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Bernd Krauss, Ihr alter Kumpel Uli Borowka bat mich, Ihnen eine Frage zu stellen.
Oha. Schießen Sie los.

Er fragt sich, welche Natio­na­lität Sie der­zeit besitzen.
(lacht)
Ich bin Deut­scher! Und das bereits wieder seit 1984. Mein dama­liger Trainer in Mön­chen­glad­bach, Jupp Heyn­ckes, hatte mich darum gebeten. So hatten wir wieder einen der zwei erlaubten Aus­län­der­plätze im Kader frei.

Warum haben Sie sich 1981 dafür ent­schieden, die öster­rei­chi­sche Staats­bür­ger­schaft anzu­nehmen?
1977 war ich von Borussia Dort­mund zu Rapid Wien gewech­selt. Für den öster­rei­chi­schen Fuß­ball hat sich damals kein Mensch inter­es­siert. Ich erhoffte mir durch den neuen Pass eine Beru­fung in die öster­rei­chi­sche Natio­nal­mann­schaft und damit mehr inter­na­tio­nale Auf­merk­sam­keit. Schließ­lich wollte ich zurück in die Bun­des­liga. Mein Plan ging auf: 1981 gab ich mein Debüt. Beim WM-Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel gegen Deutsch­land.

Möchten Sie dar­über spre­chen?
Nur unter Zwang! Wir spielten in Ham­burg. Als die Natio­nal­hymnen erklangen, habe ich ver­sucht, weg­zu­hören, das war ein sehr komi­sches Gefühl.
Mitte der ersten Halb­zeit grätschte ich in eine Flanke von Felix Magath und erwischte den Ball mit den Stollen. Ich sehe es noch heute vor mir. Wie ich auf dem Rücken liege und denke: Der wird doch nicht … Da war er schon drin. Ein Eigentor. Hätte ich einen Spaten dabei gehabt, hätte ich mich ein­ge­bud­delt.

Wie fielen die Reak­tionen Ihrer neuen Lands­leute aus?
Meine Mit­spieler machten mir keinen Vor­wurf. Die Presse hat sich natür­lich das Maul über den Piefke“ zer­rissen. Zuhause in Dort­mund fiel mein Vater vom Sofa. Eigent­lich wollte das ZDF meine Eltern bei meinem Debüt filmen. Gott­sei­dank hatte ich sie vorher über­reden können, den Jour­na­listen abzu­sagen.

Sie blieben Natio­nal­spieler und fuhren 1982 sogar zur Welt­meis­ter­schaft nach Spa­nien.
Jetzt wollen Sie bestimmt über die Schande von Gijon“ spre­chen.

Kor­rekt. War das Ergebnis bereits vor dem Anstoß abge­spro­chen?
Mit mir hat nie­mand irgend­etwas aus­ge­macht. Aber nach dem Tor von Hru­besch war allen auf dem Platz klar: Wenn es so bleibt, kommen wir beide weiter und Alge­rien scheidet aus. Obwohl: nicht allen. Walter Schachner und Hans-Peter Briegel liefen bis zum Schluss­pfiff wie die Wahn­sin­nigen rauf und runter und fetzten sich in den Zwei­kämpfen,
als gäbe es keinen Morgen mehr. (lacht)

Bei den Zuschauern war die Empö­rung groß. Auf der Tri­büne ver­brannten wütende alge­ri­sche Fans Geld­scheine. Haben Sie das bemerkt?
Natür­lich. Und aus Sicht der alge­ri­schen und der neu­tralen Fans war diese Partie ja auch genau das: eine Schande. Jahre später, bei meinem letzten Bundes­ligaspiel, habe ich Ähn­li­ches erlebt: Am letzten Spieltag spielten wir mit Glad­bach gegen Bayer Uer­dingen, beide Teams brauchten einen Punkt, um den Klas­sen­er­halt zu schaffen. Dreimal können Sie raten, wie dieses Spiel aus­ging. Zum Leid­wesen der Bochumer. (Die Partie endete 0:0, d. Red.)

Sie sind 1957 in Dort­mund geboren worden. In einem älteren Inter­view haben Sie sich mal als typi­schen Jungen aus‘m Ruhr­ge­biet“ bezeichnet. Können Sie das kon­kre­ti­sieren?
Ich komme aus klas­si­schen Arbei­ter­ver­hält­nissen. Mein Oppa stand 40 Jahre lang am Hoch­ofen, mein Vater arbei­tete in der Stahl­branche. In so einem Umfeld lernst du, auf dem Tep­pich zu bleiben, nicht zu ver­gessen, wo du her­kommst. Das schätze ich so am Ruhr­ge­biet. Mein Oppa war eh ein Unikat: Der hat am Essen­s­tisch so groß­ar­tige Geschichten erzählt, dass ich manchmal sogar meine Bolz­platz­kum­pels warten ließ.

