt kennenlernen will. Stundenlang fuhr ich damals mit meinem Renault R5 durch die Straßen von Paris, um das Leben in dieser Stadt aufzusaugen. Und die Frustration über die vielen Dinge, die im Verein schief liefen, hatten auch was Gutes: Ich lernte bei meiner Rückkehr viele kleine Sachen zu schätzen, die ich vorher gar nicht wahrgenommen hatte.
Zum Beispiel?
In Paris wurde mir vor der Saison Trikot, Hosen und Stutzen in die Hand gedrückt, waschen mussten wir die Klamotten selber. In Köln hingen am ersten Tag meine Sachen ordentlich im
Spind. Das war mir zuvor gar nicht aufgefallen, jetzt fand ich das auf einmal ganz wunderbar
1990 gelang Ihnen der ganz große Wurf. Wann wurde Ihnen bewusst, dass sie gut genug waren, um Weltmeister zu werden?
Gleich im ersten Gruppenspiel gegen Jugoslawien. Lothar Matthäus war an diesem Tag einfach überragend, nach 70 Minuten stand es 4:1 für uns. Ich saß zu diesem Zeitpunkt auf der Bank, schaute nach rechts, schaute nach links, sah Andy Möller, Olaf Thon, Karl-Heinz Riedle, diese ganzen Granaten und dachte: Du kannst froh sein, wenn du bei diesem Kader auch mal spielen darfst.
Sie sollen extrem wütend gewesen sein, als Franz Beckenbauer Sie während des Halbfinal-Spiels gegen England nur auf der Bank ließ.
Während des Viertelfinals gegen Tschechien hatte mich Jozef Chovanec hart abgegrätscht, ich spürte gleich einen Schmerz im Knie. Vermutlich war mein Kreuzband da schon angerissen. Vor dem Halbfinale konnte ich nur unter Schmerzen trainieren, Schüsse mit rechts gingen gar nicht. Beckenbauer blieb keine andere Wahl, als mich draußen zu lassen. Aber ich war fuchsteufelswild und musste in letzter Minute von unserem damaligen Pressesprecher Wolfgang Niersbach vor einer Dummheit bewahrt werden.