Spielerberater Mino Raiola hat gerade Paul Pogbas 120 Millionen-Deal eingetütet. In einem seiner seltenen Interviews erklärte er uns 2014, wie er ein Imperium schuf, das den Transfermarkt erbeben lässt.
Im Prinzip kann jeder, der über die Lizenz verfügt, Spielerberater werden. Kein Wunder also, dass es viele schwarze Schafe in der Branche gibt.
So kann man das nicht sehen. Zu einem schlechten, krummen Deal gehören immer zwei. Das schwarze Schaf ist man nie allein, sondern stets gemeinsam mit dem jeweiligen Sportdirektor oder Manager auf der anderen Seite des Verhandlungstisches. Da passieren oft Dinge weit jenseits der Legalität. Meine Spieler wissen über jedes Vertragsdetail Bescheid. Wer damit oft ein Problem hat, sind die Klubs. Es ist ihnen gar nicht recht, wenn ein Spieler genau informiert ist. Deshalb halten 80 Prozent der Berater ihre Spieler absichtlich aus den Verhandlungen heraus, weil sie nicht ihren Klienten, sondern nur sich selbst bestmöglich vertreten wollen. Zwischen mir und meinen Spielern herrscht absolutes Vertrauen, deswegen mache ich auch nie einen Vertrag, alles läuft mündlich. Abgesehen davon halte ich das Berater- Lizenzierungssystem der FIFA für völligen Schwachsinn. Wir sollten es abschaffen, es ist lächerlich. Den Test besteht jeder, der dafür bezahlt. Mit Eignung hat das nichts zu tun.
Betrachtet man Ihr Portfolio, fällt auf, dass Sie etliche Spieler vertreten, die für ihre Exzentrik bekannt sind. Liegt es in Ihrem Interesse, wenn ein Spieler polarisiert?
Nicht alle meine Spieler polarisieren. Oder ist ein Mkhitaryan etwa exzentrisch? Ihr Journalisten seid es doch, denen es gefällt, wenn sich meine Spieler exaltiert benehmen. Über einen Bartosz Salamon oder meine beiden Spieler beim HSV (Ola John und Ouasim Bouy, Anm. d. Red.), einen Gregory van der Wiel oder Ètienne Capoue redet ihr nie.
Es steckt also keine Strategie dahinter, wenn sich Mario Balotelli Schlagzeilen auf seine Schuhe drucken lässt? Das schafft Aufmerksamkeit. Und mediale Aufmerksamkeit steigert sicherlich den Wert eines Spielers.
Sie gehen von der Prämisse aus, dass ich einen Transfer aushandle, um Geld zu verdienen. Um ehrlich zu sein, ist mir Geld schon lange ziemlich egal. Ich habe Zlatan nicht wegen Geld von Inter nach Barcelona gelotst, um ihn dann zurück nach Mailand zu bringen. Das ist Bullshit. Wer hätte Zlatan in Barcelona verteidigen sollen, wenn nicht ich? Seine Frau vielleicht? Der ganze Klub hat ihn schlechtgemacht. Er war der König bei Inter, und nach seinem Wechsel war er plötzlich niemand mehr. Pep Guardiola hat ihn fallen lassen, ohne Erklärungen. Fragen Sie doch mal nach, was Guardiolas Problem war. Er wird nicht antworten, weil er nicht zugeben kann, einen Fehler gemacht zu haben. Das würde ja seine Intelligenz beleidigen. Wenn du für einen Spieler 79 Millionen Euro hinlegst und ihn dann nicht einsetzt, ist das nicht nur völlig bescheuert, sondern auch finanzschädigend. Die meisten Berater würden diese Vereinspolitik dennoch nie kritisieren, weil sie Angst haben, dass ihnen das große Barcelona dann nie wieder einen Spieler abkauft. Mir war das total egal. Ich habe keinen Respekt vor einem Verein, wenn der Verein keinen Respekt vor meinen Spielern hat.
Sie haben damals öffentlich massive Kritik geübt. Unter anderem meinten Sie, der richtige Platz für Pep Guardiola sei „ein Irrenhaus, wo er mit Johan Cruyff Karten spielen kann“.
Ich habe in meinem Leben schon viele Dinge gesagt.
Wegen der Aussage, Sepp Blatter sei „ein debiler Diktator“, standen Sie sogar vor Gericht.