Waren Sie Fan vom BVB?
Unnö­tige Frage. Natür­lich!

Was ist Ihre schönste Erin­ne­rung an diese Zeit?
1967 durften wir mit unserer Schü­ler­mann­schaft vom BSV Schüren vor der Bun­des­li­ga­partie zwi­schen Dort­mund und Mön­chen­glad­bach ein Freund­schafts­spiel aus­tragen. Kurz vor dem Anstoß musste ich noch mal zur Toi­lette. Plötz­lich tauchte neben mir der große Günter Netzer auf, klopfte mir auf die Schulter und sagte: Viel Glück, Junge!“ Man kann also durchaus sagen, dass ich beim Pin­keln Fan von Borussia Mön­chen­glad­bach wurde.

Und Ihre Liebe zum BVB?
Die hatte wei­terhin Bestand. 1976 spielte ich bei den Dort­mun­dern vor. Und zwar gleich vor drei Trai­nern. Beim ersten Pro­be­trai­ning ließ mich Otto Knefler 400-Meter-Läufe mit zwei Medi­zin­bällen unter dem Arm machen. Als mich meine Mutter abends sah, sagte sie: Da gehst du nicht wieder hin!“ Beim nächsten Mal war Knefler bereits ent­lassen worden. Inte­rims­trainer Horst Buhtz spielte ich
auf dem durch­nässten Asche­platz neben der Roten Erde“ einen Ball auf den Kopf – als ich die rote Schlacke über sein Gesicht laufen sah, dachte ich: Das war es für dich! Dann über­nahm Otto Reh­hagel. Für 700 Mark brutto pro Monat wurde ich kleine Wurst Spieler von Borussia Dort­mund. Ich machte nur ein Spiel und wech­selte 1977 nach Öster­reich. Aber wer kann schon behaupten, für den Verein gespielt zu haben, den er jah­re­lang aus der Kurve ange­feuert hat?

Im Früh­jahr 2000 kehrten Sie zurück – als Trainer. Ihre Amts­zeit dau­erte nur 67 Tage. Was lief schief?
Wenn ich ehr­lich bin: alles. Nach drei Tagen sagte ich zu meiner Frau: Eigent­lich müsste ich jetzt schon wieder kün­digen.“ Bist du wahn­sinnig?“, fragte sie und ich blieb.

Warum hatten Sie über­haupt in Dort­mund unter­schrieben?
Das Angebot war ein­fach zu ver­lo­ckend. Stellen Sie sich vor: Da warten Sie jah­re­lang auf die Chance, bei einem großen Verein zu arbeiten, bei dem Sie nichts auf­bauen müssen, son­dern eine fer­tige Mann­schaft über­nehmen. Und dann ist das der Klub, dem Sie seit frü­hester Kind­heit Ihr Herz geschenkt haben. Aus Ihrer Hei­mat­stadt! Ich konnte nicht Nein sagen.

Woran ist es dann geschei­tert?
Es war sehr vieles kaputt. Ohne meinem Vor­gänger nahe­treten zu wollen – aber der kör­per­liche Zustand vieler Spieler war erschre­ckend. Dazu kamen zeit­weise mehr als zehn Ver­letzte und der Umstand, dass es einige Stars offenbar ver­lernt hatten, richtig zu malo­chen. Und wenn du kein Glück hast, kommt bekannt­lich noch Pech dazu: Gegen 1860 Mün­chen spielte Jürgen Kohler den Ball zurück zu Jens Leh­mann, auf dem schlechten Rasen ver­sprang Jens die Pille, Martin Max staubte ab. Solche Dinge machen dich fertig.

Welche Fehler müssen Sie sich ankreiden?
Ich über­nahm die Mann­schaft in der Woche vor dem zweiten Rück­run­den­spiel, ohne eine Chance auf ver­nünf­tige Vor­be­rei­tung. Das hätte ich nicht machen dürfen. Und im ersten Spiel brachte ich die Fans gegen mich auf, als ich deren Ver­halten scharf kri­ti­sierte. Die Mann­schaft hatte vor dem Anstoß einen Kreis gebildet, um zumin­dest optisch eine Ein­heit zu demons­trieren. Die
Fans lachten nur und buhten uns aus. Ich war ent­setzt. Aber die Kurve hatte eben schon immer ein gutes Gespür für den eigent­li­chen Zustand der Mann­schaft.

