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Dieser Text erschien erst­mals in 11FREUNDE #225. Darin beglei­teten wir die wun­der­same Werder-Ret­tung. Ein Jahr später war der Abstieg hin­gegen nicht mehr zu ver­hin­dern. In unserer aktu­ellen Aus­gabe 11FREUNDE #239 gehen wir der Frage nach, was dort in Bremen eigent­lich pas­siert ist. Jetzt am Kiosk und hier bei uns im Shop!

Als alles vorbei ist, muss Flo­rian Koh­feldt auf die Erleich­te­rung noch ein biss­chen warten. Als brauche das Gefühl Zeit, um das Vakuum auf­zu­füllen, das der mona­te­lange Druck, der nun wie ein Ruck­sack voller Pflas­ter­steine vom Bremer Trainer abfällt, hin­ter­lassen hat. Er wankt auf den Rasen des Hei­den­heimer Sta­dions, hält sich die Hände vors Gesicht. Werder reicht im Rele­ga­ti­ons­rück­spiel ein 2:2, um nicht abzu­steigen. Aus dem Augen­winkel sieht er, wie seine Mann­schaft Claudio Pizarro in die Luft wirft. Mit dem Schluss­pfiff geht nicht nur die Spiel­zeit 2019/20 zu Ende, son­dern auch die epo­chale Lauf­bahn des 41-jäh­rigen Perua­ners. Doch ver­gli­chen mit dem, was für die Bremer an diesem Tag auf dem Spiel stand, schrumpft selbst Pizarros Rück­tritt zur Fuß­note. 

Das wich­tigste Werder-Spiel in den letzten vierzig Jahren“, hat Co-Trainer Tim Borowski die Pro­ble­matik in der Rele­ga­tion vor Anpfiff auf den Punkt gebracht. Denn der Abstieg wäre eine Zäsur für den Klub von der Weser gewesen. Sport­lich. Wirt­schaft­lich. Für alle, die damit in Ver­bin­dung gebracht werden. Zuvor­derst für den 37-Jäh­rigen Koh­feldt, der noch 2019 vom DFB als Trainer des Jahres“ aus­ge­zeichnet wurde.

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Wehmut nach dem Pfiff: Koh­feldt erlebt die Spiel­zeit im Zeit­raffer noch einmal. Die Spieler sind schon weiter.

Getty Images

Dr. Felix Brych zieht mit seinem Pfiff einen Strich unter die zwölf­ein­halb­mo­na­tige Lei­dens­zeit der Wer­der­aner. Eine Saison, die ratio­nale Köpfe wie Auf­sichts­rats­chef Marco Bode und Sport­ge­schäfts­führer Frank Bau­mann uni­sono als ver­hext“ bezeichnen. Dieses Drama in fünf Akten: Der sport­liche Nie­der­gang vor Weih­nachten. Die Ver­letz­ten­mi­sere im Winter. Der Ver­lust jeg­li­cher Kon­stanz im Früh­jahr. Die coro­nabe­dingte Zwangs­pause. Und zu guter Letzt der nicht enden wol­lende Horror im Sai­son­fi­nale. Eine Spiel­zeit, die mit ihren Tur­bu­lenzen, Abgründen und Unwäg­bar­keiten locker für ein ganzes Pro­fi­leben gereicht hätte.

Als er nun im men­schen­leeren Sta­dion steht, ziehen diese Ein­drücke im Zeit­raffer noch einmal vor Koh­feldts geis­tigem Auge vor­über. Unter die Erleich­te­rung“, sagt er, mischte sich ein Gefühl von Wehmut. Weil dieser Kampf, in den wir mona­te­lang unsere gesamte Energie gesteckt hatten, nun so abrupt zu Ende war.“ Eine fast irreale Situa­tion, die dadurch noch skur­riler wird, dass draußen auf den Rängen nie­mand ist, mit dem die Mann­schaft ihr Glück über den Klas­sen­er­halt teilen kann.

Irgendwas stimmt nicht, es läuft alles zu rei­bungslos!“

Florian Kohfeldt im Sommer-Trainingslager

Wo fing das alles an? Wann hat sich ent­schieden, wie das Pendel aus­schlägt und diese selt­same Saison kom­plett aus dem Ruder läuft? Dass alles, was vorher durch­dacht und erprobt anmu­tete, plötz­lich nicht mehr funk­tio­nierte? Im Fuß­ball reicht manchmal schon ein Bauch­ge­fühl, um nicht in den Rhythmus zu finden. Im Som­mer­trai­nings­lager 2019 besiegen die Bremer den spa­ni­schen Erst­li­gisten SD Eibar mit 4:0. Alles läuft wie geschmiert. Die Lauf­wege, das Umschalt­spiel, die Steil­pässe in die Spitze. Wir waren so gut“, sagt Koh­feldt, dass ich zu unserem Sport­psy­cho­logen sagte: Irgendwas stimmt nicht, es läuft alles zu rei­bungslos!‘“ 

Der Sai­son­auf­takt gegen For­tuna Düs­sel­dorf geht in die Hose. Nach wech­sel­haften Spiel­tagen startet Werder eine Serie mit fünf Unent­schieden. Als der SC Frei­burg ins Weser­sta­dion reist, könnten die Bremer mit einem Sieg wieder Anschluss ans obere Tabel­len­drittel finden, doch in der dritten Minute der Nach­spiel­zeit gleicht der Ex-SVW-Stürmer Nils Petersen zum 2:2 aus. Der Punkt fühlt sich wie eine Nie­der­lage an.

Kri­sen­sit­zung auf Mal­lorca

Frei­burg war einer dieser Schlüs­sel­mo­mente“, sagt Frank Bau­mann, durch den eine nega­tive Dynamik in Gang gesetzt wird.“ Die Zeit vor Weih­nachten wird qual­voll. Sieben Nie­der­lagen, teils herbe Klat­schen, folgen bis zum Jah­res­wechsel. Trainer Koh­feldt ist vom Unver­mögen und dem man­gelnden Selbst­be­wusst­sein einiger regel­recht geschockt. Spä­tes­tens nach der Nie­der­lage gegen Pader­born dachten alle: Höchste Zeit, dass dieses Jahr ein Ende hat“, sagt Marco Bode. Und vorm letzten Hin­run­den­spiel in Köln ver­steigt sich der Auf­sichts­rat­chef vor lau­fender Kamera zu einem Bekenntnis, als er ver­kündet, man sei sich einig, durch diese Spiel­zeit gemeinsam zu gehen. Was Bou­le­vard­me­dien so deuten, dass Werder mit Koh­feldt auch in die zweite Liga absteigen wolle.

Als der Klub am 3. Januar 2020 im Trai­nings­lager auf Mal­lorca ankommt, hält der Coach nach dem Abend­essen eine feu­rige Ansprache. Eine Stunde lang ana­ly­siert er minu­tiös und teils laut­stark die Situa­tion. Er greift sich vor ver­sam­melter Mann­schaft Ein­zelne heraus, geizt nicht mit Kritik, will auf­rüt­teln und pro­vo­ziert Gegen­rede. Wie sehr es zur Sache geht, zeigt, dass selbst ein Stoiker wie Frank Bau­mann zu dem Urteil kommt: Man­cher Arbeit­nehmer würde zum Anwalt rennen, wenn er am eigenen Leib erleben würde, wie im Pro­fi­fuß­ball Gespräche mit Spie­lern von­stat­ten­gehen.“