78 Tage nach der heftigsten Niederlage der Vereinsgeschichte rehabilitiert sich der FC Southampton mit einem 2:1‑Sieg bei Leicester City. Wie Ralph Hasenhüttl die Saints wieder in die Spur geführt hat – und wie ihm ausgerechnet das 0:9‑Debakel dabei geholfen hat.
Mit dem hart erkämpften 2:2 gegen den FC Arsenal am 23. November begannen die Saints dann endgültig mit der konsequenten Umsetzung ihrer Korrekturen. Eine wortwörtlich zentrale Rolle spielte dabei Eigengewächs James Ward-Prowse. Mit der Systemumstellung kehrte der schmächtige Mittelfelddynamo engültig von der Außenbahn ins Zentrum zurück und konnte hier mit tatkräftiger Unterstützung des jüngsten Kapitäns der Liga, Ex-Bayern-Spieler Pierre-Emile Höjbjerg, die wiederentdeckte Marschroute vorgeben. Die englisch-dänische Kombination beackerte plötzlich unermüdlich die Plätze der englischen Liga und erstickte durch rasantes Zustellen und knallharte Tacklings die gegnerischen Schaltzentralen. »Als der Trainer kam, hatten wir direkt eine Identität in unserem Spiel – mit und ohne den Ball – und ich glaube das hatten wir etwas verloren«, gestand Ward-Prowse auf der vereinseigenen Website im Dezember.
Und siehe da, im Vergleich zu den ersten zwölf Spielen erzwangen die Saints in den neun Partien nach der Länderspielpause im Schnitt vier Ballverluste mehr pro 90 Minuten (25,58 zu 29,4). Die Defensive wurde entlastet, was auch zu deutlich weniger Gegentoren führte. Kassierte Southampton vor dem 23. November noch 2,41 Tore pro Spiel, waren es jetzt nur noch 1,0 – der drittbeste Wert der Premier League. Doch das effizientere Pressing wirkte sich auch auf die Offensive aus. Ganz nach Hasenhüttls Motto »der beste Spielmacher ist der Balleroberer« kam Southampton durch die frühen Ballgewinne auch öfter und in fortgeschritteneren Positionen zu Torchancen. Hier kommt nun Danny Ings ins Spiel, der im Hasenhüttl‘schen System als antizipations- und abschlussstarke Sturmspitze fungiert.
Einst mit viel Hoffnung zum FC Liverpool gewechselt, ist der Engländer mit dem Schlafzimmerblick und dem nahezu komplett tätowierten Oberkörper nach unzähligen Verletzungen nun die Überlebensversicherung der Saints. 14 der 27 Klubtore gehen auf das Konto des 27-Jährigen – die größte Abhängigkeit der Premier League. Alleine acht der 14 Treffer Southamptons in den letzten neun Spielen – die viertmeisten der Liga über diesen Zeitraum – erzielte Ings. Insgesamt holte die Hasenhüttl-Elf seit der Länderspielpause auf diese Art 17 Punkte, darunter Siege gegen Chelsea und Tottenham. Nur Liverpool, Manchester City und Leicester haben seither eine bessere Ausbeute vorzuweisen.
Trotz der grausamen Erinnerungen an das Hinspiel hatten die Saints am 11. Januar 2020 also jeden Grund, selbstbewusst die Reise zum Rückspiel nach Leicester anzutreten. Es dauerte jedoch keine 14 Minuten, da wurde die mühsam aufgebaute Stabilität auf die Probe gestellt. Trotz dominanten Beginns geriet Southampton durch den ersten gegnerischen Torschuss mit 0:1 in Rückstand. Anders als beim ersten Aufeinandertreffen, folgte allerdings keine Implosion. Die mutigen Gäste pressten unbeirrt weiter, erzwangen stolze 36 Ballverluste und drehten mithilfe des Siegtreffers von Danny Ings das Spiel. Für Leicester war es erst die zweite Heimpleite der Saison. »Wenn man gegen eine Mannschaft, die gegen dich zuvor neun Treffer gemacht hat, das erste Tor kassiert, muss man mental stark sein, um zu antworten«, betonte Hasenhüttl nach dem Spiel gegenüber der BBC.
78 Tage nach dem 0:9 präsentiert sich den Medien ein ganz anderer Ralph Hasenhüttl. Das einst so glatte Gesicht des Trainers ist von einem ergrauten Dreitagebart geziert. Die größte Veränderung ist allerdings in Gestik und Körpersprache auszumachen. Plötzlich blickt er mit breiter Brust und vor Stolz strahlenden Augen in die Kamera. »Wir wollten keine Rache«, beteuert der Trainer, »wir wollten uns selbst zeigen, wie weit wir in unserer Entwicklung gekommen sind.« Rückblickend ist er sogar dankbar für das Debakel vom 25. Oktober 2019: »Das war ein ganz wichtiges Spiel für uns in dieser Saison. Wir haben unsere Mentalität komplett verändert und haben so hart gearbeitet, um einen erfolgreichen Weg zu finden.«
Mittlerweile sind die Abstiegsplätze sieben Punkte entfernt. Die Krise ist vorerst gemeistert.