Wie ging es Ihnen in dieser Zeit?
Richtig beschissen.

Stimmt es, dass Sie nach Ihrer Ent­las­sung nicht mal Zeit hatten, sich bei der Mann­schaft zu ver­ab­schieden?
Ich hatte ja nicht mal meinen Ein­stand gefeiert! Tage nach meinem Raus­wurf bekamen wir die neuen Möbel für unsere Dort­munder Woh­nung gelie­fert. Meine Frau hatte das nicht mehr
recht­zeitig abbe­stellen können. 13 Spiele, kein Sieg – ich habe lange gebraucht, um das zu ver­ar­beiten.

Seitdem haben Sie nie wieder eine deut­sche Mann­schaft trai­niert. Ist Ihr Ruf in der Heimat rui­niert?
Hof­fent­lich nicht. Kurz nach meiner Ent­las­sung bekam ich ein Angebot von einem anderen Bun­des­li­gisten, aber ich war fertig und brauchte eine Aus­zeit. Also sagte ich ab. Danach war ich
in Deutsch­land erstmal weg vom Fenster. Viel­leicht war das ein Fehler. Ich bin übri­gens seither auch nie wieder im West­fa­len­sta­dion gewesen. Viel­leicht muss ich dem­nächst mal wieder hin. Die Zeit heilt ja alle Wunden.

Ist Jupp Heyn­ckes der Grund, warum Sie über­haupt Trainer wurden?
Er war ein Vor­bild, ganz klar. 1983 holte er mich zurück in die Bun­des­liga, gemeinsam erlebten wir auf­re­gende Jahre. Ich habe mir einiges von ihm abge­guckt. Auch wenn er selbst­ver­ständ­lich gra­vie­rende Fehler gemacht hat!

Zum Bei­spiel?
Mich im Pokal­fi­nale 1984 gegen die Bayern draußen zu lassen! Wir spielten quasi ohne rechten Ver­tei­diger. Lothar Mat­thäus musste als nomi­neller Mit­tel­feld­spieler per­ma­nent rechts hinten aus­helfen. Viel­leicht war er des­halb beim Elf­me­ter­schießen zu fertig, um den Ball ins Tor zu schießen.

Gab es bestimmte Rituale in der Mann­schaft?
Jupp hatte so einen Tick: Vor jedem Heim­spiel über­nach­teten wir im Park­hotel Süch­teln und mar­schierten abends durch den Wald zur Mini­golf­bahn. Wie habe ich das gehasst. Einmal ließ der Trainer extra Autos an den Rand der Anlage fahren – um mit den Schein­wer­fern die Bahnen zu beleuchten!

Immerhin konnten Sie sich im Park­hotel ver­wöhnen lassen.
Das glauben aber auch nur Sie. Auf den Zim­mern gab es keine Dusche, keine Toi­lette – und die Decken waren so schwer, dass man drei Mann brauchte, um die wieder auf­zu­heben, wenn sie nachts vom Bett rutschte. Erschwe­rend kam hinzu, dass ich das Zimmer meis­tens mit Uli Borowka teilte.

Hat er so laut geschnarcht?
Das nicht. Aber Uli war in Besitz des viel­leicht schlimmsten Schlaf­an­zugs der Fuß­ball­ge­schichte. Ein oran­genes Frottee-Ungetüm, das so häss­lich war, dass ich nachts eine Son­nen­brille brauchte. Als er 1987 zu Werder ging, nagelte ich das Teil an die Wand. Als Mahnmal.

Sie blieben bis 1990 bei der Borussia. Ihr ver­rück­testes Erlebnis in all den Jahren?
1985 flogen wir zu einem Freund­schafts­spiel nach Kairo. Weil über Ägypten ein Sand­sturm tobte, mussten wir auf Zypern zwi­schen­landen. Dort kamen wir aber erst mal nicht weg. Am Strand fanden wir eine Bar – und fei­erten eine wilde Party. Viel­leicht die wil­deste Party meiner Spie­ler­kar­riere! Da hat sich wirk­lich jeder die Kante gegeben. In den frühen Mor­gen­stunden rief plötz­lich Co-Trainer Wolf Werner in die Runde: In zwei Stunden startet die Maschine! Wir fliegen nach Kairo. Und wir spielen.“ Die Partie war eine ein­zige Qual. Selbst­ver­ständ­lich ver­loren wir. Am nächsten Morgen ließ uns Jupp zum Trai­ning antanzen. Wir rannten den Platz rauf und runter, rauf und runter, bis sich auch der letzte Tropfen Alkohol ver­flüch­tigt hatte.

