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Seite 2: Nichts außer Fußball. Nichts!

Beng­ts­sons Geschichte spielt bei Inter Mai­land, aber sie könnte überall spielen, auch in Deutsch­land. In den ver­gan­genen Jahren sind einige Nach­wuchs­leis­tungs­zen­tren in die Kritik geraten. Reporter der WDR-Sen­dung Sport inside“ deckten auf, dass ein Nach­wuchs­trainer beim FC Bayern jah­re­lang Spieler gemobbt und dis­kri­mi­niert hatte. Aber auch andere deut­sche Elite-Aka­de­mien wirken in den WDR-Recher­chen nicht wie För­der­schulen, son­dern eher wie Selek­ti­ons­ma­schinen und strikt regu­lierte Orte, in denen es kaum eine Chance gibt auf freie Ent­fal­tung, ein kleines biss­chen Rebel­lion, ein kleines biss­chen Jugend abseits der Kon­trolle von Erwach­senen.

2004 sind solche Themen noch weit weg. Der 17-jäh­rige Beng­tsson hat die sin­genden Zuschauer im Kopf, die jubelnden Fuß­baller, den Glanz, den Gla­mour. In Mai­land funk­tio­niert er anfangs – auf und neben dem Platz. Er spielt gut. Die Trainer sind zufrieden. Er ist ein Zehner, einer für die magi­schen Momente auf dem Platz. Große ita­lie­ni­schen Zei­tungen schreiben, dass er der kom­mende Super­star sei.

Der Pro­fi­fuß­ball ver­sucht wie eine Glau­bens­rich­tung alles zu erfassen. Wirk­lich alles, was zu einem Men­schen gehört“

Mit seinen Mit­spie­lern geht er in teure Dis­ko­theken oder kauft sich Dinge, die er nicht benö­tigt. Klei­dung von Dolce & Gab­bana oder die neu­esten Han­dy­m­o­delle, die er seinen Freunden schickt, um zu zeigen: Ich habe es geschafft. Ein Auto legt er sich auch zu, dabei hat er nicht mal einen Füh­rer­schein. Es gab nichts außer Fuß­ball“, sagte der echte Beng­tsson, damals in Kreuz­berg. Wenn wir nicht trai­nierten oder spielten, hingen wir vor der Play­sta­tion oder schauten uns alte Par­tien auf dem haus­ei­genen Inter-Channel an.“ In seinem Buch schreibt er an einer Stelle, das Fuß­ball­ge­schäft ver­suche wie eine Glau­bens­rich­tung alles zu erfassen. Wirk­lich alles, was zu einem Men­schen gehört“.

San­dahl zeigt in seinem Film genau das. Die Aka­demie ver­wan­delt immer mehr zu einer Sekte, einem abge­schot­teten Geheim­zirkel, und die Jugend­li­chen wirken darin wie Gefan­gene, die kaum noch Berüh­rungs­punkte zur nor­malen Welt haben. Glück­lich erscheint Beng­tsson nie. Selbst der Moment, von dem er jah­re­lang geträumt hat, wirkt gespens­tisch und sur­real: In seinem ersten Ein­satz in einem Serie-A-Spiel fla­ckern die Lichter, das Getrommel und die Gesänge der Fans wirken nicht fei­er­lich oder unter­stüt­zend, son­dern hyp­no­tisch und angst­ein­flö­ßend, fast wie bei einem Kriegs­tanz. Als die Mann­schaft einen Rück­stand auf­holt und jubelnd vor die Kurve rennt, irrt Beng­tsson wie ein Fremd­körper über das Feld. Ein nach­denk­li­cher und fra­giler Teen­ager in einer Welt voller röh­render Tiger.

Ich dachte, ich könnte beides sein: Kurt Cobain und Roberto Baggio“

Erst als Beng­tsson sich in ein Mäd­chen ver­liebt und eines Mor­gens in ihrer Woh­nung auf­wacht, wirkt er wie ein nor­maler Jugend­li­cher, er scheint geborgen, gelöst. Es ist das erste Mal im Film, dass er lächelt. Aller­dings merkt er auch, dass die Welten unver­einbar sind. Er muss sich ent­scheiden: für das Innen oder das Außen. Die Kälte und Enge der Fuß­ball­dik­tatur oder das freie Leben mit Kunst, Musik und Liebe. Der echte Beng­tsson sagte mal: Ich dachte, ich könnte beides sein: Kurt Cobain und Roberto Baggio.“ Aber es funk­tio­nierte nicht, und er zer­bracht bei­nahe daran.

Am Morgen, als Martin Beng­tsson sterben wollte, waren seine Mit­spieler gerade beim Früh­stück. Er machte sein Bett, zog die Decke glatt. Auf seinem MP3-Player lief​„Days“, David Bowie sang:​„Don’t know what to do.“ Dann ging er ins Bade­zimmer und griff nach der Rasier­klinge. Als er im Kran­ken­haus auf­wachte, schrie ihn eine Psy­cho­login an:​„Du hast alles, was du willst: Autos, Geld, und du kannst jede Frau der Welt haben! Du bist Spieler von Inter Mai­land!“ Beng­tsson sagte später:​„Manchmal denke ich, dass ich auch ihren Traum zer­störte, dass es nichts Schö­neres auf der Welt gäbe, als Profi bei Inter zu sein.“

Das Ende des Film ist ein wenig anders. Beng­tsson rennt auf einer Schnell­straße den hupenden Autos ent­gegen, bis ihn ein Lkw erfasst. Er über­lebt wie durch ein Wunder. Der Sport­di­rektor besucht ihn im Kran­ken­haus. Er sagt, dass sie sich eine Geschichte für die Jour­na­listen aus­denken müssen, denn die würden schon fragen, was pas­siert sei. Dann erscheinnt der Ver­eins­arzt. Er sagt: It’s gonna be okay.“

Tigers“, im Ori­ginal Tigrar“, war dieses Jahr der schwe­di­sche Bei­trag für die Oscar­ver­lei­hung. Heute läuft er als Eröff­nungs­film des Fuß­ball­film­fes­ti­vals 11-mm im Ber­liner Babylon-Kino. Das kom­plette Pro­gramm gibt es hier.