Christian Knappmann ist Trainer bei Westfalia Herne. Im Ruhrpott besitzt er Legendenstatus. Doch wie umgehen mit einem, der über sich selbst sagt: „Ich hab ’nen Nagel im Kopp“?
„Ihr müsst Hektik erzeugen“, hatte Knappi sie erinnert, „den Rest machen wir von draußen.“ Jetzt führt Herne 1:0. Die Hektik ist da, auch wenn ein gegnerischer Verteidiger zu beruhigen versucht: „Keine Angst, alles nur Theater.“ Aber wenn das Theater wäre, dann hätten der Coach und seine Assistenten einen Schauspielpreis schon sicher. Jetzt ist Torwarttrainer Pascal Königs an der Reihe. Mit seinem durchtrainierten Oberkörper und dem tätowierten Nacken ist er so angsteinflößend wie sein Chef, wenn er den Linienrichter in jeder Szene angeht, ehe der mit Platzverweis droht. „JETZT SETZ DICH HIN!“, brüllt Knappi dazwischen. Er spricht, wie andere Leute Kommentare bei Facebook schreiben. In Großbuchstaben und mit vielen Ausrufezeichen. „BENIMM DICH! ICH SCHWÖR’ DIR, DAS WAR DEIN LETZTER ARBEITSTAG!“ Doch als der Linienrichter Richtung Eckfahne abmarschiert, formen Knappis Lippen ein ganz leises: „Mach weiter, jetzt.“
Wer diesen Koloss im grauen Ganzkörpertrainingsanzug sieht, kann sich kaum vorstellen, dass Christian Knappmann mal ein Kind war. Aufgewachsen ist er in Hubbelrath, einem kleinen Dorf vor Düsseldorf. Und weil er sich schon auf dem Schulhof immer durchsetzte, wurde es ihm dort schnell langweilig. „Wenn ich auf der Straße gespielt habe, dann lief das vernünftig. Ein Torwart ohne Handschuhe? Der konnt’ nach Hause gehen.“ Also schickte ihn sein Vater zu Fortuna Düsseldorf – und meldete seinen Steppke nach der ersten Niederlage gleich wieder ab. Das ging immer so weiter. Als Knappi in der B‑Jugend von Borussia Mönchengladbach spielte, tauchte eines Tages ein wiedergenesener Spieler aus dem älteren Jahrgang auf. „Christian, wenn der für dich spielt, dann packst du deine Koffer“, sagte ihm sein Vater. Und als der Trainer die Startaufstellung verlas, und Christian nicht auf dem Zettel stand, schulterte er seine Tasche – und ging. In den Jahren danach verdiente sich Knappi den Beinamen „Wandervogel“ mit aller Konsequenz. FC Remscheid, Ratingen 04/19, Kickers Offenbach, VfR Neumünster, TuS Koblenz, KFC Uerdingen, sechs Monate beim FC Gütersloh 2000, dann wieder Uerdingen. Da war gerade Halbzeit seiner Laufbahn. „Wenn ich nicht aufgestellt wurde, dann habe ich alle verrückt gemacht. Provoziert, damit der Trainer fliegt“, sagt Knappmann. Wenn der Trainer nicht flog, ging halt er. „Ich war ’ne richtige Bratwurst.“ Ein Lichtblick, dass sich Knappi verändert hat. Er kann über sich selbst lachen.
Trotzdem hatte er Erfolg. Weil sein Koordinatensystem anders verläuft: „Wenn wir 3:0 gewonnen hatten, und ich hatte kein Tor gemacht: Scheißtag. 1:4‑Niederlage und ich mach ’ne Bude? Alles top.“ Beim SC Verl und dem Wuppertaler SV wurde er zweimal Torschützenkönig der Regionalliga. Er erwarb sich einen Ruf in Nordrhein-Westfalen, wurde nach einer 30-Tore-Saison zum Karriereende noch einmal von Borussia Dortmund II angeworben. Wieso hat er eigentlich nie höher gespielt?, fragen sich seine Wegbegleiter bis heute. Lag’s am schwierigen Charakter? „Habe ich mich lange mit beschäftigt“, sagt Knappi und die haarlosen Augenbrauen schieben sich zusammen. „Ich glaube, am Ende kommt jeder da an, wo er hingehört.“
Die erste Ecke sollte Herne kurz ausführen, so war es abgesprochen. Doch der Schütze entscheidet sich dagegen. Die Flanke segelt ins Seitenaus. „Immer wisst ihr es besser.“ Der Trainer ist wütend. „Aber ihr spielt Oberliga, weil ihr nicht besser seid als Oberliga.“ Es reicht ihm: „MACHT, WAS ICH SAGE, EEEEEY!“
2015 ging es für Knappi nach Herne. Schnell wechselte er ins Traineramt. Hier in Herne lassen sie ihn in Vollzeit arbeiten, da bleibt viel Zeit zum Nachdenken. Er will den Fußball in den Grundfesten erschüttern. Unter Kollegen ist er zwar für seine Wutausbrüche bekannt, aber sie schätzen auch seine fachliche Kompetenz. Dass ein Oberligist die Einheiten mit Drohnen filmen lässt, ist nicht alltäglich. Er will hoch hinaus, macht seinen A‑Schein, bildet sich fort. Er wirkt wie eine Mischung aus Julian Nagelsmann und Pelé Wollitz. Sein sportlicher Leiter sagt über ihn: „Wenn er so weitermacht, erlebt er den Vierzigsten nicht mehr.“ Knappi sagt von sich, er sei Determinist. Demnach ist die Zukunft vorhersehbar, wenn alle Variablen bekannt sind. So geht er auch mit dem Fußball um. Er will jede Variable kennen. Deshalb mag er Standardsituationen so. Dort legt er die Positionen seiner Spieler fest, minimiert Faktoren, auf die er keinen Einfluss hat. Bei Freistößen stellt Herne oft keine Mauer auf. „Ob da zwei Mann stehen oder Peng! Daran stört sich doch niemand.“
Aber an Knappi störten sie sich doch irgendwann in Herne. Im Winter ging im Ruhrpott eine Videosequenz herum. Darauf zu sehen waren zwei glatzköpfige Männer vor einer Turnhalle. „Ich kann dich rausschmeißen. Warte mal die nächste Woche ab, mein Freund“, sagt der Kleinere. „Wer bist du denn?“, fragt Knappmann. Es war Uwe Heinecke, laut Register der zweite Vorsitzende des Vereins, den dort lange niemand gesehen hatte. Der Streit hatte sich an einer Nebensächlichkeit entzündet. Am Ende erkannten sie den Irrtum. Das Video war längst in der Welt. Eine Woche später mischte sich der erste Vorsitzende ein. Jürgen Stienicke, ein Milchunternehmer aus Herne, der die stets klamme Westfalia oft finanziell unterstützt hat. Er entließ Knappmann. Doch dann schaltete sich die Mannschaft ein. Sie wollten Knappi behalten. Stienicke, der Wochen zuvor seinen eigenen Abschied verkündet hatte, solle sich bitte zurückhalten. Eine Stunde später kamen sie unter lautem Jubel in die Vereinsgaststätte zurück. Knappi bleibt Trainer!