Christian Knappmann ist Trainer bei Westfalia Herne. Im Ruhrpott besitzt er Legendenstatus. Doch wie umgehen mit einem, der über sich selbst sagt: „Ich hab ’nen Nagel im Kopp“?
Es sind noch 70 Stunden bis Haltern, und das Licht leuchtet rot. Im Konferenzraum von Westfalia Herne erbebt die Stimme eines Glatzkopfs: „Ich könnt’ kotzen, wenn ich den Ballraum sehe!“ 22 Spieler, eingemummelt in hellblaue Trainingsklamotten, schauen betreten zu Boden, so dass sich ihre ausrasierten Nacken vom Licht der Deckenbeleuchtung rot färben. Sie sind Tabellensiebzehnter der Oberliga Westfalen, Vorletzter. Ihr Trainer, der Mann mit der Glatze und der bebenden Stimme, stand in den letzten Wochen kurz vor dem Rauswurf. Doch dann kam alles anders. Jetzt kämpft der Trainer. Gegen die Kündigung, gegen den Abstieg und für die Mannschaft. Und die? Hält nicht einmal die Bälle zusammen. Zwölf von 26 sind noch übrig. „Guckt euch mal an!“ Die Glatze ist auch ohne Beleuchtung rot angelaufen.
Sie gehört zu Christian Knappmann. 37 Jahre alt, 1,95 Meter groß, richtig schwer. Und seit dreieinhalb Jahren Trainer bei Westfalia Herne. Hier und überall in Westfalen nennen sie Knappmann „Knappi“. Und weil Knappi sich auch selbst Knappi nennt, heißt er auch hier so. Im Ruhrpottfußball ist Knappi auf den ersten Blick die asoziale Konstante. Wenn er wütend wird, balgt er sich mit Fans und gegnerischen Spielern, wirft Schützenfestbänke über Werbebanden und kassiert Platzverweise. Er legt sich mit allen an. Warum macht er das? Und vor allem: Warum macht Westfalia Herne das noch mit?
Zu Beginn der Trainingswoche wirft Christian Knappmann ein Kissen mit Leopardenfellmuster in die Ecke und erhebt sich von einem braunen Ledersofa. Zusammen mit Julian, seinem Assistenten, einem 22-jährigen Informatikstudenten, geht es in sein Büro. In einem zehn Quadratmeter großen Raum stehen zwei Schreibtische, ein Flachbildfernseher und drei abwaschbare Tafeln. Hier hat er sich eingerichtet. Auf seinem Schreibtisch befinden sich zwei angebrochene Flaschen Pepsi und ein Rasierapparat, als endgültiger Beweis, dass er sich hier zu Hause fühlt. Knappi schiebt auf einem Klemmbrett runde Magnete vorsichtig umher. „Hm, Hm“, brummt er. Und sucht im Vorbericht der „Reviersport“ nach einem Hinweis zur Aufstellung des TuS Haltern, dem Gegner am Sonntag.
Findet sich aber wenig. Deshalb: Erst mal auf die eigenen Stärken besinnen. Knappi zeigt auf den Bildschirm. Auf die Standards ist er stolz. In der Aufstiegssaison spielte seine Mannschaft immer Ecken auf den ersten Pfosten, die mit dem Kopf verlängert wurden. Am zweiten Pfosten, hinter dem Pulk, stand dann einer blank und schob ein. „Konntest du da machen. War ’ne Pommesliga“, sagt er über die sechste Liga. Eigentlich sei die Oberliga auch eine „Pommesliga“, aber in der Hinrunde hatten sich 14 Spieler in Herne verletzt. Und der Rest? „Bratwürste.“ Abseits der Grillbuden-Prosa bastelt Knappi an einem Plan. Er und Julian stellen eine zehnseitige Präsentation zusammen. Sie haben herausgefunden: Westfalia Herne wäre gar nicht Siebzehnter, sondern Tabellenführer, wenn nur die Anfangsviertelstunde zählen würde. Und Haltern, der Tabellenzweite, hat kurz vor der Winterpause drei Tore in den ersten 15 Minuten kassiert. Gegen Sprockhövel war das. Und was Sprockhövel kann, kann Herne auch. „Die ersten Minuten, da gibt’s hier richtig Gewitter“, sagt Knappi.