1991 wurden Sie selbst Trainer der Borussia. War es nicht pro­ble­ma­tisch, plötz­lich Spieler zu coa­chen, mit denen Sie kurz zuvor noch selbst auf dem Platz gestanden hatten?
Für mich nicht. Die Ver­eins­füh­rung hatte Bedenken, aber ich sagte denen: Was macht es für einen Unter­schied, ob es ›Sie Blinder!‹ oder ›Du Blinder!‹ heißt?“ Respekt ist nicht abhängig von der Anrede, Respekt muss man sich erar­beiten. Und das tat ich.

Wie?
Mit Fin­ger­spit­zen­ge­fühl. Ein Bei­spiel: Martin Dahlin war kein Trai­nings­welt­meister, aber unbe­stritten ein groß­ar­tiger Stürmer. Bei einem Abschluss­trai­ning wurde es mir zu bunt. Statt ihn wie üblich mit der Startelf ein letztes Spiel­chen absol­vieren zu lassen, schickte ich ihn zu meinem Assis­tenten Schorsch Dreeßen. Schorsch ließ ihn rennen, bis Martin fast umkippte. Zwei Tage später schoss er zwei Tore. Als er uns 1996 Rich­tung AS Rom ver­ließ, flachste er: Trainer, darf ich Schorsch mit­nehmen?“ Er hatte die Bot­schaft ver­standen.

1994 kehrte Stefan Effen­berg zurück nach Mön­chen­glad­bach. Wie sind Sie mit dem fertig geworden?
Alle denken immer, Effe wäre ein Idiot. Im Gegen­teil. Der war ers­tens ein fan­tas­ti­scher Fuß­baller und zwei­tens der Typ, der unserem Fahrer noch dabei geholfen hat, den Bus zu säu­bern, wenn die anderen längst zu Hause waren. Mein wich­tigster Mann.

Was hatten Sie dann gegen seine berühmte Tiger­frisur? Zitat vom Sep­tember 1994: Der soll sich bloß die Haare wieder blond färben!“
(lacht) Das sah ein­fach bescheuert aus. Aber sollte er doch rum­laufen, wie er wollte. Uwe Kamps kam einmal mit lila gefärbten Haaren zum Trai­ning. Was meinen Sie, wie Jupp Heyn­ckes geguckt hat!

Wollen Sie uns weis­ma­chen, Effen­berg sei ein ganz gewöhn­li­cher Cha­rakter gewesen?
Auch Stefan hat sich aus­ge­tobt. Borgte“ eines Nachts gemeinsam mit Jörg Neun das Auto unseres Mas­seurs aus und blieb damit im Morast ste­cken. Fuhr als ein­ziger Glad­ba­cher mit seinem Wagen durch die Fuß­gän­ger­zone. Aber das war harmlos. Außerdem muss jeder große Spieler eine kleine Macke haben. Und Stefan war ein Großer.

Wer hatte die größte Macke?
Ver­mut­lich der Por­tu­giese Ricardo Sá Pinto. Als er 1997 von Natio­nal­trainer Artur Jorge nicht berück­sich­tigt wurde, fuhr er der Mann­schaft hin­terher und haute seinem Coach auf die Schnauze. Er wurde ein Jahr gesperrt und konnte nur trai­nieren. In jeder Ein­heit sprang er in die Zwei­kämpfe, als würde sein Leben davon abhängen. Dann ging ich dazwi­schen und sagte: Ich kann Karate! Wenn du nicht run­ter­kommst, gibt es einen Tritt in die …“

Sie können Karate?
Ach was. Aber ich hatte nie Pro­bleme mit ihm. Jahre später las ich in der Zei­tung: Manager von Sporting Lis­sabon schlägt Spieler k. o.!“ Es war Sá Pinto. (lacht)

Was ist das Anstren­gendste am Trai­ner­beruf?
Die Unge­wissheit. Und die feh­lende Kon­stanz: Meine frü­heren Arbeit­geber in Thes­sa­lo­niki, Pegah Gilan im Iran und die Tune­sier von Spor­tive du Sahel schulden mir heute noch Geld.

Und das Schönste?
Die Arbeit mit einer Mann­schaft. Zu sehen, wie sich junge Spieler, denen man einst die Chance gegeben hat, ent­wi­ckeln und reifen. Das ist ein groß­ar­tiges Gefühl.

Seit 2012 haben Sie keinen Verein mehr trai­niert. Ver­missen Sie den Job?
Auf jeden Fall. Ich kann mich nicht dagegen wehren: Das Feuer brennt noch immer in mir.