Die FIFA hat mich verklagt. Ich musste eine Geldstrafe zahlen und wurde behandelt wie ein Schwerverbrecher vor dem Kriegsgericht. Allein das hat mich darin bestätigt, dass meine Aussage zutrifft. Schauen Sie sich doch an, was Blatter mit Cristiano Ronaldo gemacht hat. Ist das normal? Nein. Trotzdem gab es keine Konsequenzen. Was ich nicht ertrage, ist diese Hörigkeit vor Namen und Titeln. Wenn Guardiola oder der Papst etwas sagen, halten es die Leute für wahr, einfach weil es Guardiola oder der Papst gesagt haben. Man darf nie seinen eigenen Verstand ausschalten. Es wird gefährlich, wenn die Leute aufhören nachzudenken. Wohin das führen kann, haben wir in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa erleben dürfen.
Raiolas Telefon klingelt. Er wechselt ins Holländische. Einer seiner Spieler ist dran. Sie sprechen eine Weile über die Partie vom Vorabend.
Es gibt Spieler, die rufen mich zweimal am Tag an. Andere melden sich nur einmal im Monat. So bleiben wir in Kontakt. Ich gehe selten ins Stadion. Was soll ich da? Erstens sehe ich im Fernsehen alles viel besser, und zweitens müsste ich nahezu jeden Abend im Stadion sitzen, wenn ich all meinen Spielern zusehen wollte.
Wie finden Sie Ihre Spieler?
Nicht ich finde die Spieler, sondern die Spieler finden mich. Ich habe noch nie einen Spieler gefragt, ob er mit mir zusammenarbeiten will, und würde es auch nie tun. Es ist der Spieler, der mich fragen muss, ob ich sein Agent sein will. Und dann muss es Klick machen. Die Chemie muss stimmen, sonst macht es keinen Sinn. Ich will immer die Möglichkeit haben, alle meine Spieler persönlich zu betreuen, deshalb habe ich auch keine Agentur wie Mendes (Gestifute, Anm. d. Red.). Ich arbeite lediglich mit meinem persönlichen Assistenten und meiner Anwältin zusammen. Ich habe keinen Talentspäher, der für mich durch die Welt reist.
Wie muss man sich Ihr Tagesgeschäft vorstellen?
Mein Tagesgeschäft ist, mich um meine Spieler zu kümmern. Meine Spieler sind das Zentrum, um das ich kreise. Ich rufe sie an oder sie mich. Ich muss wissen, ob es ihnen gut geht, und wenn nicht, warum. Außerdem muss ich im Auge behalten, was in der Welt des Fußballs so alles passiert. Wer braucht nächsten Sommer einen zentralen Mittelfeldspieler? Wer einen Linksaußen? Ich habe ganz einfach den Markt im Blick. Ich muss prognostisch und vorausschauend denken können. Ich muss wissen, was die Klubs wollen, bevor sie es selbst wissen. Ein Transfer ist meistens die Arbeit vieler Monate. Die Öffentlichkeit sieht dann nur das Endergebnis.
Ihr letzter großer Deal in der Bundesliga war der Transfer von Henrikh Mkhitaryan zu Borussia Dortmund. Dennoch fällt auf, dass Sie in Deutschland lange nicht so präsent sind wie in England, Italien, Frankreich oder Spanien. Es gibt Bundesligamanager und Sportdirektoren, die nicht einmal wissen, wer Sie sind. Woran liegt das?
Die Bundesliga ist, wie alles in Deutschland, perfekt organisiert. Sie ist die Liga der Stunde, aber sie hat zwei große Defizite: die Auslandsvermarktung und – darüber bin ich immer wieder verblüfft – einen Mangel an Professionalität unter den Sportdirektoren. Da sind richtige Nichtskönner dabei, das muss man ganz einfach so offen sagen. Das zeigt sich schon daran, dass manche Manager „Mino wer?“ fragen, wenn ich anrufe. Bei allem Respekt: Ein Sportdirektor, der Mino Raiola nicht kennt, der sollte sich besser nach einem anderen Job umschauen.
Würden Sie also sagen, dass Sie so wenige Transfers mit Bundesligisten abgewickelt haben, weil es Ihnen auf der anderen Seite an professionellen Verhandlungspartnern fehlte?
Absolut. Ich würde sogar so weit gehen, dass nirgendwo so viele Amateure in hohen Positionen am Werk sind wie in der Bundesliga. Es gibt nur wenige positive Ausnahmen. Watzke in Dortmund und Rummenigge in München arbeiten hochprofessionell, sie haben Sachverstand und Integrität. Aber die Mehrheit der deutschen Sportdirektoren hat von dem, was sie tut, einfach keine Ahnung. Deshalb arbeiten sie mit klubeigenen Beratern zusammen, die an ihrer Stelle für sie verhandeln. Wenn man nicht bereit ist, über diesen Mittelsmann zu kommunizieren, kann man mit dem Klub überhaupt keine Geschäfte machen. Ist mir bereits passiert bei Schalke 04.