Der Plan geht am Sonntagnachmittag auf. Das Spiel ist gerade erst angepfiffen, da läuft Westfalia Herne in einem Irrsinnstempo die gegnerische Verteidigung an. Sie haben alles auf ein Blatt gesetzt und gewinnen. Nach 13 Minuten wird ihnen ein Elfmeter zugesprochen: 1:0.
Kann sich nur auf sechs Positionen ändern: Christian Knappmann zu Beginn der Trainingswoche.
Bei der Mannschaftssitzung am Donnerstag präsentiert Knappi seine Analysen. Eckballvarianten, alternativer Anstoß, Videoanalyse. „So wird Haltern spielen“, orakelt er, „kann sich nur auf sechs Positionen ändern.“ Haltern ist gut besetzt. Sind aber auch alles Studenten. „Die wollen keinen Stress hier“, brüllt Knappi, die Glatze wieder rot. „Aber die kriegen hier Stress. Weil wir …“, und jetzt klatscht er nach jeder Silbe, „… sind je-de Ak-tion im-mer am Pro-vo-zieren!“
„Ihr müsst Hektik erzeugen“, hatte Knappi sie erinnert, „den Rest machen wir von draußen.“ Jetzt führt Herne 1:0. Die Hektik ist da, auch wenn ein gegnerischer Verteidiger zu beruhigen versucht: „Keine Angst, alles nur Theater.“ Aber wenn das Theater wäre, dann hätten der Coach und seine Assistenten einen Schauspielpreis schon sicher. Jetzt ist Torwarttrainer Pascal Königs an der Reihe. Mit seinem durchtrainierten Oberkörper und dem tätowierten Nacken ist er so angsteinflößend wie sein Chef, wenn er den Linienrichter in jeder Szene angeht, ehe der mit Platzverweis droht. „JETZT SETZ DICH HIN!“, brüllt Knappi dazwischen. Er spricht, wie andere Leute Kommentare bei Facebook schreiben. In Großbuchstaben und mit vielen Ausrufezeichen. „BENIMM DICH! ICH SCHWÖR’ DIR, DAS WAR DEIN LETZTER ARBEITSTAG!“ Doch als der Linienrichter Richtung Eckfahne abmarschiert, formen Knappis Lippen ein ganz leises: „Mach weiter, jetzt.“
Wer diesen Koloss im grauen Ganzkörpertrainingsanzug sieht, kann sich kaum vorstellen, dass Christian Knappmann mal ein Kind war. Aufgewachsen ist er in Hubbelrath, einem kleinen Dorf vor Düsseldorf. Und weil er sich schon auf dem Schulhof immer durchsetzte, wurde es ihm dort schnell langweilig. „Wenn ich auf der Straße gespielt habe, dann lief das vernünftig. Ein Torwart ohne Handschuhe? Der konnt’ nach Hause gehen.“ Also schickte ihn sein Vater zu Fortuna Düsseldorf – und meldete seinen Steppke nach der ersten Niederlage gleich wieder ab. Das ging immer so weiter. Als Knappi in der B‑Jugend von Borussia Mönchengladbach spielte, tauchte eines Tages ein wiedergenesener Spieler aus dem älteren Jahrgang auf. „Christian, wenn der für dich spielt, dann packst du deine Koffer“, sagte ihm sein Vater. Und als der Trainer die Startaufstellung verlas, und Christian nicht auf dem Zettel stand, schulterte er seine Tasche – und ging. In den Jahren danach verdiente sich Knappi den Beinamen „Wandervogel“ mit aller Konsequenz. FC Remscheid, Ratingen 04/19, Kickers Offenbach, VfR Neumünster, TuS Koblenz, KFC Uerdingen, sechs Monate beim FC Gütersloh 2000, dann wieder Uerdingen. Da war gerade Halbzeit seiner Laufbahn. „Wenn ich nicht aufgestellt wurde, dann habe ich alle verrückt gemacht. Provoziert, damit der Trainer fliegt“, sagt Knappmann. Wenn der Trainer nicht flog, ging halt er. „Ich war ’ne richtige Bratwurst.“ Ein Lichtblick, dass sich Knappi verändert hat. Er kann über sich selbst lachen.
Trotzdem hatte er Erfolg. Weil sein Koordinatensystem anders verläuft: „Wenn wir 3:0 gewonnen hatten, und ich hatte kein Tor gemacht: Scheißtag. 1:4‑Niederlage und ich mach ’ne Bude? Alles top.“ Beim SC Verl und dem Wuppertaler SV wurde er zweimal Torschützenkönig der Regionalliga. Er erwarb sich einen Ruf in Nordrhein-Westfalen, wurde nach einer 30-Tore-Saison zum Karriereende noch einmal von Borussia Dortmund II angeworben. Wieso hat er eigentlich nie höher gespielt?, fragen sich seine Wegbegleiter bis heute. Lag’s am schwierigen Charakter? „Habe ich mich lange mit beschäftigt“, sagt Knappi und die haarlosen Augenbrauen schieben sich zusammen. „Ich glaube, am Ende kommt jeder da an, wo er hingehört.“
Die erste Ecke sollte Herne kurz ausführen, so war es abgesprochen. Doch der Schütze entscheidet sich dagegen. Die Flanke segelt ins Seitenaus. „Immer wisst ihr es besser.“ Der Trainer ist wütend. „Aber ihr spielt Oberliga, weil ihr nicht besser seid als Oberliga.“ Es reicht ihm: „MACHT, WAS ICH SAGE, EEEEEY!“
2015 ging es für Knappi nach Herne. Schnell wechselte er ins Traineramt. Hier in Herne lassen sie ihn in Vollzeit arbeiten, da bleibt viel Zeit zum Nachdenken. Er will den Fußball in den Grundfesten erschüttern. Unter Kollegen ist er zwar für seine Wutausbrüche bekannt, aber sie schätzen auch seine fachliche Kompetenz. Dass ein Oberligist die Einheiten mit Drohnen filmen lässt, ist nicht alltäglich. Er will hoch hinaus, macht seinen A‑Schein, bildet sich fort. Er wirkt wie eine Mischung aus Julian Nagelsmann und Pelé Wollitz. Sein sportlicher Leiter sagt über ihn: „Wenn er so weitermacht, erlebt er den Vierzigsten nicht mehr.“ Knappi sagt von sich, er sei Determinist. Demnach ist die Zukunft vorhersehbar, wenn alle Variablen bekannt sind. So geht er auch mit dem Fußball um. Er will jede Variable kennen. Deshalb mag er Standardsituationen so. Dort legt er die Positionen seiner Spieler fest, minimiert Faktoren, auf die er keinen Einfluss hat. Bei Freistößen stellt Herne oft keine Mauer auf. „Ob da zwei Mann stehen oder Peng! Daran stört sich doch niemand.“
Aber an Knappi störten sie sich doch irgendwann in Herne. Im Winter ging im Ruhrpott eine Videosequenz herum. Darauf zu sehen waren zwei glatzköpfige Männer vor einer Turnhalle. „Ich kann dich rausschmeißen. Warte mal die nächste Woche ab, mein Freund“, sagt der Kleinere. „Wer bist du denn?“, fragt Knappmann. Es war Uwe Heinecke, laut Register der zweite Vorsitzende des Vereins, den dort lange niemand gesehen hatte. Der Streit hatte sich an einer Nebensächlichkeit entzündet. Am Ende erkannten sie den Irrtum. Das Video war längst in der Welt. Eine Woche später mischte sich der erste Vorsitzende ein. Jürgen Stienicke, ein Milchunternehmer aus Herne, der die stets klamme Westfalia oft finanziell unterstützt hat. Er entließ Knappmann. Doch dann schaltete sich die Mannschaft ein. Sie wollten Knappi behalten. Stienicke, der Wochen zuvor seinen eigenen Abschied verkündet hatte, solle sich bitte zurückhalten. Eine Stunde später kamen sie unter lautem Jubel in die Vereinsgaststätte zurück. Knappi bleibt Trainer!
In dieser Vereinsgaststätte, benannt nach Vereinslegende und Vizeweltmeister Hans Tilkowski, steht Knappi jetzt. Er will anpacken. So gehe es mit dem Tilkowski wirklich nicht weiter. „Schau dir das doch mal an, Peter“, sagt er und zeigt auf ausrangierte Stühle im Gaststätteninneren. „Hier will doch niemand sitzen.“ Peter, der Wirt, der höchstens mal den wartenden Müttern am Trainingsplatz ein paar Kaffee verkauft, ist unsicher angesichts der Lounge-Pläne, die Knappi gerade in den Raum zeichnet. Tilkowski und die alten Geschichten, die wolle keiner mehr hören in Herne. Aber der, sagt Peter, gehöre doch zu Herne. Nein, eine Shisha-Bar, das sollten sie machen, meint Knappi. Dann bliebe auch mal die Mannschaft. „Ich sag’ ja immer“, sagt Knappi, „Wir bräuchten eine eSports-Abteilung.“
Die Spieler lieben solche Visionen. „Der Knappi, der hat was vor mit dem Verein“, sagt Felix Fuchs, während er sich nach dem Duschen eine dünne Silberkette um den Hals legt. Er ist Innenverteidiger, hatte vor der Saison noch einen Verein gesucht, der für seine Qualitäten ein wenig bezahlt. Als ihn ein Bekannter auf Westfalia Herne aufmerksam machte, war er sich unsicher: Unter Knappi spielen? Da könnte der Ruf auch ruiniert sein. „Aber dann habe ich mich mit ihm getroffen. Teufelskerl, der hat Visionen! Der hat nicht aufgehört zu reden.“ Fuchs wollte bleiben.
Ruhig ist es geworden in der Kabine von Westfalia Herne. In den Weichspülergeruch des Kabinentrakts hat sich Schweiß untergemischt. Halbzeit, und es steht noch immer 1:0. Ungläubig kauen sie auf ihren Müsliriegeln, Geschmack: Erdbeer-Joghurt. Knappi beschwört sie: „Ich verspreche es euch: Das wird so ein geiles Gefühl, hier nach dem Spiel reinzukommen, wenn wir gewonnen haben.“
Geile Gefühle in der Herner Kabine.
Das Schönste am Fußballspielen? „Gewinnen, egal wie“, sagt Knappi, „da hab’ ich ’nen Nagel im Kopp.“ Während Trainer sonst Ruhe ins Spiel bringen wollen, pfeift er auf Weisheiten. Und erhebt notfalls das Chaos zum Prinzip.
„Wenn ich die Tonne treffe“, verhandelt der Trainer mit einem Spieler am Freitagabend, „dann musst du verlängern. Vier Jahre.“ Knappi trägt seriös schwarze Adidas. Doch die Schuhzunge hat er bis zur Pike gezogen. Eine Warnung: Ich könnt’s noch, wenn ich müsste. Es ist Abschlusstraining, der Spieler lacht. Dann zielt Knappi – und trifft. „Vier Jahre“, ruft er aufgeregt und dreht jubelnd ab. Wenn Knappi lacht, schieben sich seine Backen wie kleine Polster unter die Augen. Dann runzelt er seine Stirn, als würde er sich selbst wundern, wie wunderschön die Welt sein kann. Das gute Binnenklima ist unübersehbar.
„Murre, ich bring dich um“, kreischt es von der Trainerbank. Es ist nicht zu fassen! Es läuft die 60. Minute, und Westfalia liegt 1:3 zurück. Murre, der zweite großgewachsene Innenverteidiger hat einen zu kurz geratenen Rückpass gespielt, dann geht alles ganz schnell. Herne bricht zusammen. Jetzt droht Knappis heisere Stimme mit dem Tod. Wenn das so bleibt, dann dreht er heute wirklich durch.
„Ich hab ’ne Scheißangst“, beantwortet Knappmann leise die Frage, warum er sich immer aufregen müsse. Seinen Kopf hält er zwischen den massiven Schultern versteckt. Und man kriegt ein Gefühl, dass für ihn, der sich vom Schulhof bis zur Dritten Liga immer durchsetzte, trotzdem nicht alles einfach war. „Wenn ich ausraste, dann spüre ich nur Panik“, sagt er. „Panik, dass ich verlieren könnte.“ Früher, da ist er geflohen, wenn er zu verlieren drohte. Wenn er kein Tor schoss. Wenn er nicht berücksichtigt wurde. Aber jetzt ist er Trainer. Und mit der Verantwortung kann er nicht gehen, es bleibt nur die Flucht nach vorne.
Christian Knappmann, der Sohn eines Bundeswehrbeamten, hat jetzt nur noch eine Patrone: „LEEEEGAT!“ Und Nico, der Sohn von Thorsten Legat, macht sich für seine Einwechslung bereit. Fünf Minuten später steht es 1:4.
In keiner anderen deutschen Stadt wächst die Verschuldungsquote von Privatleuten so schnell wie in Herne. Schuld daran ist nicht einmal die Arbeitslosenquote, sondern die niedrigen Löhne und ungezügelter Konsum. Großmannssucht. Das Organigramm in Herne mit Vorsitzenden, Geldgebern und mittendrin Knappi wirkt wie eine Szenerie, erdacht von Friedrich Dürrenmatt. Tragisch und komisch zugleich. Am Vorabend des Spiels hat ein Fanklub zum Gespräch gebeten. Die Anhänger, die sich im Hinterraum der Kneipe „An der Stadtgrenze“ versammelt haben, wollen wissen, wie es beim Traditionsverein weitergeht. Knappi ist dafür 110 Kilometer von seinem Wohnort Verl gefahren. Er berichtet von Unterlagen, die abhandengekommen sind. Vom Chaos, den die Vorgänger hinterlassen hätten. Die Fans erinnern sich: An die ruhmreiche Zeit der Westfalia; als der Mineralölkaufmann Erhard Goldbach einstieg und Herne 1975 in die zweite Bundesliga führte, gab es, so die Legende, im Ort tagelang keine Briefumschläge zu kaufen. „Die hatte alle der Goldbach, um seine Spieler unter der Hand zu bezahlen“, brummeln zwei ältere Zuhörer, während die Wirtin das nächste Pils bringt. Kurze Zeit später hatte Westfalia den Zoll am Hals. Knappi führe das jetzt seriös weiter. Ohne ihn, sagen sie, wäre der Verein längst tot. „Auf Knappi lassen wir nichts kommen.“ Und Knappi sagt: „Für die Fans ist Herne alles. Ich bin denen was schuldig.“ Man glaubt ihm das.
Der Wahnsinn ist ein mieser Verräter. Knappi und Westfalia Herne hatten die Hektik heraufbeschworen, doch sie ist ein unkontrollierbares Monster. Zwei Tore hat Herne in der Zwischenzeit gemacht – nur noch 3:4. Die Sensation liegt in der Luft. „EEEEEY!“, in jeder Aktion brüllt Knappi jetzt über das Feld. Aber was seine Mannschaft braucht, ist Ruhe, für einen letzten, überlegten Angriff. „HOYZER!? WIE LANGE NOCH??“, kreischt Knappi. Vier Minuten Nachspielzeit. Leck mich, ist doch nicht sein Ernst. Und in diesem Moment macht Knappi sich groß, wird größer als das Monster, das die Hektik ist. Es scheint, als würde sich alles in Zeitlupe abspielen, als sich Bilal Abdallah, Hernes schmächtiger Flügelstürmer ein Herz fasst. Als lägen alle Variablen offensichtlich vor. Adballah schießt aus 20 Metern, ein satter Schuss, er passt: 4:4. „LECK MICH AM ARSCH!“, Abdallah rennt, seine Teamkollegen hinter ihm her, zusammen klettern sie auf den Zaun. Nur Knappi ist nicht da. Er steht mitten auf dem Platz und rangelt mit einem gegnerischen Betreuer. Zwei Mann müssen ihn einfangen. Der Stadionsprecher spielt zu allem Überfluss Wolfgang Petry: Das ist Wahnsinn. Du spielst mit meinen Gefühlen.
Knappis Vision ist wahrgeworden: Es ist ein geiles Gefühl zurückzukommen in die Kabine. Dort liegt der Trainer mit seinem Oberkörper müde auf einem Tisch, das Gesicht in einer Sporttasche versteckt, doch seine Stimme, die sich ein letztes Mal erhebt, ist zu hören. Sie kommt aus dem Innersten von Christian Knappmann. Dort, wo sich sonst sein Herzblut stauen muss: „HEEEERNEEEE!“ – Jeder kommt da an, wo er hingehört.